Philosophisches Taschenwörterbuch. Voltaire

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Philosophisches Taschenwörterbuch - Voltaire

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auch Epikur gesagt. Aber, mein Freund, wie denkt ein Atom? Gib zu, dass du darüber nichts weißt.

      Gewiss muss man sich der Ansicht anschließen, dass die Seele ein immaterielles Wesen ist. Doch worin dieses immaterielle Wesen besteht, versteht ihr bestimmt nicht. »Nein«, antworten die Gelehrten, »aber wir wissen, dass es ihrer Natur entspricht, zu denken.« Und woher wisst ihr das? »Wir wissen es, weil sie denkt.«* O ihr Gelehrten! Ich fürchte wohl, ihr seid ebenso unwissend wie Epikur: es entspricht der Natur eines Steins, zu fallen, weil er fällt – aber ich frage euch, was bewirkt, dass er fällt?

      »Wir wissen«, fahren sie fort, »dass ein Stein keine Seele hat.« Einverstanden, davon bin ich genauso überzeugt wie ihr. »Wir wissen auch, dass eine Negation und eine Affirmation nicht teilbar, also nicht materiell sind.«* Da bin ich ganz eurer Ansicht. Aber die Materie, die uns im Übrigen unbekannt ist, besitzt auch nicht-materielle Eigenschaften, die nicht teilbar sind. So wird sie von der Schwerkraft gegen ein Zentrum hingezogen, das Gott ihr gegeben hat. Nun hat diese Gravitation keine Teile und ist in keiner Weise teilbar. Die Kraft, die Körper bewegt, ist kein aus Teilen zusammengesetztes Wesen. Das Wachstum belebter Körper, ihr Leben, ihr Instinkt, sind ebenfalls keine Einzelwesen, Wesen, die man teilen kann. Das Wachstum einer Rose, das Leben eines Pferdes, den Instinkt eines Hundes könnt ihr ebenso wenig zerteilen wie eine Empfindung, eine Negation, eine Affirmation. Euer schönes Argument, das ihr aus der Unteilbarkeit des Denkens gewinnt, beweist folglich gar nichts.

      Was also nennt ihr eure Seele? Welche Vorstellung habt ihr davon? Ohne Offenbarung könnt ihr in euch nichts anderes annehmen als eine euch unbekannte Kraft, zu fühlen und zu denken.

      Und nun sagt mir ehrlich, ob diese Kraft zu fühlen und zu denken dieselbe ist, die euch die Fähigkeit verleiht, zu verdauen und zu gehen? Ihr gebt zu, dass das nicht der Fall ist, denn es wäre vergeblich, wenn euer Verstand zu eurem Magen sagte: verdaue – er würde nichts dergleichen tun, wenn er krank ist; vergebens würde euer immaterielles Wesen den Füßen befehlen, zu gehen – wenn sie die Gicht haben, verharren sie an Ort und Stelle.

      Den Griechen war sehr wohl bewusst, dass das Denken oftmals nichts mit dem Zusammenwirken unserer Organe zu tun hat. Den Organen haben sie eine animalische Seele zugewiesen und dem Denken eine feinere, subtilere Seele, ein nous.*

      Doch da ist nun diese denkende Seele, die bei tausend Gelegenheiten über die animalische Seele die Aufsicht führt. Die denkende Seele befiehlt ihren Händen zu greifen, und sie greifen. Doch befiehlt sie ihrem Herzen nicht, zu schlagen, dem Blut nicht, zu fließen, dem Verdauungsbrei nicht, sich zu bilden, all dies geschieht ohne ihre Einwirkung: da wären nun zwei recht verlegene Seelen, die recht wenig Herr im eigenen Hause sind.

      Diese erste, animalische Seele existiert somit gewiss nicht, denn sie ist nichts anderes als die Bewegung eurer Organe. Gib Acht, o Mensch, denn deine schwache Vernunft liefert dir auch nicht mehr Beweise dafür, dass die andere Seele existiert. Du kannst es allein durch den Glauben wissen. Du wirst geboren, du lebst, du handelst, du denkst, du wachst, du schläfst, ohne zu wissen, warum. Gott hat dir die Fähigkeit zu denken gegeben, wie er dir auch alles Übrige gab, und wäre er nicht gekommen, dich zu der Zeit, die er vorherbestimmt hatte, zu lehren, dass du eine immaterielle und unsterbliche Seele besitzt, so hättest du keinen einzigen Beweis dafür.

      Lasst uns nun die großartigen Systeme betrachten, die deine Philosophie über diese Seelen verfertigt hat.

