Die Rückkehr des Sherlock Holmes. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Die Rückkehr des Sherlock Holmes - Arthur Conan Doyle страница 10
»Oh, ja: das muß ich zweifellos gemeint haben«, sagte Holmes mit seinem rätselhaften Lächeln. Lestrade wußte aus mehr Erfahrungen, als er einzuräumen gewillt war, daß jenes rasiermesserscharfe Hirn Dinge zu durchschneiden vermochte, die für das seine undurchdringlich waren. Ich sah, wie er meinen Gefährten neugierig anblickte.
»Ich denke, ich sollte bald mal mit Ihnen reden, Mr. Sherlock Holmes«, sagte er. »Nun, Mr. McFarlane, vor der Tür stehen zwei meiner Beamten, und draußen wartet eine Droschke.« Der elende junge Mann erhob sich, warf uns einen letzten flehentlichen Blick zu und ging aus dem Zimmer. Die Polizisten brachten ihn zu der Kutsche, aber Lestrade blieb noch.
Holmes hatte die Blätter, die den Rohentwurf des Testamentes enthielten, aufgehoben und betrachtete sie mit äußerst gespannter Miene.
»Es gibt einiges zu diesem Dokument zu bemerken, Lestrade, nicht wahr?« sagte er und schob ihm die Zettel zu.
Der Beamte sah sie verwirrt an.
»Ich kann nur die ersten Zeilen lesen, und diese hier in der Mitte der zweiten Seite, und ein paar am Schluß. Die stehen da wie gedruckt«, sagte er; »aber dazwischen ist die Schrift sehr undeutlich, und an drei Stellen kann ich überhaupt nichts lesen.«
»Was schließen Sie daraus?« fragte Holmes.
»Nun, was schließen Sie daraus?«
»Daß es in einem Zug geschrieben wurde; die leserliche Schrift steht für Bahnhöfe, die unleserliche für Fahrt, und die völlig unleserliche für das Überfahren von Weichen. Ein gewiefter Fachmann würde sofort erklären, daß diese Aufzeichnungen in einer Vorstadtbahn entstanden sind, da es nur in der unmittelbaren Umgebung einer großen Stadt eine so rasche Folge von Weichen geben kann. Nehmen wir an, die Niederschrift des Testaments habe die gesamte Fahrzeit in Anspruch genommen, dann war es ein Schnellzug, der nur einmal zwischen Norwood und London Bridge gehalten hat.«
Lestrade begann zu lachen.
»Das ist mir zu hoch, wenn Sie mit Ihren Theorien anfangen, Mr. Holmes«, sagte er. »Was hat denn das mit diesem Fall zu tun?«
»Nun, es bestätigt die Geschichte des jungen Mannes insoweit, als das Testament von Jonas Oldacre gestern auf seiner Fahrt geschrieben wurde. Ist es nicht verwunderlich, daß jemand ein derart wichtiges Dokument auf so willkürliche Weise niederschreibt? Dies legt nahe, daß er nicht glaubte, es würde von sonderlich praktischer Bedeutung sein. So könnte jemand ein Testament schreiben, von dem er nicht glaubt, daß es jemals in Kraft treten würde.«
»Nun, er schrieb damit zugleich sein eigenes Todesurteil«, sagte Lestrade.
