Dietmar Grieser für Kenner. Dietmar Grieser

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Dietmar Grieser für Kenner - Dietmar Grieser

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vom Blatt.

      Schon als Kind, da er noch in der elterlichen Heimat Böhmen die Felder und Wälder durchstreift, haben es ihm die gefiederten Gesellen angetan, und mit fünfzehn, nunmehr Gymnasiast in Prag, schreibt er an seinen Vater:

      »Ich wünschte von unseren Vogelstellern und auch Jägern zu erfahren, welche Vögel sich in unserer Gegend aufhalten, wie sie sich verbergen, wie sie sich schützen und wovon sie sich ernähren.« Ob Sperling, Schwalbe oder Lerche, ob Grasmücke, Schneekönig oder Fink: Wann im Frühling starten sie zu ihren Flügen, wann setzt ihr Gesang ein? Ob man ihm vielleicht gar einen »schönen, seltenen Vogel«, der eingegangen ist, »tot in einer Schachtel« nach Prag schicken könnte, damit er ihn ausstopfen und »nach systematischen Kennzeichen untersuchen« kann?

      Jetzt in Bolivien, 25 Jahre später, erwacht das alte ornithologische Interesse wieder; Thaddäus Haenke berichtet nach Europa:

      »Diese Vielfalt! Der Euphonia, der orgelnd den Sturm meldet, aber auch wie eine Nachtigall zu flöten weiß. Der Cyphorhinus, dessen Abgesang wie eine verstimmte Drehorgel klingt. Der Pfefferfresser, der sein ›Dios te dé‹ schnattert. Der bellende Ochsenvogel. Der gehörnte Camungo – dieser gefiederte Esel mit seinem klagenden ›iaa‹. Oder das Felsenhuhn – diese elegante Prinzessin, die wie ein Schwein grunzt. Doch auch die Papageien und die Kolibris, der siebenfarbene Tanagra und der rosarote Kuckuck – welch ›enorme Musikanten‹! Größter aller Virtuosen aber ist dieser kleine Kerl, den sie hier Organito nennen. Sein Gesang steigt zu den Wolken auf, er orgelt so verschiedenartig und harmonisch, als wollte er sämtliche Akkorde anstimmen. Er lebt im dichtesten Wald, am Rande der Abgründe, weshalb es schwierig ist, ihn zu Gesicht zu bekommen, diesen unvergleichlichen Sänger.«

      Also wenn schon nicht zu Gesicht, so doch wenigstens zu Gehör. Und Thaddäus Haenke schreibt, was da an Melodien an sein Ohr dringt, nieder. In Notenschrift markiert er Tonfolge und Rhythmus, ordnet ihnen das entsprechende Musikinstrument zu.

      Natürlich wüßten wir gern, was aus diesen einzigartigen Dokumenten geworden ist, die Thaddäus Haenke, mit Datum und Namen versehen, dem Konvolut seiner »Historia Natural« einverleibt und an seine Auftraggeber nach Madrid expediert. Sind seine »Vogelnoten« jemals von Musikern intoniert, die »Partituren« des Tunqui und des Organito jemals in einem Konzertsaal »aufgeführt« worden? Oder steht es uns gar noch bevor? Vieles von Haenkes Aufzeichnungen ist auf dem langen Transportweg von Amerika nach Europa in Verlust geraten, anderes in den Kolonialarchiven der Spanier vermodert. Die Edition des erhaltengebliebenen Teiles seines Nachlasses, an der seit einigen Jahren gearbeitet wird, soll, so ist zu hoffen, das Geheimnis lüften.

      Aus: Verborgener Ruhm, 2004

      Vom Ladenschwengel zum Meisterregisseur

       Josef von Sternberg

      Als dem Schauspieler William Powell 1929 ein frischer Hollywood-Vertrag zur Unterschrift vorgelegt wird, besteht er auf der Zusatzklausel, er dürfe niemals wieder für einen Film verpflichtet werden, bei dem Josef von Sternberg Regie führt. Auch für andere aus der Branche ist der zu dieser Zeit Fünfunddreißigjährige ein Leuteschinder sondergleichen, und als er gegen Ende seines Lebens zur Feder greift und seine Erinnerungen niederschreibt, bemüht er sich selber um eine Erklärung für sein tyrannisches Walten hinter der Kamera. Ob es mit seiner harten Kindheit zu tun haben mag?

      Jonas Stern – so der bürgerliche Name des am 29. Mai 1894 im Wiener Bezirk Leopoldstadt Geborenen – wächst in bedrückenden Verhältnissen auf: Für jede Tracht Prügel muß er dem Vater die Hand küssen, sein Religionslehrer macht aus dem Hebräisch-Unterricht ein sadistisches Inferno, die Freuden der Praterlokale mit ihren duftenden Gänsebraten, schäumenden Limonaden und betörenden Strauß-Walzern kennt er nur vom »Speanzeln« durch den Zaun.

