Mein Onkel der Leopardenmann. Kurt Arbeiter
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„Einbaum auf Bahnsteig 1 zum Einsteigen bereit!“
Schließlich wird der Inspektor angewiesen, uns eine kleine Führung über das Bahnhofsgelände zu geben. Er zeigt uns einen Werkzeugschuppen, eine ausgeschlachtete Diesellok, verrostete Waggons im Grünen, einen Einbaum am Trockenen. Was zum Teufel macht der da?
Diebe, erklärt der Inspektor. Sie seien damit über den Fluss gekommen, um Eisenteile zu stehlen. Man habe sie vertrieben und ihr Flaggschiff hierhergeschafft. Gute Idee, finde ich. So hat keiner was davon. Eine klassische Lose-Lose-Situation.
Nach einer knappen Stunde verlassen Viktor und ich den freundlichen Hafenbahnhof und schlendern still zurück durch die Allee der Toten Villen. „Muss wirklich schön gewesen sein hier in der Kolonialzeit“, entschlüpft es mir zu meinem eigenen Schrecken.
Viktor blickt auf. „Malheureusement“, hebt er an, wie das Gesetz des Dschungels es befiehlt. „Malheureusement sind wir keine Kolonie mehr.“
GUESTHOUSE MELISSA
MITTAGSMAHL UND MODESCHAU
Kinshasa ist eine Stadt von ungefähr vierzehn Millionen Einwohnern, genau weiß das niemand. Wer dort fein essen gehen möchte und genügend Geld im Sack hat, kann sich an ausgezeichneter französischer, italienischer oder chinesischer Küche delektieren. Aber dazu muss man nicht über den Äquator fliegen, oder? Also ab in ein richtig kongolesisches Etablissement.
Ruhe vor dem Sturm
Das Guesthouse Melissa ist leer. Mehr als leer. Verlassen. Der ummauerte Innenhof wirkt, als hätte sich seit Jahren keiner mehr hineingetraut. Der Pool in der Mitte erinnert an einen aufgelassenen Fischteich, auf dessen trübem Grund vielleicht noch der eine oder andere bemooste Karpfen schief seine Kreise zieht.
Wir schauen Hendryk an. „Freunde“, hat Hendryk am Vortag gesagt, „morgen machen wir einmal was anderes: Wir feiern mit meinen kongolesischen Bekannten. Mittagessen und Modeschau im Guesthouse Melissa in Limete.“
Wir hätten es natürlich besser wissen müssen. Es ist Vorsicht geboten, wenn ein Etablissement sich „Melissa“ nennt. Und ganz besonders, wenn es sich in Limete befindet, der Bronx von Kinshasa. Aber nun sind wir einmal hier, am bröckelnden Ufer des Moderpools, und es ist keiner mehr da. Was wiederum kein Wunder ist, denn das Mittagessen war auf zwölf Uhr dreißig angesetzt. Jetzt ist es vierzehn Uhr dreißig. Schuld ist Arlette.
Arlette ist Hendryks kongolesische Freundin, eine hübsche, rundliche Person, deren erste große Liebe wohl noch in die Zeit des seligen Diktators Mobutu fällt. Hendryk trägt sie auf Händen, ungeachtet ihrer schwerwiegenden Hüften. Im Augenblick aber wirkt Hendryk ein wenig genervt, denn wie gesagt: Arlette ist schuld an unserer Verspätung. Als wir aufbrechen wollten, war sie noch im „Salon“, einer Bretterbude in einer staubigen Straße von Limete, um sich ihr Haarteil anheften zu lassen, einen verwegenen Dutt, der ein wenig an einen Bandkeramikbecher aus schwarzem Plastik erinnert. Dann hat sie drei ihrer Pagnes1 probiert, nur um sich schließlich für einen einzigartig unspektakulären Minihosenrock zu entscheiden, der ihre Hüften zur Geltung bringt. Vorteilhaft? – Fragen Sie nicht. Hendryks vorwurfsvolle Blicke bringen sie nicht im Geringsten in Verlegenheit. Im Gegenteil, Arlette lacht. „Das habt ihr jetzt von eurer Hetzerei. Das ist ein kongolesisches Mittagessen!“
„Das ist gar kein Mittagessen“, maule ich.
