Elfenzeit 4: Eislava. Verena Themsen

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Elfenzeit 4: Eislava - Verena Themsen Elfenzeit

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fuhr sich mit schlanken Fingern durch das kurze blonde Haar. »Nicht mehr allzu lange, hoffe ich. Grog hat uns gewarnt, dass einige der Völker des Nordens viel Freude daran haben, einem die Durchreise so schwer wie möglich zu gestalten. Immerhin haben wir schon was zum Tauschen.« Sie machte eine Handbewegung zu den Taschen, die direkt vor dem Niedergang zur kleinen Kajüte in der Mitte des Cockpits standen. Modeschmuck, Stoffbänder, Porzellanfiguren, Naschwerk aller Art und andere Dinge waren darin gesammelt, was Rian zuletzt bei ihrem Halt in Kopenhagen gekauft hatte. Vieles davon würde ihnen Türen und Tore in der Anderswelt öffnen können, doch manches hatte Rian zweifelsohne für sich selbst reserviert. Wie zum Beispiel die Nougattrüffel, die neben ihr lagen und nach denen sie jetzt griff. »Wir durchqueren Gebiete, die nahe den Grenzen von Earrach liegen«, fuhr Rian fort. »Selbst zu guten Zeiten hat dort Fanmórs Wort nie so viel gegolten wie in Crain oder den anderen Kernländern. Jetzt, da die Tore versperrt sind, wird das mit Sicherheit nicht besser sein.«

      David nickte. Rian hatte Recht. Der Zusammenhalt der Teile des Reiches Earrach war als eher lose zu bezeichnen, soweit nicht Fanmór persönlich mit seiner unmittelbaren Macht eingriff. Mit Sicherheit gab es sogar Gegenden, in denen sie ihre Herkunft als Kinder Fanmórs besser verschwiegen, sei es, weil man dort während des Krieges im Stillen Bandorchu unterstützt hatte, sei es, weil man sich gern unabhängiger gesehen hätte, oder nach mehr Einfluss im Reich verlangte. Die Erinnerungen an Alberich, der die Suche der Geschwister nach dem Quell der Unsterblichkeit hatte ausnutzen wollen, um sowohl sie aus dem Weg zu schaffen als auch sein eigenes Aufsteigen zur Macht sicherzustellen, lagen nicht lange zurück. »Hoffentlich ist Nidhögg überhaupt noch da«, bemerkte er. »Über die Nordgötter wissen wir so gut wie nichts. Schon lange haben sie sich nicht mehr gezeigt. Wer weiß, ob sie überhaupt noch in ihren Hallen sitzen.«

      »Und auf Ragnarök warten«, setzte Rian hinzu. »Kannst du dich an Grogs Erzählungen über die Asen erinnern? Ist doch abartig, oder? Götter warten auf den Untergang der Welt.«

      David blinzelte sich Nebelwasser von den Wimpern. »Deswegen war Grog sicher, dass Nidhögg nach wie vor da sein wird … weil er danach aufräumen muss, für den Neubeginn. Die Asen gehen davon aus, dass nichts endgültig verschwinden kann.«

      »So wie ich.« Sie lächelte schief.

      Vor Davids innerem Auge blitzte das Bild von Rians totem Körper auf, gestorben an der klaffenden Wunde in ihrer Brust, die Alebins Dolch gerissen hatte. Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Das war etwas, worüber er nicht reden, woran er nicht einmal mehr denken wollte.

      »Aber die Frage ist: Weiß Nidhögg wirklich etwas über den Lebensquell?«, fragte er stattdessen.

      »Wir müssen uns an jeden rettenden Halm klammern«, antwortete Rian. »Zumindest wissen wir dann mehr.«

      David verzog das Gesicht. »Ein zerstörerischer Sammler und Fresser von Leichen …«

      »Er steht auch für den Neubeginn, weil er Ordnung bringt«, erwiderte Rian. »Der Beiname ›Neumond‹ deutet darauf hin – der Neumond ist das erste Leben, die erste schwache Sichel nach dem ›Tod‹ des Mondes. Er steht ebenso für die Wiedergeburt wie für den Tod davor. Vielleicht ist Nidhögg selbst sogar der Lebensquell für die folgende Welt, und er braucht die Toten, um diese Quelle für alle zu öffnen.«

      »Hoffen wir es mal. Und hoffen wir, dass Nadjas Befürchtung sich nicht bestätigt, dass bei ihm die Quelle aller Probleme liegt. Andererseits könnte das auch die Lösung bedeuten.« David drückte die Pinne etwas beiseite, um einem im Fluss treibenden Ast auszuweichen. »Auf wen ist der Drache eigentlich neidisch?«

