Personal, Team- und Konfliktmanagement. Ute Reuter
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1.1.3.1 Das Harvard-Konzept des Verhandelns
Unter dem 1981 erschienen Originaltitel »Getting to yes« (in deutscher Übersetzung mit dem Titel »Das Harvard-Konzept«) brachten die Autoren Roger Fisher und William L. Ury einen Klassiker der Verhandlungstechnik heraus. Neben den beiden genannten Autoren war Bruce Patton, der Mitbegründer des Harvard Negotiation Projects, an der Veröffentlichung beteiligt. Mehr als 30 Jahre später ist diese Veröffentlichung noch immer ein ernstzunehmender Bestandteil der Gesprächsführung in Verhandlungen.
Es ist nicht die Technik, mit der das Harvard-Konzept besticht, eher die Philosophie hinter den sachbezogenen Verhandlungsschritten, um eine konstruktive Einigung in (potentiell konfliktbehafteten) Verhandlungssituationen herbeizuführen – eine Win-Win-Situation (»Doppelsieg-Strategie«) für beide Verhandlungsparteien. Dabei versucht die Anwendung des Harvard-Konzepts nicht nur, das bestmögliche Ergebnis in der Sache zu erzielen, sondern auch die persönliche Beziehung der Verhandelnden aufzuwerten und die Beziehung zwischen den Verhandlungsparteien zu verbessern bzw. zu stärken.
Die Anwendung des Harvard-Konzepts bietet neben den weichen und harten Verhandlungsarten eine weitere Alternative. Im Rahmen des Harvard Negotiation Projects wurde die »Methode des sachbezogenen Verhandelns« entwickelt – eine Verhandlungsstrategie, die Konfliktsituationen nach ihrem Sachgehalt bewertet und darauf abzielt, das optimale Verhandlungsresultat mit anhaltender Beziehungsverbesserung zu erreichen. Fisher u. a. (2002: 20 ff) betonen, dass das Harvard-Konzept »hart in der Sache, aber weich gegenüber dem Menschen« ist und daher eine unter allen Gegebenheiten offene, ehrliche Verhandlungsmethode, die auf fairen und objektiven Prinzipien basiert. Das Harvard-Konzept besteht aus vier Grundprinzipien:
• Menschen: Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln!
• Interessen: Nicht Positionen, sondern Interessen in den Mittelpunkt stellen!
• Möglichkeiten: Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln!
• Kriterien: Das Ergebnis auf objektiven Entscheidungskriterien aufbauen! (vgl. Fisher u. a., 2002: 27)
Auf diese vier Grundprinzipien wird im Folgenden näher eingegangen.
Grundprinzip 1: Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln!
Dysfunktionale Kommunikation ist ein wesentlicher Bestandteil von Problemen. Kommt es zu Missverständnissen zwischenmenschlicher Natur, dann gestaltet sich der Verhandlungsprozess deutlich schwieriger. Um zu vermeiden, dass es vorab zu Kommunikationsschwierigkeiten kommt, müssen beide Verhandlungspartner die Tatsache akzeptieren, dass die Gegenseite auch von Menschen repräsentiert wird. Gegenseitige Wertschätzung ist daher eine grundlegende Bedingung für eine erfolgreiche Verhandlung(-sbasis). Fehlen das Vertrauen und der Respekt der Verhandlungspartner, so werden Vorurteile geschürt, die wiederum reaktionäre Handlungen des Gegenübers hervorrufen. In jeder Phase der Verhandlung sollte sich der Verhandelnde bewusst sein, sich sowohl auf die sachlichen als auch die zwischenmenschlichen Probleme zu fokussieren.
Der Verhandlungsgegenstand und die persönliche Beziehung sind immer zwei grundsätzliche Konstanten einer jeden Verhandlungspartei. Es gilt daher, Verhandlungen so zu führen, dass zukünftige Verhandlungen positiv beeinflusst werden. Das funktioniert nur, wenn persönliche Beziehungen und Sachprobleme differenziert werden. Ein einheitliches Verständnis für die jeweiligen menschlichen Probleme der Gegenseite trägt maßgeblich zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen bei. Kommunikation und Sprachgebrauch müssen eindeutig sein, es müssen objektive Realitäten benannt werden und die Lage der Verhandlungspartner muss offen dargelegt sein. Beteiligen sich beide Parteien aktiv an einem wertschätzenden Beziehungsaufbau, in welchem beide Seiten die Herausforderung und nicht die Menschen dahinter betrachten, ist der Grundstein für ein übereinstimmendes, lösungsorientiertes Ergebnis gelegt. (vgl. Fisher u. a., 2002: 34 ff)
Grundprinzip 2: Auf Interessen konzentrieren, nicht auf Positionen!
