Vom Himmel in die Hölle. Christian Wilhelm Huber

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Vom Himmel in die Hölle - Christian Wilhelm Huber

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gleich die Hölle losbrechen wird. Er denkt an Riele und an Zuhause. Der Bleistift in der Glaskuppel macht wilde Sprünge.

      II. Asche

      Ehlerts Flugzeug wird gleich in Flammen aufgehen und zu Asche verbrennen. Seltsamerweise denkt er gerade an Asche – an die Asche, auf der sein Heimatdorf Meiersberg gegründet ist, nachdem jahrhundertelang in Glashütten Holz verfeuert worden war. Dort würde er jetzt gern sein. Vier Jahre – so lange liegt sein letzter Besuch schon zurück. Er denkt an den Bruder, seinen Spielkameraden der jüngsten Jahre, an den strengen, aber liebenswerten Vater, der Militärmusiker war, und an die Mutter, die ihn und alle, die es hören wollten, immer vor den Nazis gewarnt hatte und der man dafür in ihrem Heimatort aus dem Wege ging. Ehlert denkt daran, wie es war, in jenem letzten Sommerurlaub in Meiersberg vor seinem Eintritt in die Wehrmacht.

      Damals fuhr er nach Ferdinandshof, den nächsten größeren Ort bei Meiersberg, um Ahnenforschung zu betreiben. Den eigenen Vorfahren nachzustöbern, war im dunklen Reich eines Heinrich Himmler arg in Mode. Der Reichsführer-SS hatte sogar ein eigenes Amt aus der Taufe heben lassen, in dem sich hohe SS-Führer mit ihren Gehilfen die Zeit aus weltanschaulichen Gründen mit Rassenkunde und Ahnenforschung vertrieben. So war es nicht verwunderlich, dass im ganzen Nazi-Reich die Menschen begannen, sich für ihre Familiengeschichte zu interessieren. Deshalb stöberte auch der junge Gerhard in den Kirchenbüchern in Ferdinandshof herum, wozu man ihm zuvor von Amts wegen und aus der Pfarrei die Erlaubnis erteilt hatte. Da einige seiner Vorfahren zu den Meiersberger Gründerfamilien von 1749 gehörten, väterlicherseits bei den Bauern, mütterlicherseits bei den Glasmachern, fand Gerhard seitenweise Material über seine Vorfahren in den Kirchenbüchern von Ferdinandshof. Tagelang durchforstete er die Bücher und wurde trotz des wunderbaren Spätherbstes in der Uckermark blass vom vielen Stubenhocken. Hinterher aber wusste er, woher er stammte, und das gab ihm ein beruhigendes Gefühl.

      Meiersberg. Breite Straßen führen durch das kleine Dorf, viel zu breite Straßen, die Fahrtrichtungen getrennt durch einen noch breiteren Streifen aus Grün, der von großen Bäumen unterbrochen wird – eine Art Mittelallee, wie man sie sonst nur in Prachtstraßen großer Städte findet. Wegen der breiten, leeren Straßen stehen die gegenüberliegenden Häuser weit auseinander. Denn Grund gibt es hier genug. Daran muss nicht gespart werden. Meiersberg liegt in Vorpommern am südlichen Rand des Waldgebiets der Ueckermünder Heide. Nachdem sich die Gletscher der Eiszeit vor 10 000 Jahren zurückgezogen hatten, hinterließen sie eine Landschaft, wie sie freizügiger kaum sein könnte: Seen, Findlinge, und vor allem große Sandflächen, zwar nicht überall, aber vorwiegend. Bevor sich dort Menschen niederließen, bestand die Gegend nur aus Urwald, durchsetzt mit Mooren, Sümpfen und vielen kleinen Wasserläufen.

      Das Dorf selbst wurde erst im Jahr 1749 gegründet. Ursprünglich waren es zwei getrennte Siedlungen. Im Frühjahr 1749 nahm eine Glashütte ihren Betrieb auf, im Sommer darauf kamen Bauern, die gleich im Anschluss an der westlichen Grenze der Glasmachersiedlung ihre Gehöfte errichteten. Bereits vor der Gründung von Meiersberg gab es 1730 in der Nähe eine Kuhmelkerei mit dem merkwürdigen Namen Besserdran. Die zwei Häuser des Milchwirtschaftsbetriebes standen dort, wo der Flossgraben in die Zarow mündet. Die Einheimischen sagen dazu: »Wo de Flettgrobn int Beek schütt’t«. Bei der Einrichtung der Glashütten Ferdinandshof und Meiersberg waren Angehörige einer Familie namens Gundelach maßgeblich beteiligt, die Vorfahren von Albert Ehlert und seinen Söhnen Konrad und Gerhard.

      Eines Abends machte der Krieg, der ein Jahr zuvor mit dem Überfall auf Polen begonnen hatte, mehr aus Zufall denn aus bösem Willen Halt in Meiersberg. Gerhard hatte sich ein paar Bücher zum Forschen ausleihen können, denn der Küster der Ferdinandshofer Pfarrei vertraute ihm mittlerweile, nachdem sich Gerhard und er bereits zu dem einen oder anderen Plausch verabredet hatten. Er hörte den Krieg als Erster und blickte mürrisch von seinem Kirchenbuch auf. Ein leises Brummen näherte sich vom Osten her und wurde immer lauter.

