William Lovell. Ludwig Tieck

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William Lovell - Ludwig Tieck

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Brunnen der Zukunft hinab, ich nehme Gestalten wahr, die zu mir emporsteigen, freundliche und ernste, aber ein ganzes Heer furchtbarer Gebilde. Der ebne Faden meines Lebens fängt an, sich in unauflösliche Knoten zu verschlingen, über deren Auflösung ich vielleicht vergebens meine Existenz verliere.

      Bis itzt ist mein Leben ein ununterbrochner Freudentanz gewesen, kindlich habe ich meine Jahre verscherzt und mich lachend der flüchtigen Zeit überlassen, in der hellen Gegenwart genoß ich und weidete mich an Träumen einer goldenen Zukunft, in der glücklichsten Beschränktheit liebt ich Gott wie einen Vater, die Menschen wie Brüder und mich selbst als den Mittelpunkt der Schöpfung, auf den die Natur mit allen ihren Wohltaten ziele. Itzt steh ich vielleicht auf der Stufe, von wo ich in die Schule des Elends mit ernster Grausamkeit verwiesen werde, um mich vom Kinde zum Manne zu bilden: und werd ich glücklicher sein, als ich war, wenn ich vom harten Unterrichte zurückkehre?

      Und hab ich denn ein Recht über mein Unglück zu klagen? und bin ich wirklich unglücklich? – Liebt mich denn Amalie, ist sie mein, daß mich ihre Entfernung traurig machen darf? Bin ich nicht der Sohn eines zärtlichen Vaters, der Freund eines edlen Freundes? und ich spreche von Elend? – Wozu dieser Eigensinn, daß ich mir einbilde, nur sie sei meine Seligkeit? Ja, Eduard, ich will meiner Schwäche widerstehn, aber Sehnsucht und Wünsche sind nicht Verbrechen. Ich will nicht mit dem Schicksal rechten, aber Klagen sind der Schwäche des Menschen vergönnt; wer noch nie seufzte, hat noch nie verloren.

      Wie ein Gewicht drückt eine ängstliche Beklemmung meine Brust, wenn ich an die wenigen glücklichen Tage in Bondly zurückdenke, und damit die lange, lange freudenleere Zukunft vergleiche. Die Liebe zeigte mir das Licht, das Morgenrot schwang durch den Himmel seine purpurrote Fahne, alle Berge umher glühten und flammten im freudenreichen Scheine – itzt ist die Sonne wieder untergesunken, eine öde Nacht umfängt mich. Ich habe meinen lieben Gefährten verloren und rufe durch den dunkeln Wald vergeblich seinen Namen, ein hohles Echo wirft mir ihn ohne Trost zurück, die weite einsame Leere kümmert sich nicht um meinen Jammer. Ein schneidender Wind bläst schadenfroh über mein Haupt dahin und schüttelt das letzte Laub von den Bäumen.

      Schwarz war die Nacht und dunkle Sterne brannten,

      Durch Wolkenschleier matt und bleich,

      Die Flur durchstrich das Geisterreich,

      Als feindlich sich die Parzen abwärts wandten

      Und zornge Götter mich ins Leben sandten.

      Die Eule sang mir grause Wiegenlieder

      Und schrie mir durch die stille Ruh

      Ein gräßliches: Willkommen! zu.

      Der bleiche Gram und Jammer sanken nieder

      Und grüßten mich als längst gekannte Brüder.

      Da sprach der Gram in banger Geisterstunde:

      Du bist zu Qualen eingeweiht,

      Ein Ziel des Schicksals Grausamkeit,

      Die Bogen sind gespannt und jede Stunde

      Schlägt grausam dir stets neue blutge Wunde.

      Dich werden alle Menschenfreuden fliehen,

      Dich spricht kein Wesen freundlich an,

      Du gehst die wüste Felsenbahn,

      Wo Klippen drohn, wo keine Blumen blühen,

      Der Sonne Strahlen heiß und heißer glühen.

