Philosophisches Taschenwörterbuch. Voltaire
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Voltaire
Philosophisches Taschenwörterbuch
Nach der Erstausgabe von 1764 zum ersten Mal vollständig ins Deutsche übersetzt von Angelika Oppenheimer
Nachwort von Louis Moland
Herausgegeben von Rainer Bauer
Reclam
Herausgegeben im Auftrag der Voltaire-Stiftung, Bad Liebenwerda (www.voltaire-stiftung.org).
Die Arbeit an der vorliegenden Übersetzung wurde gefördert vom Deutschen Übersetzerfonds.
2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Coverabbildung nach einem anonymen Stich »Aux grands hommes la patrie reconnaissante«, um 1793. © akg-images
Made in Germany 2020
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961765-7
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011307-3
Vorwort und Hinweise zur Benutzung
Voltaires Philosophisches Wörterbuch enthält Beispiele, Probestücke für aufgeklärtes Denken. Am Anfang steht dabei nicht das Wort, sondern die Beobachtung und die Erfahrung. Von diesen ›Eingangspforten‹ der Erkenntnis aus blicke man auf das, was unsere Vielwisser behaupten, die Autoritäten aus Wissenschaft, Politik und Kirche – und lache. Denn oft genug ist nur lächerlich, was sie ihren Schäfchen in voller Inbrunst der eigenen Machtvollkommenheit ein- und als bare Münze in vielen, Bibliotheken füllenden Büchern ausgeben, was doch, bei Licht betrachtet, oft wenig Wert besitzt – heute genauso wie vor 250 Jahren. Jeder einzelne der 73 Artikel ist ein Prüfstein auf diese Methode Voltaires – die Methode der Aufklärung. Hier ist sie am Werk und leitet uns an, Althergebrachtes und Traditionen wegzuräumen, wahr und falsch ganz alleine an der unmittelbar aufgefassten Wirklichkeit abzulesen.
Kurz müssen die Artikel sein, kurz und scharf – wie eine Waffe zum Schuss bereit, auf den Feind zielend, dabei zufällig den Buchstaben des Alphabets folgend, auf einen Feind, der einen einzigen Namen trägt: »l’Infâme«, die Kirche, deren Jahrhunderte altes Monopol auf die menschlichen Gehirne nach langer Zeit endlich verdient, gebrochen zu werden.
Handlich und preiswert musste ein Wörterbuch mit dieser Zielsetzung sein, denn: »Niemals werden zwanzig großformatige Bücher eine Revolution bewirken; es sind die kleinen Taschenbücher zu 30 Sous, die man fürchten muss. Das Christentum würde sich niemals durchgesetzt haben, wenn das Evangelium 1200 Sesterzen gekostet hätte.«*
Wenn Kant empfiehlt: Gebrauche deinen Verstand – würde ihm Voltaire entgegnen: ja, aber wie, wenn die Köpfe voller Unsinn stecken? Und er hat die Lösung bereit: Zurück zu den Quellen unseres Wissens, zur Beobachtung der ungetauften Natur und zur kritisch-historischen Quellenanalyse. Nicht: »Ich denke, also bin ich« ist sein Credo, sondern: »je suis corps et je pense«* – »ich bin Körper und ich denke«, das ist eine Verlagerung des philosophischen Schwerpunkts vom Kopf auf die Füße. Die Körper werden zwar, folgt man der kosmotheistischen Konzeption Voltaires*, von einer allgemein aufgefassten göttlichen Kraft angetrieben und »beseelt«, einer Kraft, über die jedoch aus Prinzip nichts Näheres ausgesagt werden kann, schon gar nicht von selbsternannten Predigern.
So lauten einige Anweisungen Voltaires für den Leser: Geht es um Liebe, beobachte die Natur; stellt sich die Frage, was es mit der geheiligten Beschneidung auf sich hat, vergleiche die Geschichte der Völker, die sie ausüben und erfanden, und willst Du etwas über die Herkunft der ehrwürdigen Vorväter der drei gefährlichen und stets zum Fanatismus neigenden monotheistischen Religionen erfahren, konsultiere die Quellen, vergleiche etwa die Textstellen der Bibel zum Leben Abrahams, erlaube Dir, dabei nachzurechnen, und: wundere Dich!
