Was mich umtreibt. Galen Strawson
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«In der ersten Person überlasse ich meine Beschreibung der Akzeptanz der anderen, für deren Selbstbeobachtung es [die Kontinuität] sich als wahr erweisen mag, und gestehe meine Unfähigkeit, den Anforderungen anderer zu entsprechen, wenn es andere gibt.»
Als James dies schrieb, wird er wohl kaum ernsthaft in Betracht gezogen haben, dass es jemanden gibt, der anders empfindet als er selbst. Ebenso wenig wird Hume davon ausgegangen sein, dass manche Menschen, wenn sie den Blick nach innen richten, ein gleichförmiges, fortdauerndes «Selbst» vorfinden, auch wenn er, Hume, sich sicher ist, dass ein «solches Prinzip» nicht in ihm zu finden sei. Für mich dagegen steht außer Frage, dass andere Menschen anders sind als ich selbst. Allerdings denke ich, dass meine Art des «Selbst-Erlebens» gleichwohl Teil des normalen menschlichen Erfahrungsspektrums ist, auch wenn sie die Normalität einer Minderheit repräsentiert – einer Minderheit, die in etwa der Häufigkeit roter Haare entspricht.
Die gleiche Divergenz findet sich bei der Merkbzw. Erinnerungsfähigkeit der Menschen. Manche verfügen über ein exzellentes «autobiografisches» Gedächtnis und eine außergewöhnlich lebhafte Erinnerung, die nicht nur verlässlich, sondern ebenso nachhaltig ist. Häufig ist dieses Erinnern sehr aktiv und vermischt sich mit gegenwärtigen Gedanken. Andere dagegen verfügen nicht über ein solch ausgeprägtes persönliches Gedächtnis. Ihr Erinnern verläuft in sehr ruhigen Bahnen und greift fast nie in das gegenwartsbezogene Denken ein. Gleichermaßen variierend zeigt sich die Vorstellungskraft der Menschen, ihre Fähigkeit, Dinge zu antizipieren oder Vermutungen über die Zukunft anzustellen.
Diese Differenzen treten in Wechselwirkung miteinander. Es scheint, dass manche Personen in einer «narrativen» Weise leben und fälschlich annehmen, jeder andere tue dies gleichfalls. Sie erfahren ihr Leben als etwas, das eine Gestalt und eine Geschichte aufweist, als eine Erzählhandlung. Einige führen Tagebuch mit Blick auf die Nachwelt oder entwerfen gar ihre zukünftige Biografie. Andere sind in weitaus größerem Maße «Selbst-Erzähler»: Sie repetieren ihre Erinnerungen regelmäßig und ändern die Interpretation ihres Lebens immer wieder von Neuem ab. Manche sind großartige Planer, die ihr zukünftiges Leben in «Langzeitprojekten» durchstrukturieren. Andere dagegen haben keine frühen Ambitionen, keine späte Erkenntnis einer Berufung, kein Interesse daran, eine Karriereleiter zu erklimmen. Sie besitzen nicht die Tendenz, ihr Leben als Entwicklung zu betrachten, als eine aufeinander aufbauende Lebensgeschichte. Für sie stellt es sich vielmehr als episodische Abfolge einzelner Lebenssituationen dar, zwischen denen sie zu gegebener Zeit wechseln. Manche Menschen planen wenig und sorgen sich kaum um die Zukunft. Manche leben intensiv in der Gegenwart. Manche sind einfach ziellos. Dies kann zum einen durch den Charakter bedingt sein, zum anderen als Folge besonderer spiritueller Übungen auftreten. Sowohl Mittellosigkeit – das absolute Fehlen von Chancen – als auch übergroßer Wohlstand können dazu führen. Es sind die Träumer, Mystiker, Freaks dieser Welt oder aber diejenigen, die hart arbeitend nur von einem Tag zum nächsten zu denken vermögen. Die Ursachen sind hier schillernd. Es gibt Kreative, denen es an Ambition oder langfristigen Zielen mangelt – die Sprunghaften, die von einem kurzen Projekt zum anderen leben, und auch jene, denen ganz «en passant» ein großes, umfangreiches Werk gelingt. Andere hingegen sind, manchmal ohne es zu wissen, in ihrem Charakter sehr beständig, eine Bedingung, unter der das «Selbst» leicht als Kontinuität wahrgenommen werden kann. Dann gibt es noch diejenigen, die beständig in ihrer Unbeständigkeit sind, die sich selbst dauerhaft als «Stückwerk» empfinden, welches sich immer wieder neu zusammensetzt. Und zuletzt auch solche Menschen, die wie betäubt durchs Leben gehen.
