Digitale Transformation von Arbeit. Hartmut Hirsch-Kreinsen
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Mit grundlegenden Ergebnissen aus der sozialwissenschaftlichen Technik- und Arbeitsforschung kann dieser Zusammenhang präzisiert werden. Sie postuliert spätestens seit den 1980er die Abkehr von einer bis dahin verbreiteten, als »Technikdeterminismus« bezeichneten Auffassung, wonach eine eindeutige und festliegende Beziehung zwischen Technikauslegung und Wandel von Arbeit angenommen werden könne. Vielmehr bestehe zwischen der Implementation bestimmter technischer Systeme und den Konsequenzen für Arbeit eine von vielen nicht-technischen und sozialen Faktoren beeinflusste Beziehung (vgl. Lutz 1987). Grundlegende Annahme ist dabei, dass zwischen dem technisch möglichen Nutzungspotenzial einer neuen Technologie einerseits und den tatsächlich in betrieblichen Zusammenhängen zum Einsatz kommenden Techniken und deren Integration in betriebs- und arbeitsorganisatorische Strukturen andererseits eine grundlegende Diskrepanz existiere (vgl. Pfeiffer 2018, S. 331). Denn, so die zentrale Begründung, der Einsatz von Technik sowie die damit verknüpfte Entwicklung von Arbeit werden nicht durch die funktionale und zeitliche Eigenlogik einer technischen Innovation determiniert. Vielmehr müssen die Entwicklung von Arbeit und die Formen von Techniknutzung stets als das Ergebnis betrieblicher Rationalisierungspolitiken verstanden werden (vgl. Bechtle/Lutz 1989). Technisierungsprozesse und der Wandel von Arbeit werden primär von den jeweils beteiligten Akteuren, ihren Interessen und Strategien bestimmt, wobei Technik und Arbeit in je unterschiedlicher Weise voneinander unabhängige Gestaltungsobjekte sein können. Darüber hinaus verdeutlicht die arbeitssoziologische Forschung, dass jenseits betrieblicher, mikropolitischer Entscheidungsprozesse ebenso auch makrostrukturelle Faktoren wie Arbeitsmarkt, Bildungssystem, industrielle Beziehungen und politische Rahmensetzungen den Wandel von Arbeit beeinflussen.8
Welche Gestaltungsoptionen dabei für das Verhältnis zwischen Technik und Arbeit tatsächlich gegeben sind und welche genutzt werden, ist allerdings eine empirisch-konkrete Frage und wird in hohem Maße von einem durch Technologie je gegebenen Gestaltungskorridor bestimmt. Dieser kann sehr unterschiedlich sein. Wie die Arbeitsforschung schon in den 1970er Jahren instruktiv gezeigt hat, beeinflusst beispielsweise das jeweilige Automatisierungsniveau einer technischen Anlage die Art und den Umfang menschlicher Arbeitsleistungen, d. h. die Frage, welche Arbeitsfunktionen in funktionaler und zeitlicher Hinsicht zum Betrieb der Anlage erforderlich sind, um ihren störungsfreien Betrieb zu gewährleisten. Freilich bleibt dabei technologisch unbestimmt, in welcher Weise die notwendigen Arbeitsfunktionen zu konkreten Arbeitsplätzen und einer bestimmten Arbeitsorganisation konfiguriert werden können. Der technischen Wandel mit seiner fortschreitenden Automatisierung hat nun in dieser Perspektive zwei in enger Wechselwirkung stehende Konsequenzen für Arbeit: Einerseits werden Arbeitsaufgaben durch die Technik substituiert, andererseits aber werden die Beziehungen zwischen der automatisierten Technik und den verbleibenden Arbeitsfunktionen zunehmend gelockert, sodass Spielräume für die Gestaltung von Arbeit entstehen. Die Arbeitssoziologie spricht von einer zunehmenden Entkopplung von Arbeit und Technik (vgl. Springer 1987).