Diese Ausgabe folgt der Erstausgabe des Philosophischen Taschenwörterbuchs von 1764*, die damit erstmals vollständig in deutscher Übersetzung vorliegt.
In deutscher Sprache hat man meist ausgewählte Artikel des Dictionnaire mit anderen Artikeln Voltaires, etwa aus der Encyclopédie oder dem Werk L’Opinion en alphabet, gemeinsam veröffentlicht, nach dem Geschmack des jeweiligen Herausgebers. Dadurch ging aber der Charakter dieser antichristlichen und antikirchlichen Kampfschrift der Aufklärung verloren.
Um zu zeigen, wie das Philosophische Wörterbuch bei seiner Erstveröffentlichung, als es europaweit erhebliches Aufsehen erregte, genau aussah, wird hier auch auf die zum Teil sehr ausführlichen Ergänzungen, die Voltaire selbst in den Folgeausgaben des Dictionnaire (1765, 1767, 1769) an den Artikeln der Erstausgabe vorgenommen hat, verzichtet. Manche dieser Ergänzungen waren den Diskussionen der damaligen Zeit geschuldet, bei einigen wollte Voltaire ein Thema aus einer anderen Perspektive beleuchten, niemals hat er jedoch eine vorher gefasste Position widerrufen oder weggelassen.
Die Reihenfolge der Artikel folgt, mit Ausnahme des Artikels Guerre, der dort falsch eingeordnet ist, der französischen Erstausgabe. (Dabei sind I und J nach alter, aus dem klassischen Latein stammender Tradition derselbe Buchstabe.) Im Inhaltsverzeichnis werden die französischen Stichwörter, sofern erforderlich, mit ihrer deutschen Übersetzung aufgeführt. Am Ende des Buches befindet sich zur besseren Orientierung ein Verzeichnis, das die Stichwörter nach ihrer deutschen Übersetzung alphabetisch geordnet auflistet.
Die Anmerkungen bieten Informationen, die für das Verständnis des Textes notwendig sind, Quellennachweise und Hintergrundinformationen*. Dazu ergänzend befindet sich im Anhang ein alphabetisches Verzeichnis all der Personen, deren Kenntnis heute nicht mehr, wie zur Zeit Voltaires, vorausgesetzt werden kann bzw. bei denen es interessante Querverweise zu anderen Werken Voltaires gibt. Namen, die in diesem Verzeichnis enthalten sind, werden im Text in Fettdruck wiedergegeben.
Das Nachwort gibt einen Überblick über die Entstehung des Dictionnaire philosophique und die Verfolgungen, denen die, die das Buch besaßen, ausgesetzt waren.
Die Artikel Abraham; Âme; Amitié; Amour; Amour nommé Socratique; Amour propre; Ange; Apis; Circoncision, Fanatisme, Luxe, Miracles, Préjugés und Tolerance wurden vom Herausgeber übersetzt, bei allen anderen stammt die Übersetzung von Angelika Oppenheimer.
Ausführliche Erklärungen und Informationen, auch zum historischen Hintergrund, werden nach dem Erscheinen dieser Ausgabe fortlaufend auf den Internetseiten der Voltaire-Stiftung (www.correspondance-voltaire.de) veröffentlicht.
Der Herausgeber dankt insbesondere Frau Angelika Oppenheimer für ihre langjährige Arbeit an der Übersetzung des Dictionnaire philosophique und für ihre Bereitschaft, bei den immer wieder sich ergebenden Fragen zur Übersetzung geduldig das Für und Wider einer vorgeschlagenen alternativen Formulierung zu erörtern. Von den Personen, die ihr hilfreich zur Seite gestanden haben, seien hervorgehoben: Professor Dr. theol. Heinz-Josef Fabry, Professor Dr. theol. Hubertus Mynarek, Professorin Dr. Christiane Mervaud von der Voltaire Foundation, Oxford, und vor allem die Germanistin Ingeborg Malivet aus Nantes. Satzstruktur und Sprachstil der einzelnen Artikel prüfte kritisch die Germanistin Heike Monien von der Voltaire-Stiftung, Bad Liebenwerda, die Aufnahme der Grafikelemente besorgte das Fotostudio Chrysoula