Was mich umtreibt. Galen Strawson
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Wie vielleicht alle Kinder, sehnte ich mir, als ich noch sehr klein war, eine gute Fee herbei, die mir jedweden Wunsch erfüllen könnte. Ich wusste bereits aus den mir bekannten Märchen, dass es wohl wenig klug wäre, alle meine zukünftigen Wünsche von dieser Fee erfüllen zu lassen, denn wenn sich etwas rächt, dann Habgier. So wünschte ich mir also ausschließlich, endlich schlafen zu können, wann immer ich wollte – auch wenn es noch so verlockend erschien, sich eine Süßigkeiten-Maschine herbeizaubern zu lassen.
Eine kindliche Fixierung auf den Tod ist zwar eine Besonderheit, ungefähr so, wie als Linkshänder oder mit roten Haaren geboren zu werden, aber nicht unbedingt außergewöhnlich, wie ich 1974 herausfinden sollte, als mir das Buch The Discovery of Death in Childhood and After von Sylvia Anthony in die Hände fiel. Bereits Dreijährige können sich des Todes sehr bewusst sein. In den späten Siebzigerjahren, meine Tochter war ungefähr drei, hatte einer ihrer Spielkameraden mit starken Todesgedanken zu kämpfen. Im Gegensatz zu mir war er jedoch in der Lage, seinen Ängsten offen Ausdruck zu geben. Wurde die Angst des Nachts zu groß, schrie ich manchmal. Kamen dann meine Eltern zu mir, was durchaus nicht immer der Fall war und lang anhaltendes Weinen erforderte, behielt ich alles für mich und erfand schnell einen Albtraum, in dem ich von Wölfen verfolgt wurde. Ein Grund dafür, dass ich meinen Eltern die Gedanken über Tod und Ewigkeit nicht anvertrauen konnte, war sicherlich, dass ich tief im Innern bereits wusste, dass ich richtig lag, und dies nicht auch noch aus ihrem Mund bestätigt wissen wollte. Vergeblich versuchte ich dann, die Ritterfiguren von meiner Zimmertapete zu meiner Verteidigung einzusetzen – auch sie waren nicht gegen die Ewigkeit gewappnet. Immer wieder erfand ich eine Geschichte von einem kleinen Jungen, der mit seiner Mutter in einem rot-weiß gepunkteten Fliegenpilz wohnte, nur um meine Gedanken vom Tod abzulenken. An viel erinnere ich mich nicht mehr, aber meine Einbildungskraft reichte nie lang genug aus, um alles Düstere aus meinen Gedanken zu verbannen.
Der Tod war also eines der ersten Themen (und damit meine ich die eigentlichen, großen Themen, Fragen «kosmischer Ordnung», nicht Dinge wie die Größe meiner Ohren oder die Gepäckausgabe in Heathrow), die mich nachhaltig beschäftigten, und doch nimmt er in diesem Buch nur einen marginalen Platz ein. Seither bin ich mein Leben lang ein Mensch geblieben, der von Besorgnis umgetrieben wurde, und damit bin ich nicht allein. Wir alle sind im «kosmischen Sinne» verstört, sobald wir uns nicht ausschließlich darum kümmern müssen, zu überleben, es warm zu haben oder uns zu ernähren, wie es leider viel zu vielen Menschen auf dieser Welt ergeht. Natürlich sind einige Menschen in höherem Maße besorgt als andere, aber dies kann allein der Tatsache geschuldet sein, dass wir mehr Zeit dazu haben, uns Gedanken zu machen. Vielleicht haben wir nur deshalb mehr Zeit, weil wir «Schlaflose» sind. Besäße ich ein magisches, unfehlbares Instrument zum Messen meiner Betroffenheit, einen «Sorgometer», ich läge bestimmt oberhalb der 85 Prozent – wie weit darüber, vermag ich nicht zu sagen –, und doch mäße dieser «Sorgometer» nur die bewussten, offen zutage tretenden Ängste.
Die hier zusammengestellten Texte beschäftigen sich mit der Freiheit des Willens, dem Bewusstsein, dem Tod, aber auch damit, was es bedeutet, als Philosoph ein wahrhafter «Naturalist» zu sein, einer, der an nichts Übernatürliches glaubt. Sie handeln von der Idee des Ichs, dem Bewusstsein, ein Selbst zu sein oder eines zu besitzen; von diesem Selbst in der Zeit, vom Narrativen im Leben und en passant von menschlicher Leichtgläubigkeit ohne Grenzen. Bei den Kapiteln, welche das «Narrative», also das «Erzählerische» abhandeln («Ein Irrtum unserer Zeit» und «Das ungeschichtliche Leben») schwingt etwas Polemik mit, denn ich schrieb sie gegen den anscheinend allgemein verbreiteten Konsens, dass jeder, der sein Leben in irgendeiner Form «anpasst», notwendigerweise auch ein «narratives» Leben führt. Meines Erachtens liegt dieser Sicht eine schwerwiegende, ja sogar schädliche Fehleinschätzung zugrunde. Es berührt mich immer noch zutiefst, wie viel Dankbarkeit mir im Laufe der Jahre dafür entgegengebracht wurde, dass ich dem meine eigene Position entgegengesetzt habe. All jene Menschen bestätigten mir, dass sie sich immer irgendwie «falsch» gefühlt hätten, nicht in der allgemein anerkannten «narrativen» Art zu leben. Ihr Echo macht all die Feindseligkeiten wett, die ich durch Verfechter des «Pro-Narrativen» erfahren musste. (Was bedeutet es überhaupt, «narrativ» zu leben? Ich weiß es bis heute nicht, und ich glaube, ich kann auch keinen besseren Erklärungsversuch unternehmen als auf den Seiten 255f.)