      Das eine besagt, dass die menschliche Seele Teil des göttlichen Wesens selbst ist,* das andere, dass sie ein Teil des großen Ganzen ist,* ein Drittes, dass sie seit eh und je erschaffen ist,* ein Viertes, dass sie gemacht und nicht erschaffen ist.* Andere wiederum versichern, dass Gott die Seelen in dem Maße anfertigt, wie man es benötigt, und dass sie zum Zeitpunkt der Begattung eintreten.* »Sie lassen sich in den Samentierchen nieder«, ruft dieser. – »Nein«, sagt jener, »sie bewohnen den Eileiter.« – »Ihr habt alle unrecht«, meint einer, der zufällig dazukommt, »die Seele wartet sechs Wochen, bis sich der Fötus herausgebildet hat, dann besetzt sie die Zirbeldrüse, stößt sie aber auf eine Fehlgeburt, zieht sie sich zurück und wartet auf eine bessere Gelegenheit.« Die letzte Meinung ist, dass das Corpus callosum* ihre Behausung ist, dies ist der Ort, den ihr La Peyronie zuweist; man musste Erster Chirurg des Königs von Frankreich sein, um solcherart über den Aufenthalt der Seele bestimmen zu können. Jedoch war seinem Corpus callosum nicht die gleiche Karriere beschieden wie dem Chirurgen selbst.

      Der heilige Thomas sagt in der 75. und den folgenden seiner Quaestiones, dass die Seele eine für sich selbst existierende Form ist, dass sie das Ganze selbst ist, dass sich ihr Wesen von ihrer Kraft unterscheidet; dass es drei vegetative Seelen gibt, nämlich die ernährende, die vermehrende, die erzeugende; dass die Erinnerung an geistige Dinge geistig ist, die an körperliche körperlich; dass die vernünftige Seele ein Gebilde ist immateriell hinsichtlich der Handlungen und materiell hinsichtlich des Seins. Der heilige Thomas hat mit solcher Kraft und Deutlichkeit 2000 Seiten geschrieben, und deshalb ist er auch der Engel der Scholastik.*

      Nicht weniger Systeme hat man über die Art gemacht, wie diese Seele fühlt, wenn sie ihren Körper, mit dem sie fühlte, verlassen hat; wie sie hört ohne Ohren, riecht ohne Nase und berührt ohne Hand; welchen Leib sie dann wieder annehmen wird, ob es derjenige ist, den sie im Alter von zwei, oder jener, den sie im Alter von achtzig Jahren hatte; wie das Ich, die Identität der Person, überdauern wird. Wie die Seele eines Mannes, der mit fünfzehn Jahren schwachsinnig wurde und im Alter von siebzig Jahren schwachsinnig starb, an die Gedanken anknüpfen wird, die sie hatte, als er in der Pubertät war. Durch welchen geschickten Kniff findet eine Seele, deren Bein in Europa abgetrennt wurde und die einen Arm in Amerika verlor, dieses Bein und diesen Arm wieder, welche, da sie sich unterdessen in Gemüse verwandelt haben, ins Blut irgendeines anderen Tieres übergegangen sind? Man würde nie ein Ende finden, wollte man von all den Narrheiten berichten, die sich die arme Menschenseele über sich selbst eingebildet hat.

      Was allerdings sehr bemerkenswert ist: In den Gesetzen des auserwählten Volkes wird nicht ein einziges Wort über die Geistesnatur oder die Unsterblichkeit der Seele verloren, weder in den Zehn Geboten noch im Levitikus und auch nicht im Deuteronomium.*

      Es ist absolut unbezweifelbar, dass Mose den Juden nirgendwo Belohnungen oder Strafen in einem anderen Leben in Aussicht stellt, er spricht nie zu ihnen von der Unsterblichkeit ihrer Seelen, er macht ihnen keine Hoffnung auf den Himmel, droht ihnen nicht mit der Hölle: alles ist vergänglich.

      Bevor er stirbt, sagt er zu ihnen in seinem Deuteronomium: »Wenn ihr Kinder und Kindeskinder gezeugt haben werdet und vergesst eure Pflichten, werdet ihr aus dem Land ausgetilgt und werdet unter den Völkern zerstreut werden.«

      »Ich bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Väter bis in die dritte und vierte Generation heimsucht.«

      »Ehret euren Vater und eure Mutter, damit ihr lange lebt.«

      »Ihr werdet zu essen haben, ohne jemals Mangel zu leiden.«

      »Wenn ihr fremden Göttern dient, werdet ihr zerstört …«

      »Wenn ihr gehorcht, werdet ihr Regen im Frühjahr, Weizen im Herbst haben, Öl, Wein, Heu für euer Vieh, damit ihr esst und satt werdet.«

      »Tragt diese Worte im Herzen, an euren Handgelenken, auf eurer Stirn, schreibt sie über eure Türen, damit sich eure Tage vermehren.«

      »Tut, was ich euch befehle, ohne etwas hinzuzufügen noch wegzunehmen.«

      »Wenn sich ein Prophet erhebt, der Wunderdinge weissagt, und wenn seine Weissagung wahrhaftig ist und was er gesprochen hat, eintritt, und er sagt zu euch: ›Lasst uns fremden Göttern folgen‹, tötet ihn auf der Stelle, und das ganze Volk schlage ihn nach euch.«

      »Wenn

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