Porträt-Rezepte mit natürlichem Licht. Scott Kelby
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Weitwinkel-Objektive für Porträts vermeiden
Wenn Sie Menschen richtig gut aussehen lassen wollen, gebe ich Ihnen folgenden freundschaftlichen Rat: Machen Sie einen großen Bogen um Weitwinkel-Objektive. Denn diese verursachen Verzerrungen – und verzerrte Gesichter sehen in der Regel nicht besonders attraktiv aus. Zudem werden Teile des Motivs an den Bildrändern gestreckt, so wie der Fuß des Mannes im Bild oben. Dadurch sind Sie gezwungen, Ihr Motiv in die Bildmitte zu rücken. Aus diesen Gründen empfehle ich Zoom-Objektive mit einer Brennweite von mindestens 85 mm, die zu einer deutlich vorteilhafteren Abbildung Ihrer Motive führen. Ausnahmen bestätigen jedoch die Regel: Wenn die Umgebung in einem Porträt relevant für die gesamte Bildaussage ist, brauchen Sie ein Weitwinkel-Objektiv. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Rennfahrer, der vor seinem Boliden posiert, während im Hintergrund die Rennstrecke zu sehen sein soll. Mit einem Weitwinkel-Objektiv bannen Sie auf Kosten der vorteilhaften Abbildung der Gesichtszüge die gesamte Szenerie auf den Sensor, wodurch das Motiv in den Kontext mit seiner Umgebung gesetzt wird. Da die Verzerrung zu den Bildrändern hin stärker wird, sollten Sie bei der Verwendung eines Weitwinkel-Objektivs Ihr Motiv inklusive seiner Extremitäten so exakt wie möglich in der Bildmitte halten, um irritierende Verzerrungen des Gesichts und des Körpers zu vermeiden.
Sollten Sie jemals ein Porträt mit einem Weitwinkel-Objektiv fotografieren?
Einige sehr erfolgreiche Fotografen nutzen Weitwinkel-Objektive für Porträtaufnahmen, weil sie einen ganz bestimmten Look erzielen möchten. Solche Fotografen verfügen über fundierte Kenntnisse in Sachen Porträtfotografie – sie kennen die Regeln, was den Einsatz langer Brennweiten für bessere Ergebnisse betrifft, doch sie brechen diese Regeln ganz bewusst, um ihre kreativen Vorstellungen zu verwirklichen. Darüber hinaus sind sie sich der Einschränkungen von Weitwinkel-Objektiven bewusst und arbeiten innerhalb ihrer engen Grenzen. Spielen Sie selbst mit dem Gedanken, Weitwinkel-Porträts aufzunehmen, sollten Sie dies erst tun, nachdem Sie ausreichend Erfahrung im Umgang mit längeren Brennweiten gesammelt haben. Denn Sie können die Regeln nur brechen, wenn Sie diese kennen. Ich habe viele schreckliche Porträts von Fotografen gesehen, die nie den Umgang mit langen Brennweiten gelernt haben – ihre Unwissenheit spiegelt sich in der Qualität ihrer Bilder wider. Werfen Sie einen Blick auf die beiden Bilder oben. Die linke Aufnahme wurde mit einem Weitwinkel-Objektiv gemacht, während das rechte Bild vom gleichen Motiv in derselben Umgebung mit der schmeichelhaften längeren Brennweite entstand. Das linke Bild ist nicht schlecht, das Motiv ist ganz gut in Szene gesetzt, aber das rechte Foto zeichnet die Gesichtszüge des Modells viel vorteilhafter nach – ein Verdienst des verwendeten Porträt-Zooms. Deshalb sollten Sie nicht gleich mit Weitwinkel-Porträts beginnen, sondern sich erst einmal mit Objektiven mit längeren Brennweiten vertraut machen, bevor Sie sich für den Weg des Weitwinkels entscheiden.