Ich selbst befinde mich irgendwo am «episodischen» Ende des Spektrums. Ich habe kein Empfinden meines Lebens als Lebensgeschichte und interessiere mich kaum für meine eigene Vergangenheit. Mein «biografisches» Gedächtnis ist schwach ausgebildet und hat kaum Auswirkungen auf mein gegenwärtiges Bewusstsein. Die Zukunft plane ich allerdings sehr wohl, und insoweit kann ich mich gedanklich durchaus als fortdauernde Präsenz auffassen. Aber diese Art von «Selbstverständnis» fühlt sich für mich fern und theoretisch an. Am besten umschreibe ich das für mich übliche Empfinden meiner selbst folgendermaßen: Ich glaube nicht, dass mein «Ich» als solches in der Zukunft existiert, der Mensch Galen Strawson hingegen schon.
Im Januar 1996 schrieb ich: Der Gedanke, es bis zu den Vorlesungen für das Wolfson College im März fertigstellen zu müssen, bereitet mir einiges Unbehagen, das die üblichen körperlichen Reaktionen mit sich bringt. Ich fühle die Anspannung unvermittelt und empfinde sie auf natürliche Weise als zu mir gehörig, auch wenn ich nicht das Gefühl habe, dass ich es selbst bin, der die Vorlesung halten wird. Es erscheint mir sogar rundheraus falsch, zu sagen, dass ich es sein werde. Das ist exakt, was ich fühle, und nicht etwas, das ich aufgrund irgendwelcher theoretischen Überzeugungen glaube. Warum fühle ich dann Angst? Wahrscheinlich ist die Empfänglichkeit dafür angeboren, quasi «fest verdrahtet» und verbunden mit dem Selbsterhaltungstrieb: Meine Zukunftsangst bewegt sich sicherlich im normalen menschlichen Rahmen. Sie ist biologisch begründet und autonom, insofern sie als etwas unmittelbar Spürbares fortdauert, ohne auf emotionaler Ebene zu gründen, denn es ist ja nicht mein augenblickliches «Ich», das morgen sein wird.
Meine Art von «Selbsterfahren» ist nur eine unter vielen. Ohne Zweifel gibt es weit extremere Formen. Ich habe sie an dieser Stelle beschrieben, um meine These zu stützen, dass das «Bewusstsein vom Ich» nicht notwendigerweise Kontinuität über einen langen Zeitraum einschließt. Das «Selbst» als etwas Fortdauerndes zu erfahren mag verbreitet sein, es ist jedoch nicht universell. Bei manchen schwindet dieses Empfinden mit der Zeit, bei anderen durch Reflexion.
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Einige sind der Ansicht, dass Bewusstseinserfahrungen und -vorgänge fließen, gleichsam als «Bewusstseinsstrom». Unabhängig von jedweder theoretischen Annahme reicht ihnen zur Begründung die bloße Erfahrung.
Nach William James:
«Das Bewusstsein erscheint sich daher selbst nicht als in Stücke zerhackt. Worte wie ‹Kette› oder ‹Zug› geben nicht richtig den Eindruck wieder, den es unmittelbar von sich selbst gewinnt. Es besteht nicht aus verbundenen Gliedern; es fließt. Ein ‹Fluss›, ein ‹Strom›, das sind die Metaphern, durch welche es am natürlichsten versinnbildlicht wird. Wir wollen es also, wenn wir von nun an davon sprechen, den Strom des Denkens, des Bewusstseins oder des subjektiven Lebens nennen.»
Das war im Jahr 1890 sicher eine bahnbrechende Neuerung gegenüber dem damals in der Psychologie vorherrschenden Atomismus, der Bewusstseinsprozesse mit Metaphern wie Folge oder Kette, Sammlung, Bündel oder Haufen umschrieb. Der heutige Trend verleitet uns allerdings vielleicht dazu, das Bewusstsein zu sehr als Fluss aufzufassen. Ein wichtiger Aspekt: Wenn Bewusstsein als Strom empfunden wird, mag dies zur Erklärung beitragen, warum Menschen ein Gefühl von Dauerhaftigkeit haben.
In der Tat halte ich die Fluss-Metapher für unangemessen, selbst wenn man einwendet, dass ein Fluss ja auch Seen und Wasserfälle ausbildet (und natürlich Steine und Algen mit sich führt). Von Natur aus hat das Denken wenig Kontinuität. Ein Strömen ist kaum zu vernehmen, zumindest wenn ich von mir ausgehe. Mein Denken springt von bloßem Bewusstsein zu «Selbst-Bewusstsein» und wieder zurück. Es stürmt los, reißt ab, wallt auf und kehrt um. Für James verhält sich das Denken wie «das Leben eines Vogels im beständigen Wechsel flüchtiger Bewegung und Ruhe» – ein wunderbares Bild. Und doch bewegt sich der Vogel innerhalb des Raum-Zeit-Kontinuums. Der Vergleich lässt also außer Acht, dass die Gedankenfolge immer wieder unterbrochen wird durch Umwege, Brüche, Nebengedanken und das Hintergrundrauschen, vor allem dann, wenn wir unsere Gedanken schweifen lassen.
Anders stellt es sich dar, wenn wir unsere Aufmerksamkeit zielgerichtet auf geordnet ablaufende Prozesse in der Außenwelt lenken, beispielsweise bei einem schnellen, spannenden Spiel oder wenn wir Musik hören.