Arlette lächelt weiter: „Wir sind die Ersten.“
Balu der Bär ist der Erste von uns, der sich wieder fängt. L’ours Balou ist der Spitzname von Philippe, dem französischen Fallschirmpionier. (Sachen gibt’s in der französischen Armee!) Philippe probierts mit Gemütlichkeit, die sich auch einstellt, als nach einer gefühlten halben Stunde eine Kellnerin aus dem Haus schlurft. Ihr Gang sagt deutlich, dass es hart ist, am Teich der Toten Karpfen zu leben. Aber schließlich kredenzt sie uns doch eine Runde Bier.
„A votre soif “2, sagt Balu und lehnt sich in seinem hellblauen Plastiksessel zurück. Balu weiß, was Durst ist. Er war schon in Mali, an der Elfenbeinküste und im Tschad eingesetzt und hat kürzlich eine Uhr für Afrikaner konstruiert, erzählt er. Das Ziffernblatt halb weiß, halb schwarz; nur zwei Anzeigen: Tag – Nacht.
Alle lachen, bis auf Arlette. Die nickt zufrieden: „Endlich hat einer von euch Mundele3 kapiert, was wesentlich ist.“
Eine Stunde später wird der Grill hereingetragen. Als die Dämmerung hereinbricht, ist die Holzkohlenglut so weit, dass man die ersten Würste auflegen kann. Uns wird bis dahin nicht fad, denn schön langsam tröpfeln andere frühe Gäste in den Hof. Und die sind sehenswert. Schließlich kommt man zu einer Modeschau, und da präsentiert man seinen feinsten Zwirn. Das Wetter begünstigt kühne Kombinationen, denn es ist Winter in Kinshasa. Das Thermometer fällt auf klirrende siebenundzwanzig Grad. Wann, wenn nicht jetzt, kann man seine Pelzjacke ausführen. Zu Shorts, versteht sich – und immer cool bleiben, Moninga!4
„Cool, Moninga!“
Die Würste sind perfekt, ebenso wie die Pommes frites, von den Kongolesen liebevoll Fou-fou belge genannt, belgisches Fou-fou.5
Jetzt fehlt nur noch die Modeschau. Leider lässt es sich die veranstaltende Agentur nicht nehmen, zuerst ihre anderen Künstler zu präsentieren. Das Programm beginnt mit einem Komödianten, der uns zwanzig Minuten lang mit einem Monolog bearbeitet, der nach einer wüsten Schimpftirade klingt, die wir nicht verstehen, und die niemand lustig findet. Ich an seiner Stelle hätte mich nach spätestens zehn Minuten im Pool ersäuft. Er aber ist völlig schmerzfrei. „Wie war ich?“, fragt er mich nach seinem von allen heiß ersehnten Abgang. „Kitoko mingi – Spitzenklasse“, antworte ich. Ich muss mich einmal erkundigen, was „Schleimer“ auf Lingala heißt.
Danach kommt eine Boygroup, die es schafft, die kongolesische Rumba zu so etwas wie Hip-Hop zu vergewaltigen. Wobei Kenner natürlich wissen, dass die kongolesische Rumba die Wurzel aller populären Musik ist.6
Am Catwalk von Limete
Wie auch immer, selbst Balu der Bär drängt mittlerweile zum Aufbruch. Ich muss meine Freunde mit einer weiteren Runde Bier zum Bleiben zwingen. Eine lohnende Investition, zeigt sich gegen zweiundzwanzig Uhr. Denn die Modeschau auf den geborstenen Fliesen rund um den Weiher der Verzweifelten Welse reißt alle vom Hocker, die sich von diesem Abend nicht mehr viel erwartet haben. Die natürliche Anmut, mit der sich die Models aus der Gosse von Limete bewegen, ist atemberaubend.
Noch während die Rufe nach Zugabe über den Pool wogen, geselle ich mich zur Chefin der Agentur, die aus dem Hintergrund heraus zufrieden ihren Erfolg belauert. Madame Carine ist von einer etwas unheimlichen Schönheit; ein ehemaliges Topmodel, sagt sie. Ich bin geneigt, ihr aufs Wort zu glauben. Ihre sanfte, tiefe Stimme ist berückend. „Tanz, Gesang, Sprache, Auftreten, das ist es, was wir unseren Künstlern vermitteln. Unser Traum …“,