Mein Onkel der Leopardenmann. Kurt Arbeiter
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FARDC
Um diese Truppe auf Vordermann zu bringen, hat die EU von 2006 bis 2016 die Beratermission EUSEC in den Kongo entsandt. Ihr Auftrag war es, Verwaltung, Ausbildung und Logistik der FARDC zu organisieren und die notwendigste Infrastruktur auf die Beine zu stellen. Ich war von 2013 bis 2015 mit von der Partie. Wir haben Millionen von Euros investiert, in Unterkünfte, Schulen, Computer, Internet und Stromaggregate. Unsere Berater waren in allen Militärregionen unterwegs, um die kongolesischen Kader zu schulen. Einer unserer Schwerpunkte lag darauf, dass die Soldaten ihren Sold und ihre Verpflegung erhalten sollten. Damit haben wir uns allerdings eine starke Gruppe natürlicher Feinde gemacht, nämlich die höheren Offiziere der FARDC, die es als ihr ererbtes Recht betrachten, Sold und Kostgeld ihrer Männer in die eigene Tasche zu stecken. Dass sie ihre Soldaten damit zum Plündern zwingen, ist ihnen völlig egal.
Rückblickend war EUSEC wie eine Windmühle, gegen die eine Horde von Don Quichottes mit den roten Schulterklappen der kongolesischen Generalität ununterbrochen angeritten ist. Am Ende haben die Don Quichottes gewonnen. „The wind of change“, der die Flügel der Windmühle hätte antreiben sollen, ist in der Großen Flaute der kongolesischen Korruption und Tatenlosigkeit zum Erliegen gekommen. Was wir gelehrt haben, ist schon so gut wie vergessen, was wir gebaut haben, wird bereits vom Urwald überwachsen.
So wie die Mannschaftsdusche in der Unteroffiziersschule von Kitona. Als ich sie zum letzten Mal gesehen habe, war sie voller Brennholz. „Was ist da los?“, habe ich den zuständigen Offizier gefragt.
„Der Abfluss ist verstopft, außerdem benutzen die Rekruten die Duschkabinen immer als Abtritt.“ Alles klar. Den Abfluss zu reinigen und die Rekruten den Unterschied zwischen Dusche und Toilette zu lehren, wäre vermutlich zu viel verlangt. Aber immerhin hat EUSEC den teuersten Holzschuppen Afrikas gebaut, vollverfliest.
Brennholzschuppen, vollverfliest
Das Holz wird übrigens für die Kochfeuer gebraucht. Natürlich hat EUSEC auch eine Truppenküche gebaut. Aber die funktioniert nicht, weil es keinen Strom gibt.
Natürlich hat EUSEC auch ein Stromaggregat installiert. Aber das funktioniert nicht, weil die FARDC nicht einmal die rudimentärsten Wartungsarbeiten ausgeführt haben.
Und so wird die Verpflegung an der Unteroffiziersschule von Kitona in Kesseln über offenem Feuer zubereitet, wie schon zu den Zeiten, ehe die ersten portugiesischen Schiffe in die Kongomündung eingelaufen sind.
Ob das frustrierend ist? – Schon.
Andererseits: Schauen Sie sich unsere Köchin einmal näher an, wie selbstbewusst sie an ihrem Feuer steht, die Herrin des Kessels. Ich schwöre Ihnen: Eine Nirostaküche ist ihr aber so was von wurst. Und Sie sollten die Unteroffiziersschüler sehen, wenn sie sich mittags bei ihr anstellen um ihren Schöpfer Maniokbrei, ihr zuzwinkern und sich die nahrhafte Pampe schmecken lassen wie junge Könige. In der Früh bekommen sie noch ein halbes Baguette, das ist dann die ganze Tagesration. Dennoch sieht man sie beim Morgensport tanzen und lachen. Eine Dusche danach? – Ach, pfeif doch auf den Pipifatz!
