Über die Grenze. Майя Лунде

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Über die Grenze - Майя Лунде

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stand auf. Das Geräusch kam von draußen. Otto hörte offensichtlich nichts. Er schlief mit friedlichem Gesicht.

      Ich schlich mich ans Fenster und spähte hinaus. Der Mond erleuchtete den Garten. Zwischen den Apfelbäumen konnte ich eine weiß gekleidete Gestalt erkennen, die dort entlanglief. Dann sprang sie ab, flog durch die Luft und landete etwas weiter entfernt mit einem geräuschvollen Dunk.

      Seltsam.

      Ich öffnete das Fenster und kletterte hinaus. Von unserem Zimmer aus führte eine Feuerleiter hinunter in den Garten. Otto benutzte sie nie. Sobald er sich mehr als zehn Zentimeter über dem Erdboden befand, begann er nämlich zu schwanken, wahrscheinlich, weil er eine Memme war. Ich dagegen benutzte die Leiter ständig.

      Ich schlüpfte hinunter und schlich zu den Johannisbeerbüschen. Von hier hatte ich einen guten Blick.

      Die Gestalt war ungefähr so groß wie ich. Sie fuhr fort, zu laufen und durch die Luft zu fliegen – mehrere Male. Das war das Merkwürdigste, was ich je gesehen hatte. Ein Gespenst, das durch unseren Garten flog?

      Ich schlich näher.

      Plötzlich drehte sich das Gespenst um, starrte mir direkt ins Gesicht und blieb wie angewurzelt stehen. Es war ein Junge. Ein blasser, dünner Junge mit schwarzen Haaren. Und ziemlich hübsch.

      Er sah mich an, und ich sah ihn an.

      So standen wir eine ganze Weile. Mit einem Mal drehte er sich um und lief weg. Vorbei an den Apfelbäumen, den Blumenbeeten mit den Kartoffeln und um die Hausecke. Ich lief ihm nach. Als ich um die Ecke kam, war dort niemand – aber die Haustür stand offen. Er musste ins Haus geschlüpft sein.

      Ich betrat den Flur, machte die Tür hinter mir zu, legte die Sicherheitskette vor und sperrte ab. Unser Haus lag groß und still da. Ich blieb mitten im Flur stehen und überlegte. War er in den Keller hinuntergegangen?

      Vielleicht war es seine Stimme gewesen, die ich früh am Tag dort unten gehört hatte? Ich ging zur Kellertür, aber plötzlich drang aus der Küche ein leises Geräusch. Aha! Dort hatte er sich also versteckt. Jetzt hatte ich ihn!

      Aber ich hatte ihn nicht. Denn im selben Augenblick geschah etwas draußen auf dem Hof.

      Scheinwerferlicht glitt durch das Fenster und über die Wände des Flures. Eine Reihe von Autos raste donnernd auf unseren Hof. Türen wurden geöffnet, und schwere Stiefelschritte stürmten auf das Haus zu.

      Dann klingelte es. Ungestüm und lang anhaltend. Und jemand rief und hämmerte gegen die Tür.

      »Doktor Wilhelmsen!«

      Irgendjemand wollte etwas von Papa – mitten in der Nacht. Manchmal passierte es, dass nachts Patienten vor der Tür standen, aber nie so viele auf einmal.

      »Doktor Wilhelmsen! Machen Sie die Tür auf!«

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       Verstecken – aber nicht zum Spaß

      Der Erste, der in den Flur hinunterkam, war Otto. Seine Haare standen nach allen Seiten ab, und er blinzelte, während er seine Brille aufsetzte.

      Dann waren auch Mama und Papa da, in Nachthemd und Pyjama. Sie sahen auf einmal ganz klein aus. Beide zitterten in ihrem Nachtzeug.

      »Geht nach oben«, sagte Papa leise zu mir und Otto. Es war etwas Blankes und Dunkles in seinen Augen, etwas, was ich noch nie gesehen hatte. Auch ich zitterte in meinem Pyjama.