      Zu dieser Zeit stand lange fest, dass er in die Luftwaffe eintreten würde, ein Entschluss, zu dem er von niemandem getrieben wurde und der sich hauptsächlich aus der Literatur speiste, die der junge Ehlert damals seitenweise verschlang. Er las Bücher wie »Ein Kampf um Rom«, nicht wie seine Freunde Abenteuerschmöker von Karl May. Dann waren es Bücher über den Ersten Weltkrieg, auch Fliegerbücher, die ihn am meisten beeindruckten. Doch das war zu dieser Zeit noch nichts weiter als jugendlicher Überschwang. Die echte Leidenschaft fürs Fliegen und Soldatsein wurde erst durch die euphorischen Wehrmachtsberichte in den ersten Kriegsmonaten in ihm geweckt. Die polnische Armee war durch die deutschen Stuka-Verbände »zermalmt« worden, die »Luftschlacht über England« war im vollen Gange und »praktisch nicht mehr zu verlieren«. Deutschland würde die englischen Städte eine nach der anderen »coventrieren«, versprach Propagandaminister Josef Goebbels, nachdem die deutsche Luftwaffe ein englisches Städtchen namens Coventry mit einem Bombenteppich eingedeckt und praktisch »ausradiert« hatte. Sieg über Sieg, errungen von den Fliegern!

      Gerhard wollte Pilot werden. Kampfpilot. Niemals zuvor war er in einem Segelflugzeug geflogen wie viele seiner späteren Kameraden. Nur dann hätte man annehmen müssen, dass die Begeisterung fürs Fliegen ein folgerichtiger Schritt gewesen wäre. Bei Gerhard Ehlert war es die Sprache, die Wörter in den Büchern, die ihn zum Fliegen brachte. Er teilte seine Absicht, zur Luftwaffe zu gehen, seinen Eltern an einem Sonntagmorgen im Frühjahr 1940 beim Frühstück mit. Vater und Mutter hatten keinen Einwand. Das Thema war nach nur einer Minute durch, der Entschluss gefasst und bestätigt.

      Da sich Gerhard also in den Folgemonaten viel mit der Fliegerei beschäftigt und sich dabei auch in der Nähe des einen oder anderen Fliegerhorstes herumgetrieben hatte, kannte er den Klang der deutschen Flugzeuge genau. Beim Brummen der Motoren über Meiersberg war er sich sofort sicher, dass es eine englische Maschine sein musste, wohl ein Bomber auf dem Heimflug. Ein Feindflugzeug war 1940 noch eine Rarität über Deutschland. Gerhard stürzte vor allen anderen Meiersbergern ins Freie. Und da rauschte schon entlang der breiten Dorfstraße ein riesiger Schatten über die Häuser hinweg. Ganz tief hing der Dinosaurier über dem Dorf. Er hatte offenbar Mühe, die Höhe zu halten. Obwohl die Meiersberger wussten, dass ihr Ort den Engländern keine einzige Bombe wert war und dass von diesem Ungeheuer, das sich da heimwärts schleppte, ohnehin keine Gefahr ausgehen konnte, bekamen sie alle ein komisches Gefühl in der Magengegend. Sie starrten in den abendblauen Himmel, der noch nicht so schwarz war, als dass sich die Konturen des englischen Bombers nicht abgezeichnet hätten, und sahen, wie er am Ende des Dorfes eine leichte Rechtskurve Richtung Ostsee zog. Als das Brummen beinahe ganz verstummt war, gab es am Horizont einen Blitz in weiter Ferne, so weit weg von Meiersberg, dass sich an diesem Abend niemand mehr aufmachte, der Ursache nachzuforschen. Man sprach ein paar Worte leise auf der Straße und wünschte sich eine gute Nacht. Erst am anderen Morgen beschlich alle ein erstes Gefühl der Hilflosigkeit, als der Postbote die Kunde ins Dorf trug, dass der englische Flieger auf einen Bauernhof nahe Gambin an der Osteeküste gestürzt sei und die Unglücksbesatzung, die offenbar ihre beschädigte Maschine nicht mehr beherrschen konnte, eine vierköpfige Bauernfamilie in den Tod mitgenommen hatte. Der Krieg war nun endgültig in Vorpommern angekommen.

      Gerhard gönnte sich nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Er forschte und ließ sich auch durch einen »Unfall«, wie die Meiersberger den Absturz des Bombers nannten, nicht in seinem Vorhaben abbringen, alles über seine Vorfahren zu erkunden. Und so stieß er schnell wieder auf den Namen Gundelach. Die bemerkenswerte Familie Gundelach, dachte er bei sich und machte sich ans Lesen, ganz von Anfang an.

      Das erste Kirchenbuch begann mit einer langatmigen Schilderung des Kirchenbaus und der Einweihung. Geschrieben hatte sie mit eigener Hand Johann Jürgen Gundelach, der den Bau dieser Kirche aus privaten Mitteln bezahlt hatte. Gerhard konnte sich später nicht mehr daran erinnern, wie er darauf gekommen war, dass es einen Familienverband der Gundlach, Gundelach und von Gundlach gab, dem seine Familie, die Ehlerts, irgendwann beigetreten waren. Die Gundelachs jedenfalls hatten ihren Sitz in Großalmerode, Nordhessen, genau 33 Kilometer südlich von Göttingen. Es wurden Familienblätter herausgegeben, die sich wohl noch heute im Besitz

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