Diese arbeitssoziologische Diskussion weist bis heute freilich ein Defizit auf, dessen Behebung verschiedentlich angemahnt worden ist. Entwicklungsalternativen und verschiedene Designmöglichkeiten von Technik selbst geraten nämlich dabei nicht in das Blickfeld, ja Technik wird als neutrale Größe in einen nicht weiter relevanten Datenkranz der Analyse verbannt (vgl. Böhle 1998; Pfeiffer 2018). Zwar ist die Form der organisatorischen und personellen Nutzung der neuen Systeme Gegenstand vieler Untersuchungen, jedoch bleibt die Frage nach der Genese technologisch gegebener Gestaltungspotenziale für Arbeitsorganisation weitgehend ausgeklammert. Der Frage, ob es Alternativen der Technikauslegung gibt, mit denen sich möglicherweise sehr unterschiedliche Optionen der Arbeitsgestaltung verbinden, wurde bislang allenfalls vereinzelt nachgegangen. So wurde diese Frage im Hinblick auf die Entwicklung von computergestützten Steuerungen (NC- und CNC-Steuerungen) für Werkzeugmaschinen thematisiert. Gezeigt wird, dass je nach konkreter Auslegung der Steuerungssysteme sich sehr unterschiedlich weite Gestaltungsspielräume für Arbeit im Hinblick auf Möglichkeiten einer zentralen oder auch dezentralen Programmierung ergeben. Diese Gestaltungsoptionen lassen sich zugespitzt mit Alternativen wie Büroprogrammierung versus Werkstattprogrammierung fassen, wobei es für dezentrale Formen der Werkstattprogrammierung im Einzelnen sehr unterschiedliche personelle Nutzungsformen durch die konkrete Technikgestaltung gibt (vgl. Noble 1979; Böhle/Rose 1992; Hirsch-Kreinsen 1993). Ähnliche technische und damit zusammenhängende arbeitsorganisatorische Gestaltungs- und Nutzungsalternativen können auch am Beispiel früherer Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme (PPS-Systeme) gezeigt werden (vgl. Manske et al. 1994).
Einige Autoren betonen daher immer wieder, dass die arbeitssoziologische Debatte um Technik und Arbeit in der Vergangenheit zwar technikdeterministische Auffassungen aufgegeben und instruktiv arbeitsorganisatorische Gestaltungsmöglichkeiten herausgearbeitet hat. Jedoch wurde (von den skizzierten Ausnahmen abgesehen) die Frage übergangen, inwieweit sich mit der Technikentwicklung selbst alternative Gestaltungsoptionen verbinden. Unterschiedliche Konnotationen – etwa Technik als Automatisierungsmittel einerseits und als Arbeitsmittel andererseits – deuten auf eine bislang weitgehend vernachlässigte technologische Dimension der Frage nach dem Verhältnis von Technik und Arbeit hin (vgl. Böhle 1998; Windelband/Dworschak 2018). Genereller formuliert: Eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Technik und Arbeit muss sowohl eine technische als auch eine arbeitsorganisatorische Dimension berücksichtigen.
2.2 Multifunktionalität digitaler Technologien
Dieser doppelte Zusammenhang lässt sich analytisch im Hinblick auf die neuen digitalen Technologien und Industrie 4.0 recht präzise herausarbeiten. Ausgangspunkt der Überlegungen muss dabei der Umstand sein, dass digitale Technologien und Industrie 4.0 kein eindeutiges technologisches Konzept bezeichnen, sondern breite Anwendungspotenziale und ein hohes Maß an Multifunktionalität aufweisen. Damit verbinden sich sehr unterschiedliche technologische Gestaltungs- und auch Nutzungsoptionen, aber auch sehr verschiedene Gestaltungskorridore für Arbeit. In diesem Sinne haben digitale Technologien den Charakter von universellen und anpassungsfähigen »general purpose technologies« (vgl. Brynjolfsson/McAfee 2014, S. 71 ff.), die sehr unterschiedliche Nutzungsstrategien eröffnen. Wie noch zu zeigen ist (
So haben schon ältere arbeits- und organisationssoziologischen Studien – die sog. Computerstudien des Frankfurter Instituts für Sozialforschung (IfS) Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre – die vielfältigen Funktionalitäten moderner Informationstechnologien in Arbeitsprozessen ins Zentrum ihrer Analysen gestellt (vgl. Brandt et al. 1978; Benz-Overhage et al. 1982). Insbesondere betonten die damaligen Autoren die Funktion moderner Computertechnologien als funktional sehr differenzierte prozessübergreifende Steuerungs- und als Organisationstechnologien und ein damit im Vergleich zu traditionellen Automationstechnologien hoch variables Verhältnis von Technik und Arbeit.
Im Hinblick auf die gegenwärtigen Entwicklungen kann man unter Rückgriff auf Zuboff und ihre wegweisende Publikation »In the Age of the Smart Machine. The Future of Work and Power« (Zuboff 1988) ein durch Informationstechnologien gewandeltes Verhältnis zwischen Technik und Arbeit als funktionale Dualität zwischen automate und informate fassen.