Die Abtei von Northanger. Jane Austen

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Die Abtei von Northanger - Jane Austen

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Thorpe war Witwe, und nicht einmal eine reiche; sie war eine gutmütige und wohlwollende Frau und eine sehr nachsichtige Mutter. Ihre älteste Tochter zeichnete sich wirklich durch große Schönheit aus, und die jüngeren wirkten auch gut, sie täuschten sich vor, ebenso hübsch zu sein, ahmten ihre Haltung nach und kleideten sich im gleichen Stil.

      Dieser kurze Bericht über die Familie Thorpe soll die Notwendigkeit einer langen und eingehenden Schilderung von Mrs. Thorpe, ihren früheren Abenteuern und Leiden ersetzen, die leicht einige Kapitel ausfüllen könnte über die Unwürdigkeit von Lords und Rechtsanwälten sowie über die unzähligen Unterhaltungen, die vor zwanzig Jahren stattgefunden hatten.

      Fünftes Kapitel

      Catherine war am Abend im Theater von Miß Thorpes Kopfnicken und Lächeln doch nicht so sehr in Anspruch genommen,um nicht in jeder ihrem Auge erreichbaren Loge nach Mr. Tilney auszuspähen. Aber sie schaute vergebens umher.

      Mr. Tilney schien für das Theater nicht mehr Neigung zu verspüren als für die Brunnenhalle. Sie hoffte, am nächsten Tag erfolgreicher zu sein; und als dann herrliches Wetter herrschte hegte sie keinen Zweifel mehr, denn ein strahlender Sonntag lockt in Bath alle Welt hervor.

      Gleich nach dem Gottesdienst gesellten sich die Thorpes und Allens zueinander; und als man nach längerem Aufenthalt in der Brunnenhalle festgestellt hatte, daß die Menschenmenge unerträglich und nicht ein vornehmes Gesicht anwesend sei -eine Entdeckung, die jedermann während der ganzen Saison an jedem Sonntag aufs neue machte -, eilten sie zum Crescent, um die frische Luft besserer Gesellschaft zu genießen. Catherine und Isabella gingen Arm in Arm und schwelgten unter rückhaltloser Vertraulichkeit in der Süßigkeit ihrer Freundschaft. Aber Catherines Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrem Tanzpartner wurde erneut enttäuscht. Nirgendwo war er aufzuspüren, alles Suchen blieb gleich erfolglos, sei es morgens in den Salons oder bei den abendlichen Veranstaltungen. Ebensowenig befand er sich unter den Fußgängern, den Reitern oder den Herren, die morgens ihre Kabriolets kutschierten. Sein Name war in der Kurliste nicht verzeichnet. Mehr konnte die Neugier nicht erreichen. Er mußte Bath verlassen haben, obgleich er nichts davon hatte verlauten lassen, daß sein Aufenthalt so begrenzt sein würde. Diese Art von Geheimnis, die einem Helden so wohl ansteht, warf eine Gloriole um seine Gestalt und sein Wesen und verstärkte Catherines Wunsch, mehr über ihn zu erfahren. Zwar war von den Thorpes, die erst zwei Tage vor der Begegnung mit Mrs. Allen in Bath angekommen waren, nichts zu erwarten. Aber es war wenigstens ein Gesprächsstoff, der sie immer wieder an ihn denken ließ. Auf diese Weise erlitt ihre Erinnerung keine Einbuße. Isabella war bald überzeugt, daß er ein reizender junger Mann und sehr entzückt von ihrer lieben Catherine sei. Darum würde er wahrscheinlich auch bald zurückkehren. Es gefiel ihr, daß er Geistlicher war, denn sie habe eine besondere Schwäche für diesen Stand, wie sie mit einem Seufzer gestand. Vielleicht hätte Catherine nach der Ursache dieser zarten Empfindung fragen sollen; aber sie war in den Abstufungen von Liebes- und Freundespflichten noch nicht bewandert genug, um zu wissen, wann ein Scherz am Platze war oder man auf der Enthüllung eines Geheimnisses bestehen mußte.

      Auch Mrs. Allen war jetzt recht zufrieden mit Bath. Endlich hatte sie die heiß erwünschten Bekannten und mit ihrer würdigen Freundin eine ganze Familie gefunden, die obendrein keineswegs so kostbar gekleidet war wie sie selbst. Statt des beständigen Wunsches: »Hätten wir doch Bekannte in Bath!« hieß es jetzt: »Wie froh bin ich, daß wir Mrs. Thorpe begegnet sind!« Sie pflegte diese Freundschaft ebenso wie Catherine und Isabella. Den größten Teil des Tages verbrachte sie mit Mrs. Thorpe, um, wie sie es nannte, Konversation zu treiben. Aber es war kaum ein Meinungsaustausch, da Mrs. Thorpe sich hauptsächlich über ihre Kinder und Mrs. Allen über ihre Toiletten verbreitete.