»Oh, meinen Sie?«
»Sie nicht?«
»Nun, durchaus möglich; aber der Fall ist mir noch nicht klar.«
»Nicht klar? Na, wenn das nicht klar ist, was könnte denn klarer sein? Plötzlich erfahrt ein junger Mann, daß er ein Vermögen erben wird, wenn ein älterer Mann stirbt. Was macht er da? Er erzählt niemandem davon, sondern richtet es so ein, daß er unter irgendeinem Vorwand seinen Klienten noch in derselben Nacht besuchen kann; erwartet, bis die einzige andere Person im Haus zu Bett gegangen ist, und ermordet den Mann sodann in der Abgeschiedenheit seines Zimmers, verbrennt die Leiche auf dem Holzstapel und entschwindet in ein nahegelegenes Hotel. Im Zimmer und auch auf dem Stock befinden sich nur sehr geringe Blutspuren. Vermutlich hatte er sich vorgestellt, sein Verbrechen ginge unblutig vonstatten, und gehofft, mit der Verbrennung der Leiche alle Spurender Art seines Todes verbergen zu können – Spuren, die aus irgendeinem Grund auf ihn hätten weisen müssen. Liegt all dies nicht auf der Hand?«
»Es liegt mir, mein guter Lestrade, ein wenig zu sehr auf der Hand«, sagte Holmes. »Bei Ihren ansonsten großen Talenten lassen Sie es an der Phantasie fehlen; doch wenn Sie sich für einen Moment an die Stelle des jungen Mannes versetzen könnten: Würden Sie gleich die Nacht nach der Aufstellung des Testaments wählen, um Ihr Verbrechen zu begehen? Erschiene es Ihnen nicht gefährlich, eine so enge Verbindung zwischen diesen beiden Ereignissen herzustellen? Des weiteren, würden Sie es ausgerechnet zu einem Zeitpunkt machen, wenn bekannt ist, daß Sie sich in dem Haus befinden, wenn eine Bedienstete Sie eingelassen hat? Und schließlich, würden Sie sich so viel Mühe geben, die Leiche verschwinden zu lassen, und dann Ihren Stock liegen lassen, zum Zeichen, daß Sie der Täter sind? Bekennen Sie, Lestrade, daß all dies höchst unwahrscheinlich ist.«
»Was den Stock betrifft, Mr. Holmes, so wissen Sie so gut wie ich, daß ein Verbrecher oft nervös ist und Dinge tut, die ein besonnener Mensch unterlassen würde. Sehr wahrscheinlich hatte er Angst, in das Zimmer zurückzugehen. Geben Sie mir eine andere Theorie, die besser den Tatsachen entspricht.«
»Ich könnte Ihnen sehr leicht ein halbes Dutzend geben«, sagte Holmes. »Hier habe ich zum Beispiel eine sehr denkbare und sogar wahrscheinliche. Ich will sie Ihnen schenken. Der ältere Mann fuhrt Dokumente vor, die offensichtlich wertvoll sind. Ein vorbeikommender Landstreicher sieht sie durch die Verandatür deren Jalousie nur halb herabgezogen ist. Anwalt ab. Der Landstreicher tritt auf! Er packt einen Stock, den er dort liegen sieht, tötet Oldacre, und läuft davon, nachdem er die Leiche verbrannt hat.«
»Warum sollte der Landstreicher die Leiche verbrennen?«
»Was das betrifft: warum sollte McFarlane?«
»Um Beweismaterial zu beseitigen.«
»Der Landstreicher wollte womöglich verbergen, daß überhaupt ein Mord stattgefunden hatte.«
»Und warum hat er dann nichts mitgehen lassen?«
»Weil es sich um Papiere handelte, die er nicht veräußern konnte.«
Lestrade schüttelte den Kopf, obwohl mir schien, er sei sich nicht mehr so absolut sicher wie vorhin.
»Nun, Mr. Holmes, Sie mögen Ihren Landstreicher suchen, und solange Sie ihn aufspüren, werden wir uns an unseren Mann halten. Die Zukunft wird erweisen, wer von uns recht hat. Beachten Sie nur dies, Mr. Holmes: Soweit wir wissen, wurde keines der Papiere entfernt, und der Gefangene ist der einzige Mensch auf der Welt, der keinen Grund hatte, sie zu entfernen, da er ihr rechtmäßiger Erbe war und in jedem Fall in ihren Besitz gelangt wäre.«
Diese Bemerkung schien meinen Freund betroffen zu machen.
»Ich möchte ja gar nicht abstreiten, daß die Beweise in mancher Hinsicht sehr stark für Ihre Theorie sprechen«, sagte er. »Ich will nur darauf hinweisen, daß es auch andere mögliche Theorien gibt. Wie Sie sagen, die Zukunft wird es zeigen. Guten Morgen! Ich stehe dafür, daß ich im Lauf des Tages in Norwood auftauchen und nachsehen werde, wie Sie weiterkommen.«
Als der Kriminalbeamte gegangen war, stand mein Freund auf und bereitete sich mit der Munterkeit eines Mannes, der eine erfreuliche Aufgabe vor sich hat, aufsein Tagewerk vor.
»Als erstes, Watson«, sagte er, während er sich in seinen Gehrock warf, »muß ich mich, wie gesagt, in Richtung Blackheath bewegen.«
»Und warum nicht Norwood?«
»Weil in diesem Fall ein merkwürdiger Umstand eng mit einem anderen merkwürdigen Umstand zusammenhängt. Die Polizei begeht den Fehler, ihre Aufmerksamkeit auf den zweiten zu konzentrieren, da dies zufällig der wirklich kriminelle von den beiden ist. Für mich besteht jedoch unstreitig