Vor rund zehn Jahren, kam es mir in den Sinn, dass meine «nicht-narrative» Sicht des Lebens (wie auf den Seiten 65-68 erläutert) in der 1995 begonnenen Einnahme des Antidepressivums Fluoxetin begründet liegen könnte. Zumindest könnte dies jemand mutmaßen, der nicht daran glaubt, dass ein Mensch von Natur aus überhaupt in der Lage ist, eine «ungeschichtliche» Sicht auf das Leben zu haben. Zu keinem Zeitpunkt war ich selbst jedoch von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt, denn ich kannte zahlreiche Personen, die trotz der Einnahme von Fluoxetin eine stark narrative Sichtweise beibehielten. Einige Jahre später stieß ich auf einen Tagebucheintrag aus dem Juli 1994, einer Zeit, lange bevor ich mich mit diesem Thema befasst hatte: «Nichts Narratives, keinerlei Entwicklung in meinem Leben. Es scheint mir, mein Leben habe keine weitere Ausdehnung als über den jeweiligen Moment hinaus – dass ich eine Person bin, die von einem Tag zum anderen fortbesteht. Zum Teil traf dies wohl schon immer zu, es hat sich allerdings in letzter Zeit gravierend verstärkt. Was den einzelnen Tag überdauert und ihn mit dem folgenden verbindet, sind Probleme oder noch zu erledigende Dinge. Sie halten mein Leben zusammen. Ich besitze nicht wirklich ein Selbst. Ich denke, im Vergleich zu anderen, entspricht das der Wahrheit.» Manch einem mag es seltsam erscheinen, dass eine Person zutiefst von der Vorstellung des Todes verängstigt sein kann, ohne das eigene Leben wirklich als «Lebensgeschichte» zu begreifen. Eigentlich ist die Erklärung recht einfach, sie bedarf allerdings auch einer näheren Erläuterung, da die Diskussion um das «Narrative» oft recht konfus geführt wird.
Für alle «Nicht-Narrativen» sind Søren Kierkegaards Schriften Inbegriff der irrigen Annahme, dass nur ein strikt auf die eigene Geschichte gerichtetes Leben dem Urteil der Unendlichkeit standhält. Kierkegaard postuliert, dass es absolut notwendig sei, sich selbst im Blick zu behalten. In Die Krankheit zum Tode, unter dem Pseudonym Anti-Climacus veröffentlicht, schreibt er: «Im Grunde kommt jeder in der Ewigkeit so an, dass er die genaueste Anzeige auch von jeder geringsten Kleinigkeit, die er verübte oder unterließ, selbst mitbringt und abliefert.» Jeder habe also «bis ins kleinste Detail» Rechenschaft über sein Leben abzulegen.
Johann Wolfgang von Goethe bietet ein erstes Gegenargument:
«Nehmen wir sodann das bedeutende Wort vor: ‹erkenne Dich selbst›, so müssen wir es nicht im asketischen Sinne auslegen. Es ist keineswegs die Heautognosie (i.e. Selbst-Erkenntnis) unserer modernen Hypochondristen, Humoristen und Heautontimorumenen (i.e. Masochisten) damit gemeint; sondern es heißt ganz einfach: gib einigermaßen Acht auf Dich selbst, nimm Notiz von Dir selbst, damit du gewahr werdest, wie Du zu Deinesgleichen und der Welt zu stehen kommst. Hierzu bedarf es keiner psychologischen Quälerei, jeder tüchtige Mensch weiß und erfährt, was es heißen soll; es ist ein guter Rat, der einem Jeden praktisch zum größten Vorteil gedeiht.»
In ihrem Buch The Sovereignty of Good untermauert Iris Murdoch diese These. Sie stellt die Idee der Selbst-Erkenntnis als Befreiung infrage und bringt ihr ein tiefes Misstrauen als «Mechanismus der Phantasie» entgegen. Ihrer Auffassung nach kontrolliere dieser Mechanismus unser ethisch-emotionales Welt-Verständnis:
«Selbst-Erkenntnis