      Aber auch im gelobten Land Amerika, wohin die siebenköpfige Familie 1908 auswandert, läßt das Glück auf sich warten: Der Vierzehnjährige darf in einem New Yorker Putzmacherladen Kellerstiege und Trottoir reinigen, und als er auch diesen Job verliert, muß er froh sein, sich mit Schneeschaufeln durchzubringen, mit Hausieren oder mit dem Zustellen von Packpapier.

      Der »Einstieg« ins Filmgeschäft erfolgt, als ihn ein gleichaltriger Bursche, den er beim Streunen durch die Parks von Manhattan kennengelernt hat, in die Geheimnisse einer Kellerwerkstatt einweiht, in der dessen Vater mit einer selbstgefertigten Apparatur ramponierte Filmbänder »aufmöbelt«. Für 15 Dollar pro Woche darf Jung-Jonas mit Rasierklinge und Klebstoff mithelfen, in der Reparaturabteilung einer Verleihfirma die verschlissenen Kopien von ihren Verschmutzungen, Schrammen und Rissen zu befreien, damit sie wenigstens noch fürs Abspielen in drittklassigen Vorstadtkinos taugen.

      Da er seine Sache gut macht, steigt unser Held mit der Zeit zum Leiter der Versandabteilung auf: Nun hat er dafür zu sorgen, daß die Kinos pünktlich ihre Filmrollen bekommen. Und als er sich eines Tage in jenem Vorführraum zu schaffen macht, in dem sich die Regisseure die Muster ihrer vor der Endfertigung stehenden Streifen ansehen, wird man auch dort auf den cleveren Typ aufmerksam und überträgt ihm – noch befinden wir uns in der Stummfilmära! – die Kontrolle der Zwischentitel.

      Was er hier den Aufnahmeleitern, Scriptgirls und Cutterinnen bei deren Arbeit abguckt, kommt ihm zustatten, als er während des Ersten Weltkrieges zum Militär einrückt: Jonas Stern kann sich bei der Herstellung wehrertüchtigender Lehrfilme für die US-Army nützlich machen. Und als er 1918 die Uniform ablegt, ist er endgültig für höhere Aufgaben reif, steigt als Regieassistent voll in die Branche ein und dreht sieben Jahre darauf sogar seinen ersten eigenen Film: »The Salvation Hunters«.

      Charlie Chaplin erkennt das Talent des besonders auf Unterwelt-Sujets und düstere Stimmungen spezialisierten Regieneulings, Produzenten machen die erforderlichen Geldmittel locker, Hollywood-Stars wie Emil Jannings verhelfen dem Vierunddreißigjährigen, der sich inzwischen den wohlklingenden Künstlernamen Josef von Sternberg zugelegt hat, zum Durchbruch. Und als der gleiche Jannings, vor der Rückkehr nach Europa stehend, an seinem Debüt beim gerade aufkommenden Tonfilm bastelt, nimmt er den zehn Jahre Jüngeren kurzerhand nach Berlin mit und betraut ihn mit der Regie des »Blauen Engels«.

      Heinrich Mann erklärt sich mit der totalen Umkrempelung der Story vom »Professor Unrat« einverstanden, Carl Zuckmayer verwandelt die Romanvorlage in ein Drehbuch, Friedrich Holländer steuert die Musik bei. Nur die Hauptdarstellerin fehlt noch: Wer käme für die Rolle des verruchten Vamps Lola in Betracht, die den Schultyrannen Raat zugrunde richtet? Sternberg blättert in den Photokatalogen der Schauspieleragenturen. »Frl. Dietrich« heißt die unbekannte Blondine, die ihm ins Auge sticht. Doch sein Assistent, um seine Meinung befragt, winkt ab: »Der Popo ist nicht schlecht, aber brauchen wir nicht auch ein Gesicht?« Da sieht Sternberg sie wenige Tage später wieder – und diesmal leibhaftig: Mehr oder minder zufällig ist er in eine Theatervorstellung geraten, in der dieses »Frl. Dietrich« – Georg Kaisers Revuestück »Zwei Krawatten« steht auf dem Programm – eine kleine Rolle innehat. Und jetzt fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Die oder keine!

      Alles Weitere ist Filmgeschichte: »Der blaue Engel« wird zur Weltsensation. Und Marlene Dietrich folgt ihrem Entdecker, als dieser in seine Wahlheimat zurückkehrt, nach Amerika und dreht unter seiner Regie ein Meisterwerk nach dem anderen: »Marocco«, »Blonde Venus«, »Shanghai Express«, »Die scharlachrote Kaiserin«, »Die spanische Tänzerin«. Und als wären Sternberg und sein Superstar schicksalhaft aufeinander angewiesen, wird keiner seiner späteren Filme – darunter »The King steps out«, »Sergeant Madden«, »The Shanghai Gesture«, »Jet Pilot«, »Macao« und der in Japan gedrehte »Anatahan« – an jene Hits der dreißiger Jahre anknüpfen, die Sternberg mit Marlene Dietrich geglückt sind. Mit sechzig zieht er sich aus dem Filmbetrieb zurück, 1965 veröffentlicht er seine Memoiren, am 22. Dezember 1969 stirbt der einstige Wiener Praterbengel

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