      Die Liebe, die der Schöpfung All durchklingt,

      Der Schirm in Jammer und in Leiden,

      Die Blüte aller Erdenfreuden,

      Die unser Herz zum höchsten Himmel schwingt,

      Wo Durst aus selgem Born Erquicken trinkt,

      Die Liebe sei auf ewig dir versagt.

      Das Tor ist hinter dir geschlossen,

      Auf der Verzweiflung wilden Rossen

      Wirst du durchs öde Leben hingejagt,

      Wo keine Freude dir zu folgen wagt.

      Dann sinkst du in die ewge Nacht zurück!

      Sieh tausend Elend auf dich zielen,

      Im Schmerz dein Dasein nur zu fühlen!

      Ja erst im ausgelöschten Todesblick

      Begrüßt voll Mitleid dich das erste Glück. –

      Ich komme mir in vielen Momenten wie ein Kind vor, welches jammert, ohne selbst zu wissen, worüber. Ich komme soeben von einem kleinen Spaziergange aus dem Felde zurück: der Mond zittert in wunderbaren Gestalten durch die Bäume, der Schatten flieht über das Feld und jagt sich hin und her mit dem Scheine des Mondes; die nächtliche Einsamkeit hat meine Gefühle in Ruhe gewiegt, ich sehe mich und die Welt gemäßigter an und kann itzt mein Unglück nur in mir selber finden. Ich ahne eine Zeit, in welcher mir meine jetzigen Empfindungen wie leere Träume vorschweben werden, wo ich mitleidig über diesen Drang des Herzens lächle, der itzt meine Qual und Seligkeit ist – und soll ich es Dir gestehen, Eduard? – Diese Ahnung macht mich traurig. – Wenn dieses glühende Herz nach und nach erkaltet, dieser Funke der Gottheit in mir zur Asche ausbrennt und die Welt mich vielleicht verständiger nennt – was wird mir die innige Liebe ersetzen, mit der ich jetzt die Welt umfangen möchte? – Die Vernunft wird die Schönheiten anatomieren, deren holder Einklang mich itzt berauscht: ich werde die Welt und die Menschen mehr kennen, aber ich werde sie weniger lieben – sobald man die Auflösung zum sinnreichsten Rätsel gefunden hat, erscheint es abgeschmackt.

      Mein Brief scheint mir itzt übertrieben, ich möchte ihn zerreißen, ich bin unwillig auf mich selbst – aber nein, ich will mir meine Beschämung vor Dir nicht ersparen. Ich will Dir daher auch gestehen, daß, indem ich schrieb, eine Art von Trost für mich in dem Bewußtsein lag, daß ich auch Dich nun bald verlassen müsse; dadurch schien mir meine Bitterkeit gegen mein Schicksal gerechtfertigt. – Doch itzt sind alle diese Träume verschwunden, itzt fühl ich es innig, daß Du meiner Existenz unentbehrlich bist, aber ebenso tief empfind ich es auch, daß mir das Andenken an Amalien nie wie ein trüber Traum erscheinen wird, in einem Momente nur konnte mich diese Ahnung hintergehn – ihre Gegenliebe würde mich unaussprechlich glücklich machen. Nie werde ich den Blick vergessen, mit dem sie mich so oft betrachtet hat, die holdselige Güte, mit der sie zu mir sprach, alles, alles hat sich so in alle meine Empfindungen verflochten, so innig bis an meine frühesten Erinnerungen gereiht, daß ich nichts davon verlieren kann, ohne an Glück zu verlieren. Ach, Eduard – wenn sie mich liebte! – Mein volles Herz will vor Wehmut bei dem Gedanken zerspringen – wenn sie mich liebte – warum bin ich dann nicht an ihren Busen gesunken – warum sitz ich dann hier und schreibe nieder, was ich empfinde und empfinden könnte? – Als der freie Platz im Walde kam, wo wir Abschied nehmen wollten – alle Bäume und Hügel schwankten um mich her – eine unbeschreibliche Angst drängte und wühlte in meinem Busen – der Wagen wollte halten, ich ließ ihn weiterfahren und so immer in Gedanken von einem

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