Machtmaschinen. Viktor Mayer-Schonberger

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Machtmaschinen - Viktor  Mayer-Schonberger

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ist kein Fairytelling. Vermutlich stimmen die meisten Anekdoten in dem Buch, und na­türlich war die Arbeitskultur des Silicon Valley ein wichtiges Erfolgselement beim Aufstieg von Apple, Google, Facebook und Co. Gutes Storytelling muss aber nicht die ganze Geschichte erzählen. Von Informationsasymmetrien und exklusiver Nutzung von Daten ist in dem Buch so gut wie keine Rede.

      Wie Google haben es im Grunde alle Superstarfimen gemacht. Sie teilten Wissen und Technologie in Bereichen, von denen sie wussten, dass sich Konkurrenten daran abarbeiten würden, die aber nicht kriegsentscheidend waren. Apple weiß genau, wer wann welche Apps auf sein iPhone lädt, teilt aber dieses Wissen nicht mit den App-Entwicklern. Das Gleiche gilt für die Medieninhalte bei Apple News. Und ohne den Zugang zu Daten werden die Lieferanten der Inhalte zu Commodity-Dienstleistern. Sie sind Apple ausgeliefert.

      Spotify arbeitet ganz ähnlich. Die Stockholmer Musikplatt­form weiß, wer seiner rund 300 Millionen Nutzerinnen und Nutzer wann welche Musik hört, hütet diese Daten aber wie Coca-­Cola sein Originalrezept. Und sie nutzt die Informations­asymmetrien, um in allen Verhandlungen mit Zulieferern die Oberhand zu behalten. Booking.com lässt uns vieles über die Angebote dort wissen. Das Unternehmen kennt aber auch die kapazitäts- und zeitabhängigen Preisalgorithmen der dort ver­tretenen Hotels und Pensionen genau, weil es diese täglich im Einsatz sieht. Aber niemand darf an die Daten, denn sie sind die Wurzel von Bookings Informationsmacht.

      Im Rückblick betrachtet scheint es so, als hätten die Innovatoren auf dem Weg zum Superstarstatus ausreichend viele Nebelkerzen gezündet. Sie konnten die eigentliche Quelle ihrer disruptiven Erfolge so lange verstecken, bis es für die ehemals wertvollsten Unternehmen der Welt zu spät war. Für die dabei besonders relevante Frage des Aufbaus und der Verstetigung von Informationsmacht haben sie ein besonders irreführendes Narrativ entwickelt. Diese Geschichte geht in etwa so:

      Digitalisierung hat der Welt eine unfassbar große Menge an Daten gebracht. Das weiß und versteht jeder. Die mit der Google-Bildersuche leicht zugänglichen Infografiken zum (an­geblich) exponentiellen Datenwachstum überbieten sich mit immer höheren Säulen, deren Maßeinheit Zettabyte ist. Ein Zettabyte umfasst eine Zahl mit 21 Nullen. Vorstellen kann sich das natürlich niemand, aber das ist für die irreführende Erzählung eher hilfreich. Offenkundig ist, dass die alten Un­ter­nehmen von diesem Datenüberfluss vollkommen überfordert werden. Sie haben die Supercomputer nicht, die mit Zetta­bytes zurechtkommen. Noch schlimmer: Ihnen fehlen die klu­gen Köpfe, die KI-Spezialisten, Datenwissenschaftlerinnen und Quants, die kraft ihres Geheimwissens über Algorithmen die Datenschätze in der neuen Big-Data-Welt finden und halten. Maschinelle Rechenkraft und die nötige menschliche Intelligenz, so das Narrativ, sitzt ungleich verteilt bei den digitalen Champions. Aus dieser doppelten Ungleichheit ergibt sich ihre informationstechnische Überlegenheit.

      Diese Geschichte klingt schlüssig, ist aber ein Schwindel. Die Geschichte fußt in dreifacher Hinsicht auf einem falschen technischen Verständnis.

      Erstens steht die nötige Rechenleistung für den Aufbau von Informationsmacht heute nicht nur wenigen Großunternehmen und Regierungen reicher Länder zur Verfügung, sondern allen. Dank Moore’schem Gesetz ist die Rechenleistung in den letzten 60 Jahren dramatisch gestiegen, ebenso die Speicher- und Übertragungskapazität von Information. Das bedeu­tet nicht nur, dass wir heute viel mehr viel schneller rechnen können als früher. Das Moore’sche Gesetz hat vor allem Kosten für alle gesenkt. Verstärkt wird dieser seit Jahrzehnten wäh­rende Trend seit einigen Jahren von Bezos’ Gesetz. Das be­schreibt in Anspielung an den Erfolg und die aggressive Preisstrategie der Amazon-Cloud-Sparte AWS, warum und wie Cloud-Computing den Zugang zur Verarbeitung von Informationen mit hoher Geschwindigkeit und großer Kapazität demokratisiert, inklusive der Softwareanwendungen, die auf den Cloud-Servern nutzbar sind.