Old-school
Frühsport mit Pirouetten
Die Dusche im Gästehaus von Papa Nepa-Nepa funktioniert auch nicht oft und die Klimaanlage überhaupt nicht. Ich steige trotzdem jedes Mal bei Papa Nepa-Nepa ab, wenn ich in Kitona bin. Das Lächeln von Maman Marie, seiner Köchin, funktioniert nämlich immer. Wenn ich ankomme, strahlt sie mich an, dann geht sie in die Küche und kocht mir Bondu, gedünstete Maniokblätter mit Bohnen, warm und nahrhaft. Ich gebe zu, manchmal hätte ich gern was anderes gehabt, zur Abwechslung. Aber Bondu kann Maman Marie eben am besten. Wenn es dunkel wird, setzt sich Papa Nepa-Nepa zu mir. Wir machen uns ein dunkles Bier auf. „Morgen repariere ich die Klimaanlage“, sagt Papa Nepa-Nepa. Ich lache und proste ihm zu. Er lacht auch, und die Klimaanlage ist vergessen. Morgen ist vergessen. Was soll auch „morgen“, wenn heute die Sterne funkeln, die Nacht warm ist und das Bier kühl? Ich gebe zu, ich habe dieses zufriedene Aufgehen im Jetzt nie erlernt, und die völlige Verdrängung des Morgen hat mich dienstlich manchmal zur Weißglut gebracht. Aber irgendwo in meinem verkrusteten Europäerherzen hege ich eine tiefe Sympathie dafür, wenn nicht gar eine Sehnsucht danach. Im Genießen des Augenblicks sind die Kongolesen Weltmeister. In keinem Land habe ich so viele freundliche und fröhliche Menschen getroffen. Sogar die verlotterten Grenzsoldaten, die mich eines Tages bei einer Kajaktour am Kongo abgestoppt und mir mit vorgehaltener Kalaschnikow dreißig Dollar abgeknöpft haben, waren freundlich. Es tut mir immer noch leid, dass ich sie nicht um ein Erinnerungsfoto gebeten habe. Ich bin sicher, sie hätten sich lachend in Positur geworfen.
Ich widme diese Geschichten der Lebensfreude, dem Witz und der Schlitzohrigkeit, mit denen die Kongolesen in ihrem unmöglichen Land zu Rande kommen. Ganz besonders aber Papa Nepa-Nepa (repariere nie deine Klimaanlage, ich wäre bitter enttäuscht!), Maman Marie, meinen kongolesischen Offizierskameraden Major Essebi und Major Lobo, die auch angesichts des beklagenswerten Zustandes ihrer Armee nie ihre gute Laune verloren haben, und nicht zuletzt Tschombe, dem Gärtner unserer Mission, der zwar kaum Französisch konnte, mir dafür aber einige Wörter seiner Sprache Lingala beigebracht hat.
Bo tikala malamu! Gehabt euch wohl!
GESCHICHTEN AM UFER DES KWILU
ODER MEIN ONKEL, DER LEOPARDENMANN
Ich bin ein Glückspilz. Ich durfte im Kongo bei den sogenannten „équipes mobiles mixtes“ dienen, gemischten Teams aus kongolesischen und europäischen Offizieren, die die Militärregionen des Kongo überprüften. Auf diese Art habe ich fast alle Provinzen dieses Riesenlandes kennengelernt. Unsere Arbeit hat sich in erster Linie um zwei Dinge gedreht: Werden die Soldaten regelmäßig bezahlt und verpflegt (damit sie nicht plündern müssen), und werden Waffen und Munition so sicher aufbewahrt, dass sie keine unmittelbare Gefahr für die Umgebung darstellen? Die Kontrolltage waren mühsam, und die Ergebnisse lagen meist auf einer Skala zwischen „ziemlich frustrierend“ und „absolut schockierend“.
Erholt haben wir uns beim gemeinsamen Abendessen, was in Städten wie Kikwit (etwa fünfhundert Kilometer südöstlich von Kinshasa) seinen besonderen Charme hat. In Kikwit gibt es kein Fließwasser, abgesehen vom Fluss Kwilu, und keinen Strom. Aber was soll’s? Alte Geschichten sind ohnehin viel schöner am Lagerfeuer. Und wenn der Wind den Klang der Buschtrommeln vom anderen Flussufer herüberweht, geben sie einen wunderbaren Einblick in die Denkweise ihrer Erzähler.
Schweineparadies
Die Säue fühlen sich wohl im Hafen von Kikwit. Ausgenommen die eine, die uns Gesellschaft leistet. Aber der ist schon alles wurst: Sie dreht sich seit sechs Stunden am Bratspieß von Monsieur Maisha. Monsieur Maisha ist Libanese und führt das einzige Restaurant von Kikwit, das diesen Namen verdient. Er hat sogar drei Gerichte zur Auswahl. Neben Schwein serviert er auch Fisch und Huhn.
Ein Stündchen werde es wohl noch dauern, sagt Maisha.