Hallo Änne, hier is Lisbeth .... Usch Hollmann
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Da hab ich ihr den Mund zugehalten. Und der Polizist? Der kuckt unser Tant’ Thea ganz entzückt an:
„Nä, wat schön! Wat häb ik dat lange nich hört! Genauso hew usse Oma immer met mi schaffuttert.“
Änne, wat soll ich dir sagen, der hat uns fahrenlassen, ohne Strafmandat! Die Sonne hätte schräg gestanden, könnte wohl sein, dat noch so eben Gelb war …, und seine Oma hätte immer noch gesagt: „Du minn’n Möppel und du Ossenkopp!“ Keine Beleidigungsklage, nix! Wat ham wir gelacht! Tant’ Thea sagt, jetzt hätte se sich den ganzen frustigen Nachmittag mit Hilfe vonne plattdeutschen Schimpfwörter vonne Seele geschimpft, jetzt ging’s ihr wieder gut. Und wir ham auffe Heimfahrt laut gesungen: „Und de junge Dorfpolizist kricht ne Karre voll Rindermist von usse Herrn Pastor siene Kauh, jau! Sing man tau, sing man tau …“
Rosen, Tulpen, Nelken
… Änne, ich muß mir eben de Lachtränen abwischen! Hör mal zu, kommt dir dat irgendwie bekannt vor?
„Wenn du einst in späten Jahren, dieses Album nimmst zur Hand, denk daran, wie froh wir waren auf der kleinen Schülerbank. Dies schrieb Dir zur Erinnerung Deine Freundin Änne.“
Nä, da is nix zum Lachen dran, dat is rührend, aber wat sonst in mein altes Poesie-Album steht … Ich hab dat rausgesucht fürs Klassentreffen und schon mal ’n bisken durchgeblättert, dat is ja ne Fundgrube. Hier zum Beispiel:
„Rosen, Tulpen, Nelken, alle drei verwelken, nur die eine Blume nicht, welche heißt Vergißmeinnicht. Gedenke oft an Deine Banknachbarin Ingrid.“
Oder hier, von Anita, die heute in Holland lebt:
„Liebe Lisbeth, werde alt, bis die Welt in Stücke knallt.“
Und Doris schreibt:
„Dein schönstes Kleid sei Güte und Bescheidenheit. Die Reinlichkeit sei Deine Freude, die ziert Dich mehr als Gold und Seide.“
Wat für große Worte für so elfjährige Dötzkes, die wir damals waren! Erinnerst du dich an Helga? Die schrieb immer wat von Goethe.
„Das Leben ist ein Kampf. Liege!“
Dat sollte wohl „Siege“ heißen, aber in ihre Kinderschönschrift mit Schnörkel sieht dat S wie ’n L aus.
Ich hab auch immer wat von Goethe genommen, wenn ich jemand ins Album schreiben durfte oder mußte: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Kurz und bündig, aber von Goethe. Mit Goethe kannste nix verkehrt machen.
Müllers Nelli? Und ob! Und wat die sich abgerungen hat:
„Ich saß im Garten und schlief, da kam ein Engel und rief, Nelli, du mußt dich beeilen, du mußt noch Lisbeth ins Album schreiben. Zur ewigen Erinnerung an Deine treue Freundin Nelli.“
Treue Freundin, dat ich nich lache! Ausgerechnet Nelli, die überall am Rumtratschen is, über jeden und jede, an niemand läßt die ’n gutes Haar, aber immer katzenfreundlich. Wenn ich der heute wat ins Album schreiben müßte, auf die fiele mir wohl wat ein. Zum Beispiel:
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“
Bestimmt auch von Goethe. Oder:
„Wenn über eine dumme Sache mal endlich Gras gewachsen ist, kommt sicher ein Kamel gelaufen, das alles wieder runterfrißt.“
Aber die würde so ne feine Anspielung vleicht noch nichmal verstehn.