      Die Kosten für Cloud-Dienste halbieren sich bei Amazon Web Services etwa alle anderthalb Jahre. In historischer Perspek­tive heißt das: In den 1960ern gab es nur wenige Computer und damit eine starke Hardwarekonzentration. Diese Konzentration ist Vergangenheit, und zwar nicht, weil jeder ein Smartphone in der Tasche hat, sondern weil Smart­phone, Tablet, Laptop und vor allem IT-Systeme von Fir­men jeder Größe den Zugang zu Cloud-Computing und damit zu nahezu unbeschränkter Rechenleistung zu niedrigen Kosten ermöglichen.

      In Extremform lässt sich die falsche Wahrnehmung von Rolle und Bedeutung von Rechenkraft in den Diskussionen um den Aufbau einer europäischen Dateninfrastruktur Gaia-X be­obachten. Es ist schade, dass kein europäisches IT-Unter­nehmen vor rund zehn Jahren mit der nötigen Verve in den Zukunftsmarkt für Dateninfrastruktur und Datendienste eingestiegen ist. Auch hier gilt: Niemand hat sie daran gehindert. Doch heute ist der Aufbau einer europäischen Dateninfrastruktur mit Steuermitteln ein Anachro­nismus. Es gibt dafür nicht zu wenige Anbieter, sondern zu viele.

      Aus der Ökonomie wissen wir: Infrastrukturen sind entweder Monopole und dann teuer – oder staatlich reguliert. Oder aber Infrastrukturen stehen in hartem Wettbewerb wie Mobilfunkanbieter in Großbritannien. Dann sind die Margen mit »Commodity-Dienstleistungen« klein. Im Cloud-Com­pu­ting ist Letzteres der Fall. Anbieter haben wie Telekommunika­tionsdienste den Charakter von »dumb pipes«. Sie ver­arbeiten zwar Daten, die Infrastrukturanbieter haben aber keinen Zugriff auf den Informationswert, der auf ihren Servern erwirtschaftet wird. Gaia-X – wir werden im fünften Kapitel noch ausführlich darauf zurückkommen – soll Europa »di­­gi­tale Souveränität« verschaffen. Das ist ein hehres Ziel, aber steuer­finanzierte »dumb pipes« führen nicht dorthin.

      Der zweite weit verbreitete Irrglaube ob der Gründe von informationstechnologischer Überlegenheit der digitalen Su­per­starfirmen lautet: Diese Firmen haben Algorithmen entwickelt, die sie als geistiges Eigentum hüten wie der Kreml Lenins Leiche. Nur GAFAM und BAT, so die Erzählung, kennen die ma­thematischen Lösungswege zur Datenweisheit. Das ist schlicht Unsinn. Die gängigen Algorithmen zur Datenanalyse werden von Forschenden an Universitäten entwickelt, in der Regel zeit­nah veröffentlicht und sind in Algorithmen-Bibliotheken frei zugänglich. Die derzeit angesagteste Datenanalysesoftware R etwa ist nicht nur Open Source, sondern kostenlos zum Download verfügbar und wird von einem Konsortium aus Entwicklerinnen und Entwicklern vor allem an Universitäten getragen. Das Gleiche gilt für viele gängige Methoden des Maschinellen Lernens. Auch für diese sind die wichtigsten Algorithmen seit Jahren bekannt und publiziert und entsprechende Werkzeuge und Anwendungen auf offenen Plattformen wie Github verfügbar. Gerade bei den Algorithmen praktizieren die Super­star­firmen eine erstaunliche Offenheit. Wenn sie diese tatsächlich selbst entwickeln, halten sie sie oft nur für eine gewisse Zeit proprietär. Und an einigen Stellen geht das Silicon Valley sogar noch einen Schritt weiter in Richtung Offenheit. Gründer wie Elon Musk finanzieren Plattformen wie Open.AI, auf der jeder und jede gut entwickelte Tools für Maschinelles Lernen kostenlos herunterladen kann und dann kommerziell nutzen darf.

      Das dritte und vielleicht spektakulärste Element in der gän­gigen Erzählung der Machtverschiebung durch digitale Dis­rup­tion ist das menschliche Genie, das der wahre Grund für den Erfolg sein soll. In der Popkultur der Science-Fiction hat der Ge­nius eine lange Tradition in der Figur des genialen Wissenschaftlers, der eine unglaubliche Erfindung macht, die alles ver­ändert. Mit der Rolle des hochbegabten Sheldon in der Kult-­TV-Serie The Big Bang Theory, später mit der eigenen Serie Little Sheldon geadelt, kam dieser Typus im digitalen Zeitalter an. Im Narrativ der Superstarfirmen wimmelt es auf ihren Campus nur so von kleinen Sheldons, die mit einsteinhafter Brillanz aus Daten Gold machen.

      Die Wahrheit aber ist: Es gibt zwar Datenalchemismus, wie wir ihn oben beschrieben haben, jedoch keine Datenal­che­misten. Auch die Datenwissenschaftlerinnen und -wissen­schaft­ler und Quants der großen Digitalunternehmen kochen mit dem Wasser der Mathematik und Statistik. Die große Über­legenheit der USA und Chinas auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz liegt nicht an der menschlichen Intelligenz in diesen Ländern. Europa kann bei Wissen und Wissenschaft zu Methoden und Modellen mithalten. Und bei gut ausgebildeten Datenwissenschaftlern ebenfalls.

      Was heißt

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