      Catherines und Isabellas warme Freundschaft entwickelte sich schnell. Sie nannten einander beim Vornamen, gingen immer Arm in Arm, steckten sich beim Tanzen gegenseitig die Schleppe auf und waren immer unzertrennlich. An regnerischen Tagen besuchten sie einander, trotz Schmutz und Nässe. Dann schlössen sie sich mit ihren Romanen ein. Ja, mit Romanen; denn ich will nicht in den kleinlichen und ungeschickten Fehler der meisten Romanschriftsteller verfallen, die sich durch die verächtliche Kritik der Werke, deren Zahl sie mit ihren eigenen Schöpfungen vermehren, ihren ärgsten Feinden anschließen. Nicht einmal ihrer eigenen Heldin gestatten sie, Romane zu lesen; nimmt sie aber zufällig einen solchen in die Hände, wird sie seine geschmacklosen Seiten sicherlich voll Abscheu umwenden. Ach, wenn die Heldin des einen Romans nicht von der Heldin eines anderen in Schutz genommen würde, wer sollte sich dann wohl ihrer annehmen und sie beschützen? Da kann ich nicht mitmachen! Überlassen wir es doch den Kritikern, die Früchte der Phantasie nach Belieben zu tadeln und sich über jeden neuen Roman in jenen fadenscheinigen Tiraden zu ergehen, unter denen jetzt die Presse stöhnt. Wir aber wollen einander nicht im Stich lassen, denn man greift uns als Gesamtheit an. Obgleich unsere Werke ausgedehntere und natürlichere Freude ausgelöst haben als andere literarische Schöpfungen, sind sie doch mehr verunglimpft worden als jede andere Art des Schrifttums. Wir besitzen mindestens ebensoviel Feinde wie Freunde. Während die Fähigkeiten des neunhundertsten Bearbeiters der Geschichte von England oder des Mannes, der in einem Sammelband etliche Verse von Milton, Pope und Prior, einige Spalten aus dem »Spectator« und ein Kapitel von Sterne veröffentlicht, von tausend Federn gepriesen werden, unterschätzt und verspottet man die Leistungen eines Romanschreibers und schmälert den Wert von Arbeiten, die sich nur durch Geist, Witz und Geschmack empfehlen. »Ich gehöre nicht zu den Romanlesern. - Ich schaue selten in Romane hinein. - Bitte, stellen Sie sich nicht vor, daß ich häufig Romane lese. - Für einen Roman ist das Buch eigentlich ganz nett.« So lautet das übliche Urteil. »Und was lesen Sie gerade, Miß . .?« »Oh, nur einen Roman!« erwidert die junge Dame und legt mit gezwungener Gleichgültigkeit oder plötzlicher Scham das Buch auf den Tisch. »Es ist nur >Cecilia< oder >Camilla< oder >Belinda<, kurz, ein Werk, das die größten Geisteskräfte und beste Menschenkenntnis verrät, die treffendste Abwandlung menschlicher Eigenart, lebhaften Witz und gute Laune in der gewähltesten Sprache vermittelt. Wenn aber die gleiche junge Dame soeben in einen Band des »Spectator« vertieft gewesen wäre, wie stolz würde sie das Buch vorzeigen und seinen Titel nennen! Obgleich es für sie nachteilig wäre, sich mit irgendeiner dieser umfangreichen Veröffentlichungen zu beschäftigen, die entweder im Gegenstand oder in der Art ihrer Wiedergabe einen jungen Menschen von Geschmack entsetzen müßten - denn sie handeln so häufig von unwahrscheinlichen Umständen, unnatürlichen Charakteren und Gesprächsstoffen, sind für keinen Lebenden mehr interessant, und ihre Sprache ist obendrein oft so grob, daß sie keinen allzu guten Eindruck von dem Zeitalter vermitteln, das dergleichen duldete.

      Sechstes Kapitel

      Die nun folgende Unterhaltung führten die beiden Freundinnen eines Morgens in der Brunnenhalle, nach ungefähr acht -oder neuntägiger Freundschaft. Wir wiederholen sie als Beweis ihrer warmen Zuneigung und ihres Taktgefühls, der Eigenart ihrer Gedanken und des literarischen Geschmacks, der ihre vernünftige Zuneigung auszeichnete. Sie hatten sich verabredet; und Isabella war fünf Minuten vor ihrer Freundin eingetroffen.

      »Was hat dich nur so lang aufgehalten? Ich warte schon eine Ewigkeit auf dich!« sagte sie. »Wirklich? Das tut mir leid. Aber ich habe tatsächlich geglaubt, ich käme rechtzeitig. Es ist eben erst eins. Hoffentlich wartest du nicht schon lange!«

      »Oh, eine Ewigkeit! Ich bin mindestens eine halbe Stunde hier. Aber komm, wir lassen uns am anderen Ende der Halle nieder. Ich habe dir eine Menge zu erzählen. Gerade als ich heute morgen fortgehen wollte, sah es nach Regen aus. Das wäre mir bitter gewesen, denn ich hatte in einem Schaufenster in der Milsom Street den entzückendsten Hut gesehen, den du dir vorstellen kannst. Er ist deinem sehr ähnlich, nur mit mohnroten statt mit grünen Bändern. Ich wollte ihn zu gern haben. Aber, liebste Catherine, was hast denn du den ganzen Morgen getrieben? Hast du in >Udolpho< weitergelesen? «

      »Ja, seit dem Aufwachen habe ich es nicht mehr aus

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