Hier steht noch ’n frommes Sprüchsken von unser Tante Paula, de olle Gaffeltange. Wat war die ewig am Käbbeln! Ein Satansbraten auf zwei Beinen, aber jeden Sonntag mit ’n dikken Gebetbuch unterm Arm inne Kirche, mit schräggelegten Kopp, fromm und gottesfürchtig inne erste Reihe, dat jeder sie sehen mußte. Und mir hat se ins Album geschrieben:
„Wenn dich die Menschen kränken durch Verrat und Trug, sollst Du stets gedenken, was dein Herr ertrug.“
Also, so schöne Poesiealben gibt dat heute nich mehr. Heute sind da vorgedruckte Fragen drin, die man ankreuzen muß oder ausfüllen: mein Lieblingstier oder mein Lieblingssänger oder meine Lieblingspopgruppe. Wen interessiert dat denn in dreißig Jahren? Aber so wat will man doch nich missen:
„Hinter einem Eisengitter, liegt ein Herz, das weint so bitter. Heb es auf, zertritt es nicht, denn es heißt Vergißmeinnicht. Deine Cousine Margret.“
Änne, ich freu mich richtig auf unser Klassentreffen!
Mountain-Bike im flachen Münsterland
Hallo Anne, hier is Lisbeth. Na, wie war’s mit ne österliche Fahrradtour? Ich hab mein Rad so fein geputzt und geölt …, sieht ja aus wie ein Teil aussem Museum, aber läuft wie ’n Dittken.
Dabei hätt ich mir diese Woche bald ein neues gekauft. Ich war schon im Laden drin, weil ich dachte „Tu dir mal wat Gutes, man gönnt sich ja sonst nix.“ Aber da war ich so ein’m jungen dynamischen Verkäufer inne Finger gefallen, und der wollte mich partu zu ein’m „Bike“ überreden. Normal heißen die Dinger „Mountain-Bike“, also ein Fahrrad für inne Berge, aber dat trauen se sich hier im tellerflachen Münsterland doch nich zu sagen. Aber Flachland hin oder her, ein „Bike“ sollte ich mir zulegen, dat wär ein ganz anner Fahrgefühl wie so’n Hollandrad. Und dann hat der mich mit ein’m Fachjargong zugequasselt, dat mir Hören und Sehen verging: Dat Wichtigste wär, dat ich auf ein Hyperglide-Zahnkranz achte und ne Uni-Crown-Gabel, und dat Shamani, oder wie dat heißt, müßte mit ein’m Multicondition-System sein, Rapid-fire plus wär dat Zauberwort, und hat er mir auch zu ne Zwölf-Gang-Rasterschaltung geraten, dat ich leichter den Waldhügel raufkomme und ne vulkangepufferte Lackierung und rostfreie Felgen wären ne Selbstverständlichkeit, da braucht er ja wohl kein Wort drüber zu verlieren. Aber auf de neue Sattelgeneration müßte er mich aufmerksam machen, da hätten sich die Hersteller echt wat einfallen lassen: spezialgefedert und anatomisch völlig neu angepaßt und mit eine Gel-Füllung anne Hauptbelastungsstellen und nich irgendein Gel, sondern Gel-Royal mit Vitamin A angereichert, damit dat nich mitte Zeit klumpt. Und wenn ich mir so ein Rad leiste, dann würd ich bald mitsingen mitte begeisterten Fans: „Ja, wir sind mit’m Bikel da …“
Änne, da ritt mich auf mal der Teufel, ich konnte dat Gelaber nich mehr haben, und sag ich zu dem Schmalzlocken-Jüngling: Gelsättel? Die wären ja mega-out! Dat wüßten se ja sogar inne Kaffeegeschäfte, wo auch manchmal Fahrräder angeboten werden. Dat Neueste für ein’n guten Sattel wär Hühnerschwanzwolle, jawohl, japanische Hühnerschwanzwolle, unter Wasser geknispelt, mit Transpirationshemmer im doppelten Ledercover. Er wär offensichtlich nicht auffem aktuellen Stand, da würd ich erst doch mal lieber bei seine Mitbewerber kucken … Der sagte keinen Piep mehr.
Wie ich rausgeh, da flitzt er schon und blättert in seinen schlauen Katalog und sucht de neue Sattelgeneration mit Füllung aus japanische Hühnerschwanzwolle, natürlich unter Wasser geknispelt.
Zu Hause hab ich mir aus Wollreste ne neue Satteldecke gehäkelt, und nun gefällt mir meine alte Fietze so gut,