Probleme werden durch Interessen bestimmt, also durch zugrundeliegende Wünsche, Ängste und Sorgen der Verhandlungsparteien. Interessen sind die Gründe hinter den Positionen der jeweiligen Verhandlungspartner – trotz gegenläufiger Positionen gibt es im Regelfall mehr gemeinsame Interessen als gegensätzliche. In Verhandlungen sind Interessen deutlich schwerer zu erkennen als Positionen, da diese konkreter geäußert werden. Eine grundlegende Technik, um Interessen zu verdeutlichen, ist dabei die Frage nach dem »Warum?« bzw. dem »Warum nicht?« des Verhandlungspartners. Im Regelfall besitzen Beteiligte mehrere Interessen. Die Verdeutlichung und Priorisierung von Interessen der Verhandlungspartner trägt maßgeblich zur Konfliktlösung bei. Werden die Interessensgemeinsamkeiten und -unterschiedlichkeiten jedoch nicht beachtet und es wird von einer Partei Druck oder Dominanz aufgebaut, kommt es unweigerlich zu einer Positionsverhärtung der Gegenpartei. (vgl. Fisher u. a., 2002: 65 ff)
Grundprinzip 3: Vor der Entscheidung verschiedene Wahlmöglichkeiten entwickeln!
Alternativlösungen liefern den Konfliktparteien oftmals einen Ausweg aus einer verhärteten Position. Die umfassende Diagnose eines Verhandlungsgegenstands hilft, mehrere Entscheidungsmöglichkeiten transparent zu machen und vermeintlich unlösbare Differenzen kreativ zu umgehen. Verhandlungsparteien neigen jedoch eher dazu, Optionen nicht zu entwickeln, um die eigene Stellung nicht zu gefährden. Dieses vermeintliche Zeichen der Stärke führt in vielen Fällen zu einer unerwünschten Verhärtung der Positionen. Des Weiteren haben Verhandlungspartner oft das Gefühl, die richtige Lösung finden zu müssen, anstatt mit einer Optionsvielfalt das Problem komplexer zu machen.
Um legitime Wahlmöglichkeiten für beide Seiten zu entwickeln, müssen beide Verhandlungspartner auch die Interessen der Gegenpartei berücksichtigen. Dem Duktus zu folgen, dass jeder seine eigenen Probleme lösen soll, führt zu einseitigen Lösungsvorschlägen. Ein effizientes Mittel für die Entwicklung von bilateralen Lösungen bietet das Brainstorming, das sowohl von einer Verhandlungspartei als auch von beiden Parteien durchgeführt werden kann – die Ideenaggregation gestaltet sich dabei allerdings deutlich schwieriger.
Ist eine beidseitige Übereinkunft nicht in Sichtweite, ist es sinnvoll, Alternativlösungen mit unterschiedlichem Wirkungsgrad zu eruieren. Diese weichen Möglichkeiten bieten beiden Verhandlungsparteien Erfolgserlebnisse (
Tab. A.1: Unterschiede in den Wirkungsgraden (Quelle: Eigene Darstellung nach Fisher u. a., 2002: 88 ff)
Harte WirkungsgradeWeiche Wirkungsgrade
Neben dem Wirkungsgrad des Übereinkommens kann auch die Veränderung der Reichweite in Betracht gezogen werden, beispielsweise durch zeitliche oder territoriale Begrenzungen der Alternativlösungen.
Wenn während der Entwicklung von Entscheidungsmöglichkeiten gemeinsame Interessen und Vorteile für beide Seiten aufgezeigt werden, ist das ein wesentlicher Schritt zur Verhandlungslösung. Werden beide Hauptanliegen der Verhandlungsparteien durch Optionen erweitert, können beide mit den gewählten Alternativen weiterarbeiten.