      Rian zuckte die Achseln und griff nach einer Trüffelpraline. »Vermutlich auf alle, die im Freien leben. Insbesondere aber auf den Adler im Wipfel von Yggdrasil. Der ist wohl auch einer von denen, die auf Ragnarök warten, und wird sich genauso wie Nidhögg um die Toten kümmern, wenn es soweit ist. Aber der Adler hat da oben im Wipfel einen Logenplatz, von dem aus er alles überblickt, was in den Welten passiert, während Nidhögg nichts anderes sieht als Wurzeln, und noch nicht mal die Flügel strecken kann in seiner Höhle, geschweige denn fliegen. Kein Wunder, dass unter solchen Umständen so einiges an einem nagt und man auch selbst das Nagen anfängt.« Genüsslich an der Praline lutschend streckte sie die Hand wieder nach der Linie aus. Ihr Blick versank in dem sich langsam lichtenden Nebel, und David spürte, wie die Gedanken seiner Schwester zu wandern begannen.

      Eine Weile glitten sie so in Schweigen weiter den Fluss hinauf, wie seit vielen Tagen schon der Strömung entgegen, die sie an den Ursprung aller Kalten Flüsse führen sollte. Der Wind, der sie vorantrieb, war stetig, halb aus dieser Welt und halb aus einer anderen geboren. Sie segelten auf verschlungenen, immer nach Norden führenden Wegen – ein Netz aus Flüssen verschiedener Welten, dem zu folgen nur den Elfen möglich war.

      Sie hatten Stromschnellen durchschnitten und Flussdeltas durchfahren, in denen man kaum mehr die Ufer hatte sehen können, waren vorbei an Inseln aus Sand und Fels, an Wäldern, Feldern, Häuserfronten und Fabriken gesegelt. Die Natur des Landes hatte sich in dem Maße verändert, wie es kälter geworden war. Die Buchen waren Birken gewichen, die Nadelbäume häufiger und niedriger geworden, und der Fels, der aus dem Boden brach, war rundgeschliffen von Wind, Eis und Wasser.

      David ließ seinen Blick auf den Bäumen ruhen, die noch immer in lockerer Reihe die Uferböschung säumten. Die Sonne hatte inzwischen auch die letzten Nebelstreifen vertrieben und trocknete den Tau von den Blättern, der unter der Wärme aus dem Reif entstanden war.

      »David?«

      Der Prinz drehte den Kopf und begegnete Rians nachdenklichem Blick.

      »Was ist? Sind wir nah dran?«

      Seine Schwester schüttelte den Kopf. »Nein. Oder, ja, aber das war es nicht, was ich sagen wollte.«

      »Sondern?« Er hob die Augenbrauen. Es war selten, dass Rian nicht direkt mit der Sprache herauskam. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, wie es die Menschen so schön ausdrückten.

      Dieses Mal schien sie sich jedoch zum Sprechen durchringen zu müssen.

      »Ich fand es sehr mutig, dass du Fanmór gefragt hast, ob er wirklich unser Vater ist«, sagte sie schließlich. »Und … und dass du von unserer Mutter gesprochen hast. Mutiger als alles andere, was ich je von dir erlebt habe. Das wollte ich dir schon lange sagen.«

      Davids Gedanken wanderten zu jenem Moment im Thronsaal zurück, in dem er zum ersten Mal in seinem Leben so offen gegen den Herrscher der Crain angetreten war. Die kaum gebremste Wut des Riesen hatte ihm Angst gemacht, doch er hatte auch die darunter liegende tiefe Sorge gespürt.

      »Es war nicht mutig, es war nur … notwendig.« Er zögerte kurz. »Mutig war Nadja, als sie dich aus Samhains Reich zurückgeholt hat. Sie war diejenige, die am wenigsten dafür konnte, dass du dort warst, und die geringste Verpflichtung hatte, aber sie bestand darauf, es zu tun.«

      »Was wieder einmal zeigt, wie ähnlich ihr zwei Dickköpfe euch seid«, antwortete Rian mit einem Schmunzeln. »Beide habt ihr Fanmór die Stirn geboten. Und du hast es sogar zum Teil aus … aus Liebe zu ihr getan, oder? Irgendwie erinnert ihr mich manchmal an die Leute in meinen Lieblingsserien …« Das Lächeln flog von ihren Zügen. Sie biss sich auf die Unterlippe und sah wieder auf den Fluss hinaus.

      Über das Band, das die Zwillinge seit ihrer Geburt verband, spürte David ihren Zwiespalt. Sie mochte Liebesgeschichten, fand sie faszinierend, weil Elfen normalerweise keine Liebe kannten. Doch für ihn war es Realität geworden. Etwas war geschehen, damals im Kerker der venezianischen Insel Tramonto, als Nadja ihn befreit hatte. Das Tor zu Samhains Reich hatte bereits für ihn offen gestanden, sein Schatten

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