      Normalerweise hätte ich mich geweigert, aber nun tat ich, was er sagte – wegen dieser Augen. Otto und ich gingen nach oben, aber nicht in unser Zimmer. Stattdessen hockten wir uns auf die oberste Treppenstufe und sahen hinunter auf all das, was passierte.

      »Wilhelmsen! Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit! Machen Sie die Tür auf!«, schrien die da draußen.

      Papa warf Mama einen schnellen Blick zu. Sie nickte unmerklich. Dann ging er zur Tür, nahm die Sicherheitskette ab und drehte den Schlüssel herum. Sekunden später rauschte ein ganzer Haufen Polizisten herein. Es waren so viele, dass ich sie auf die Schnelle nicht zählen konnte – vielleicht waren es zehn.

      Sie liefen an Mama und Papa vorbei, teilten sich auf und verstreuten sich im ganzen Haus. Ein paar kamen die Treppe herauf.

      Warum waren sie hier? Hatte vielleicht jemand herausgefunden, dass ich an die Rückseite unseres Einkaufladens »Lehrer Knutsen ist eine Kackawurst« geschrieben hatte – war das der Grund? Aber die Polizei nahm ja keine Kinder fest. Das war zum Glück verboten.

      Und ganz offensichtlich war es nicht wegen »Lehrer Knutsen ist eine Kackawurst«, denn die Polizisten liefen an Otto und mir vorbei. Es war ganz klar, dass sie irgendetwas suchten. Oder irgendjemanden.

      Sie waren überall zur gleichen Zeit. Einige liefen in unser Zimmer, andere auf den Dachboden, wieder andere in Mamas und Papas Schlafzimmer. Sie guckten in absolut jeden Verschlag und jeden Kleiderschrank und warfen und wühlten alles fürchterlich durcheinander. Es war fast, als würden sie Verstecken spielen – aber nicht zum Spaß. Denn immerzu schrien und brüllten sie mit gellenden Stimmen: »Keiner da! Die Küche ist klar! Dachboden ist leer!« Und solche Sachen.

      Papa stand untätig herum und zitterte in seiner Pyjamahose. Auch Mama stand einfach da und sah zu, obwohl diese Leute mehr Unordnung machten als ich es je gemacht hatte, und Unordnung machte sie normalerweise ziemlich böse.

      Dann verschwanden die Polizisten im Keller.

      Mama griff nach Papas Hand. Ich bekam Herzklopfen, als ich die beiden Hände sah. Warum sagten sie nichts? Warum standen sie da und hielten einander an den Händen, während unser Haus auf den Kopf gestellt wurde? Und warum blieb die Polizei so lange im Keller?

      Ich konnte hören, wie sie dort unten herumlärmten.

      Lange.

      Dann fielen mir plötzlich der Schrank und die Stimmen ein, die ich vor Schreck vergessen hatte. Und ich hoffte, hoffte mit meinem ganzen zehnjährigen Herzen, dass sie den Schrank nicht bewegen würden und dass die, die sich dort versteckten, ruhig waren.

      Endlich kamen die Polizisten wieder herauf.

      »Der Keller ist leer«, sagte einer von ihnen.

      Ich atmete erleichtert auf.

      Mama ließ Papas Hand los, weiter geschah nichts.

      Die Polizisten bildeten einen Ring um sie.

      Ich erkannte einen der Polizeibeamten. Er war bestimmt der Chef des Ganzen. Vor dem Krieg hatte er auf dem Marktplatz die Rede zum 17. Mai, unserem Nationalfeiertag gehalten. Da war er froh gewesen und hatte eine wehende Fahne in die Sonne gehalten. Nun war er einfach nur wütend.

      Vor dem Krieg sagten die Erwachsenen, dass die Polizei auf uns aufpasste und Diebe einsperrte, damit wir in unserem Vaterland Norwegen sicher leben konnten. Aber das galt nicht mehr. Nun war die Polizei meist damit beschäftigt, das zu tun, was die Deutschen und die Nationale Sammlung bestimmten.

      Der

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