Die Rückkehr des Sherlock Holmes. Arthur Conan Doyle
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Sherlock Holmes lauschte diesem bemerkenswerten Bericht mit geschlossenen Augen und gegeneinander gestellten Fingerspitzen.
»Der Fall weist allerdings einiges Interessante auf«, sagte er auf seine müde Art. »Darf ich zunächst einmal fragen, Mr. McFarlane, wie es kommt, daß Sie noch in Freiheit sind, da doch genug Beweismaterial vorzuliegen scheint, Ihre Verhaftung zu rechtfertigen?«
»Ich lebe bei meinen Eltern in Torrington Lodge, Blackheath, Mr. Holmes; vorige Nacht aber hatte ich mit Mr. Oldacre noch sehr spät etwas Geschäftliches zu erledigen und daher in einem Hotel in Norwood Quartier genommen, um ihn von dort aus zu besuchen. Ich erfuhr von dieser Sache erst im Zug, als ich las, was Sie soeben gehört haben. Ich gewahrte sogleich die schreckliche Gefahr meiner Lage und beeilte mich, den Fall in Ihre Hände zu legen. Ich zweifle nicht daran, daß ich entweder in meinem Stadtbüro oder zu Hause verhaftet werden sollte. Jemand ist mir von der London Bridge Station gefolgt, und ich zweifle nicht – großer Gott, was ist das?«
Es war das Läuten der Glocke, dem gleich darauf schwere Schritte auf der Treppe folgten. Und schon erschien unser alter Freund Lestrade in der Tür. Hinter seinen Schultern sah ich undeutlich ein paar uniformierte Polizisten stehen.
»Mr. John Hector McFarlane«, sagte Lestrade.
Unser unglücklicher Klient erhob sich mit totenbleicher Miene.
»Ich verhafte Sie wegen vorsätzlichen Mordes an Mr. Jonas Oldacre aus Lower Norwood.«
McFarlane wandte sich uns mit verzweifelter Gebärde zu und sank wie vernichtet wieder auf seinen Stuhl.
»Einen Augenblick, Lestrade«, sagte Holmes. »Eine halbe Stunde mehr oder weniger kann Ihnen nichts bedeuten, und dieser Gentleman stand eben im Begriff, uns von dieser höchst interessanten Affäre einen Bericht zu geben, der uns bei der Aufklärung dienlich sein könnte.«
»Ich sehe keinerlei Schwierigkeiten bei der Aufklärung«, sagte Lestrade grimmig.
»Gleichwohl wäre ich, wenn Sie gestatten, sehr interessiert, seinen Bericht zu vernehmen.«
»Nun gut, Mr. Holmes, es fällt mir schwer, Ihnen etwas abzuschlagen, zumal Sie der Polizei in der Vergangenheit ein- oder zweimal nützlich gewesen sind und wir von Scotland Yard Ihnen noch eine Gefälligkeit schulden«, sagte Lestrade. »Zugleich aber muß ich bei meinem Gefangenen bleiben, und ich bin verpflichtet, ihn darauf hinzuweisen, daß alle seine Aussagen gegen ihn verwendet werden können.«
»Etwas Besseres kann ich mir nicht wünschen«, sagte unser Klient. »Ich bitte Sie um nichts weiter, als mir zuzuhören und die reine Wahrheit zu erfahren.«
Lestrade blickte auf seine Uhr. »Ich gebe Ihnen eine halbe Stunde«, sagte er.
»Zunächst muß ich erklären«, sagte McFarlane, »daß ich Mr. Jonas Oldacre nicht kannte. Sein Name war mir vertraut, da meine Eltern vor vielen Jahren mit ihm bekannt waren, aber sie verloren sich aus den Augen. Ich war daher sehr überrascht, als er gestern gegen drei Uhr nachmittags in mein Stadtbüro trat. Noch mehr aber erstaunte ich, als er mir den Zweck seines Besuchs berichtete. Er hielt mehrere Blätter aus einem Notizbuch in der Hand, die über und über vollgekritzelt waren – hier sind sie –, und legte sie auf meinen Tisch.
