Digitale Transformation von Arbeit. Hartmut Hirsch-Kreinsen

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Digitale Transformation von Arbeit - Hartmut Hirsch-Kreinsen

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als auch neue Qualitäten und Diskontinuitäten industriell-technologischer Entwicklung einschließe. Informationstechnologien haben danach zunächst eine Automatisierungsfunktion, die die Kontinuität und traditionelle Logik technologischer Rationalisierung fortsetze, die Abhängigkeit der Prozesse von Qualifikation und Arbeit reduziere und damit vor allem Substitutionseffekte von Arbeit nach sich ziehe. Zugleich aber, so Zuboff, wiesen die neuen Technologien eine Informationsfunktion auf, die zu einer steigenden Verfügbarkeit von Daten und Informationen über die Prozesse und damit zu ihrer verbesserten Plan-, Steuer- und Kontrollierbarkeit führe. Diese beiden Seiten von Informationstechnologien seien allerdings keine Gegensätze, sondern die Ausweitung der Informationsfunktion sei eine, oftmals ungeplante, Folge der in der Regel hauptsächlich realisierten Automatisierungsfunktion. Insgesamt führe dies zu nachhaltigen Strukturveränderungen bisheriger Arbeit und der damit zusammenhängenden sozialen Beziehungen (ebd., S. 11). Andere Autoren ergänzen daher die beiden genannten Funktionen der Automatisierung und der Informatisierung durch eine dritte Dimension, die als Transformation von Arbeitsprozessen gefasst wird (vgl. Boos et al. 2013). Eine ähnliche, aber weitergehende Klassifikation ist die von Dellot (2018), der zwischen vier Typen digitaler Technologien unterscheidet: »substitution, augmentation i.e. expanding the capability of workers, generation of new tasks and transference i.e. shifting tasks from workers to consumers.«9

      Ähnliche Differenzierungen findet man in der laufenden Forschung über Industrie 4.0 in Deutschland: So unterscheiden Windelband und Dworschak (2018) zwischen Automatisierungsszenario und Werkstattszenario. Baethge-Kinsky et al. (2018) unterscheiden am Beispiel von Steuerungs- und Planungssystemen drei Digitalisierungstypen: Assistenzsysteme, Automatisierungssysteme und Systeme zur Integration betrieblicher Abläufe.

      Davon ausgehend und mit Bezug auf eigene Forschungsergebnisse kann der Begriff der Multifunktionalität der gegenwärtig diskutierten digitalen Produktionstechnologien präzisiert werden, und damit können die jeweils gegebenen Gestaltungskorridore für Arbeit angegeben werden (vgl. insbesondere Hirsch-Kreinsen 2018a; Ittermann/Falkenberg 2019):

      1. Digitale Technologien fungieren als Automatisierungstechnologien, und sie zielen als erweitertes Rationalisierungsmittel auf die fortschreitende Substitution von manueller und intellektueller Arbeit in den unterschiedlichsten Arbeitsbereichen. Konkrete industrielle Beispiele hierfür sind moderne Robotiksysteme, automatische selbstfahrende Transportsysteme, additive Produktionsverfahren sowie vernetzte Engineering- und Planungssysteme der verschiedensten Art. Im Hinblick auf Arbeit verbindet sich mit der digitalen Automatisierung die oben angesprochene Entkopplung von Technik und Arbeit (image Kap. 2.1). Einerseits wird Arbeit durch die Technik ersetzt, andererseits werden die funktionalen und zeitlichen Relationen zwischen der automatisierten Technik und der verbleibenden Arbeit gelockert, sodass weite Spielräume für die Gestaltung von Arbeit entstehen. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Entkopplungsprozess durch die neuen Technologien beschleunigt, Arbeit zunehmend aus dem unmittelbaren Prozess heraustritt und nur mehr planende, steuernde und kontrollierende Funktionen übernimmt. In Anschluss an frühere arbeitssoziologische Studien kann daher von einer wachsenden Bedeutung von Gewährleistungsarbeit gesprochen werden (vgl. Springer 1987). Wie Gewährleistungsarbeit jedoch konkret ausgestaltet wird – etwa im Rahmen arbeitsteiliger oder dezentralisierter Formen der Arbeitsorganisation –, wird technologisch nicht bestimmt. Vielmehr bilden automatisierte digitale Systeme je nach ihrer konkreten Auslegung und Funktion einen mehr oder weniger weiten Rahmen für die Gestaltung von Arbeit.

      2. Digitale Systeme sind des Weiteren als Assistenzsysteme und als Arbeitsmittel zu begreifen, durch die Arbeit unterstützt und erleichtert, aber partiell auch substituiert wird. Konkrete Beispiele für diese Funktion sind Robotersysteme zur Unterstützung und Handhabung schwerer Arbeiten, der Einsatz sog. Exoskelette, d. h. am Körper getragener Stützsystem, die durch eine (elektro-)mechanische Unterstützung die Belastungen verringern, oder die Nutzung mobiler Datenendgeräte wie Datenbrillen, Smartwatches, Tablets, Head Mounted Displays (HMD) oder am Körper getragene Wearables, die mit übergeordneten Planungs- und Steuerungssystemen vernetzt sind. Daher haben sie eine für die Funktionsweise von Industrie 4.0 hoch relevante Doppelfunktion: Einerseits geben sie Daten und Informationen über Produktions- und Arbeitsabläufe vor, andererseits stellen sie den übergeordneten Systemen die erforderlichen Daten über Arbeitsabläufe bereit.