Warum ich Nahaufnahmen mit 50-mm-Objektiven vermeide
50-mm-Objektive sind praktisch, wenn Sie beispielsweise die ganze Person bei Modeaufnahmen ablichten. Geht es allerdings nur um die Kopf- und Schulterpartie, kommt es zu unschönen Verzerrungen im Gesichtsbereich, die dem Motiv nicht gerade schmeicheln – gut zu sehen am Beispiel oben, bei dem ich lediglich das Objektiv gewechselt habe. Ich verstehe die Beweggründe, ein solches Objektiv zu kaufen: Man bekommt ein f/1.8 schon für rund 100 €, was unschlagbar günstig ist für eine Optik, die auch bei wenig Licht scharfe Aufnahmen produziert und einen ansprechend verschwommenen Hintergrund ermöglicht. Allerdings müssen Sie sehr nah an das Motiv herantreten, um bei dieser Brennweite einen unscharfen Hintergrund zu erhalten, was die Verzerrung verstärkt. Im Web raten sehr viele Fotografen (inklusive meiner Wenigkeit) vom Einsatz eines 50-mm-Objektivs für die Porträtfotografie ab. Auf der anderen Seite stoßen Sie beispielsweise in YouTube-Videos auf Slogans wie: »Warum Sie ein 50 mm-Objektiv für Portäts brauchen.« Beachten Sie dabei Folgendes: 1) Viele erfahrene Straßenfotografen machen mit kleiner Brennweite eher dokumentarische Aufnahmen wie von dem alten Mann im Park mit wettergegerbtem Gesicht, wobei die Attraktivität des Motivs in den Hintergrund tritt. 2) 50-mm-Objektive erzeugen einen charakteristischen Look, den manche Fotografen lieben. Deshalb haben sie mühsam gelernt, mit dieser Brennweite umzugehen. Fehlen diese Erfahrungswerte, würde ich Ihnen dringend davon abraten, Ihre Freunde mit solchen Objektiven abzulichten. Nicht umsonst empfehlen viele erfahrene Fotografen die Verwendung von Porträt-Objektiven mit langen Brennweiten ab 85 mm und raten von 50-mm-Linsen ab.
Nutzen Sie die Gegenlichtblende
Es gibt drei gute Gründe für den Einsatz der Kunststoffblende, die sich im Lieferumfang vieler Objektive befindet: 1) Diese sogenannte Gegenlichtblende reduziert bei Aufnahmen im Freien den Einfluss von Streulicht auf die Optik, das sich sonst als Blendenflecken (engl. »Lens Flares«) im Bild bemerkbar macht. Die farbigen Effekte mögen ganz nett aussehen, doch sie lenken vom Motiv ab und verringern den Gesamtkontrast des Fotos. 2) Der Kunststoffkörper bewahrt das Objektiv vor Kratzern. Die Gegenlichtblende hat die Frontlinsen meiner Objektive unzählige Male vor Schaden bewahrt. Deshalb sollten Sie die Blende nie abnehmen. 3) Man verzeihe mir die Bemerkung – aber solch eine Blende sieht einfach nur cool aus. Eine Gegenlichtblende verlängert ein ohnehin schon stattliches 70–200-mm-Objektiv erheblich, sodass andere Fotografen respektvoll Platz machen, wenn Sie damit auftauchen. Zugegeben: Der dritte Grund dürfte hauptsächlich männliche Fotografen ansprechen – wenn Sie als Vertreterin des weiblichen Geschlechts diese Zeilen lesen und sich denken »Typisch Mann …«, kann ich Ihnen nicht widersprechen.
Drei Faktoren für ansprechende, verschwommene Hintergründe
Für einen unscharfen Hintergrund ist nicht allein die Blendenzahl verantwortlich. Es ist vielmehr das Zusammenspiel aus offener Blende, Distanz des Motivs zum Hintergrund und langer Brennweite. Wenn ich den Hintergrund unscharf erscheinen lassen möchte und die Wahl habe zwischen hoher Brennweite und weit geöffneter Blende (also geringstmöglicher Blendenzahl), entscheide ich mich für die hohe Brennweite. Hole ich das Motiv bei f/5.6 oder f/6.3 nah heran und ist der Abstand zwischen Motiv und Umgebung groß genug, erhalte ich einen ansprechend verschwommenen Hintergrund. Ohne hohen Zoomfaktor ist der Hintergrund selbst bei Blende f/2.8 nur minimal oder sogar überhaupt nicht unscharf. Erst durch die Kombination der drei Faktoren Brennweite, Blende und ausreichend Abstand des Motivs zum Hintergrund erzeugen Sie den charakteristischen Blur-Effekt, der das Motiv deutlich vom Hintergrund trennt. Dabei gilt die Faustregel: Je größer der Abstand zwischen Motiv und Hintergrund ist, desto stärker