›Dies ist mein Testament‹, sagte er. ›Ich wünsche, Mr. McFarlane, daß Sie es in die richtige juristische Form bringen. Während Sie dies tun, werde ich hier sitzenbleiben.‹
Ich machte mich daran, es abzuschreiben, und Sie können sich mein Erstaunen vorstellen, als ich merkte, daß er, mit einigen Vorbehalten, sein ganzes Vermögen mir vermacht hatte. Er war ein merkwürdiger, kleiner, frettchenhafter Mann mit weißen Wimpern, und als ich zu ihm aufblickte, sah ich seine scharfen grauen Augen mit amüsiertem Ausdruck auf mich geheftet. Ich konnte kaum meinen Sinnen trauen, nachdem ich die Testamentsbedingungen gelesen hatte; doch er erklärte, er sei Junggeselle und habe kaum lebende Verwandte, er habe in seiner Jugend meine Eltern gekannt und von mir stets als einem sehr verdienstvollen jungen Mann sprechen hören, und er sei davon überzeugt, sein Geld ginge in würdige Hände über. Ich konnte natürlich nur meinen Dank hervorstammeln. Das Testament wurde ordnungsgemäß abgeschlossen, unterzeichnet und von meinem Buchhalter beglaubigt. Dies hier auf dem blauen Papier ist es, und diese Zettel sind, wie gesagt, der Rohentwurf. Mr. Jonas Oldacre unterrichtete mich dann von einer Anzahl Dokumente – Grundstückspachten, Besitzurkunden, Hypothekenbriefe, Interimswechsel und so weiter –, die ich sehen und verstehen müßte. Er sagte, er könne erst wieder ruhig sein, wenn das Ganze geregelt sei, und er bat mich, noch diese Nacht zu seinem Haus in Norwood hinauszukommen, das Testament mitzubringen und die Sache abzumachen. ›Denken Sie daran, mein Junge, kein Wort über diese Angelegenheit zu Ihren Eltern, ehe nicht alles geregelt ist. Wir wollen es als eine kleine Überraschung für sie aufsparen.‹ Er bestand sehr auf diesem Punkt und ließ es mich ausdrücklich versprechen.
Sie können sich vorstellen, Mr. Holmes, daß ich nicht in der Stimmung war, ihm irgendeine Bitte abzuschlagen. Er war mein Wohltäter, und ich war durchaus bestrebt, seine Wünsche in allen Einzelheiten zu erfüllen. Ich schickte daher ein Telegramm nach Hause, in dem ich mitteilte, ich hätte ein wichtiges Geschäft vor und könne unmöglich sagen, wann ich heimkehren würde. Mr. Oldacre hatte mir gesagt, er würde gern um neun Uhr mit mir zu Abend essen, da er vor dieser Zeit wahrscheinlich nicht zu Hause wäre. Ich hatte jedoch einige Schwierigkeiten, sein Haus zu finden, und es war schon fast halb zehn, als ich dort eintraf. Ich fand ihn –«
»Einen Augenblick!« sagte Holmes. »Wer öffnete die Tür?«
»Eine mittelaltrige Frau, vermutlich seine Haushälterin.«
»Und es war sie, nehme ich an, die Ihren Namen angegeben hat?«
»In der Tat«, sagte McFarlane.
»Fahren Sie bitte fort.«
Mr. McFarlane fuhr sich über die feuchte Stirn und setzte dann seinen Bericht fort:
»Diese Frau führte mich in ein Wohnzimmer, in dem ein schlichtes Mahl vorbereitet war. Danach führte Mr. Oldacre mich in sein Schlafzimmer, worin sich ein schwerer Safe befand. Diesen öffnete er und entnahm ihm einen Packen Dokumente, die wir zusammen durchgingen. Zwischen elf und zwölf wurden wir damit fertig. Er bemerkte, daß wir die Haushälterin nicht stören dürften. Er brachte mich durch seine Verandatür nach draußen, welche die ganze Zeit über offengestanden hatte.«
»War die Jalousie herabgelassen?« fragte Holmes.
»Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, sie war nur halb unten. Ja, ich erinnere mich, wie er sie hochzog, um die Verandatür aufzumachen. Ich konnte meinen Stock nicht finden, und er sagte: ›Lassen Sie nur, mein Junge; ich werde Sie ja jetzt häufig sehen, hoffe ich, und ich werde Ihren Stock aufbewahren, bis Sie wiederkommen und ihn zurückhaben wollen.‹ So verließ ich ihn, der Safe stand offen, und die Papiere lagen in Päckchen geordnet auf dem Tisch. Es war so spät, daß ich nicht mehr nach Blackheath zurückfahren konnte; und so verbrachte ich die Nacht im Anerley Arms, und weiter erfuhr ich nichts, bis ich heute morgen von dieser schrecklichen Sache las.«
»Haben Sie noch weitere Fragen, Mr. Holmes?« sagte Lestrade, dessen Brauen im Verlauf dieser bemerkenswerten Erklärung