      Im Hinblick auf die Nutzungsformen dieser Systeme und die Konsequenzen für Arbeit eröffnet sich je nach konkretem Design der digitalen Systeme ein breites Spektrum sehr unterschiedlicher Gestaltungskorridore für Arbeit. Wie noch genauer zu zeigen ist (image Kap. 5), können diese Systeme auf der einen Seite als Anweisungssysteme detaillierte Daten und standardisierte Vorgaben für Arbeitsabläufe festlegen – mit der Folge nur mehr geringer Gestaltungsspielräume für Arbeit. Auf der anderen Seite können sie als Informations- und Wissenssysteme Arbeitshandeln und Entscheidungsprozesse unterstützen und damit einen breiten Gestaltungsspielraum für Arbeit eröffnen (vgl. z. B. APPSist 2016; Stich et al. 2018). Mit anderen Worten: Das maßgebliche Kriterium für das sich in diesen Fällen einspielende Verhältnis von Technik und Arbeit ist das jeweilige Design der Technologie im Hinblick auf den Detaillierungsgrad der Informationen und die damit verbundenen Entscheidungsoptionen von Arbeitshandeln.

      3. Digitale Technologien zielen auf die Konnektivität unterschiedlicher Prozesselemente, z. B. Produkte, Werkzeuge, Maschinen, Materialien etc. sowie Arbeitskräfte, und sie sind daher als Vernetzungstechnologien zu begreifen. Die industrielle Nutzung des Internets und Clouddienste sind zentrale Elemente für diese Funktionen, die unternehmensinterne, vor allem aber auch weitreichende betriebsübergreifende Kommunikations- und Abstimmungsprozesse zwischen den unterschiedlichsten Akteuren, technischen Komponenten und Systemen ermöglichen. Ein wesentliches Ziel ist es dabei, Suchzeiten bei der Informationsbeschaffung oder -auswertung zu reduzieren, Innovationsprozesse durch Wissenstransfer zu beschleunigen und Abstimmungsprobleme zu minimieren. Damit eröffnen sich bislang nicht gekannte neue Gestaltungskorridore für Arbeit: So findet auch im Hinblick auf diesen Funktionsbereich digitaler Technologien eine verstärkte Entkopplung von Technik und Arbeit statt. Denn durch Vernetzung sollen zum ersten Fehlerquellen und »Medienbrüche« weitgehend vermieden werden, wodurch unmittelbare Eingriffe in Informations- und Kommunikationszusammenhänge zunehmend unnötig werden. Zum zweiten eröffnet sich durch Vernetzung die Option, arbeitsteilige Prozesse informationstechnisch zu verknüpfen und damit neue integrierte Handlungsräume zu schaffen (vgl. Zuboff 1988). Zum dritten ermöglichen Vernetzungstechnologien eine Öffnung bzw. höhere Durchlässigkeit bisheriger organisationsstruktureller Grenzen, wodurch die bisherige Betriebsförmigkeit und Arbeitsteiligkeit von Produktions- und Arbeitsstrukturen überwunden werden kann und Entgrenzungsprozesse von Arbeitsorganisation und Beschäftigung in Gang gesetzt werden können.

      4. Ein weiterer Funktionszusammenhang digitaler Technologien umfasst schließlich die Funktion der Virtualisierung von Arbeit. Damit eröffnen sich weite Möglichkeiten für eine Optimierung von Produktions- und Arbeitsprozessen sowie eine verbesserte Informatisierung der Arbeit. Hierbei handelt es sich beispielsweise um vernetzte Engineering-, Simulations- und Planungssysteme sowie avancierte Prozessüberwachungssysteme, die eine Vielzahl an Parametern aufbereiten können sowie auf den unterschiedlichsten organisatorischen Ebenen der Wertschöpfung eingesetzt und von verschiedensten Beschäftigtengruppen genutzt werden können. Informationstechnische Voraussetzung hierfür sind die industrielle Nutzung des Internets, die Nutzung sog. Digitaler Zwillinge, die reale Prozesse virtuell repräsentieren, Big-Data-Methoden und der Einsatz sog. Cyber-Physischer-Systeme, die die virtuelle mit der realen Welt verknüpfen. Konkretes Beispiel hierfür sind sog Virtual-Reality-Systeme, die etwa in Gestalt von Motion-Tracking-Systemen in Logistikprozessen Transportabläufe und deren Elemente – Waren, Maschinen und Menschen – simulieren, virtuell testen und ihre reale Nutzung durch optimale

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