Historische Translationskulturen. Группа авторов

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Translation sind ein weiterer wichtiger Bestandteil historischer Translationskulturen und ihrer Rekonstruktionsversuche. Von Interesse sind dabei normative Aussagen zu „angemessenen“, „unangemessenen“ oder „notwendigen“, „erlaubten“ oder gar „verbotenen“ Formen von Translationstätigkeit und Übersetzungen (als Texte), die Schlüsse über die die jeweilige Translationskultur konstruierenden Erwartungshaltungen und Wertvorstellungen zulassen. In ihrem Beitrag „Ungarische Translationskultur im Sozialismus: Zensur, Normen und Samisdat-Literatur“ besprechen Edina Dragaschnig und Claus Michael Hutterer die in der Ära Kádár manifestierten literarischen und translatorischen Normen sowie die Entstehung und Funktion der Samisdat-Literatur als Gegenreaktion auf die Zensur in Ungarn in den Jahren 1945 und 1989. Die Handlungsbereitschaft und die Handlungsformen der ungarischen Samisdat-Akteur/innen zeigen, dass Translationskulturen auch jenseits offizieller Institutionen entstehen oder geprägt werden können.

      Der Aspekt der Verfügbarkeit und Verbreitung von Übersetzungen wird auch von Philipp Hofeneder aufgegriffen. In seinem Beitrag „Kommunikationskanäle der sowjetischen Translationspolitik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts“ geht der Autor den Mechanismen und Diskursen nach, die nicht nur die Produktion von Übersetzungen, sondern auch deren Zugänglichkeit und Öffentlichkeitsstatus in der sowjetischen Gesellschaft regelten.

      Über die Bedeutung von staatlichen oder sonstigen prestigeträchtigen Institutionen für die Konstruktion von Translationskulturen und für die Etablierung der sie konstituierenden Normen und Konventionen ist nicht hinwegzusehen. Petra Cukier und Alexandra Marics nehmen dies zum Ausgangspunkt ihres Artikels „Von den Jeunes de Langue zu den Interprètes de Conférence: Institutionelle Normgebung in der Translationskultur Frankreichs“, in dem sie die französischen Etappen der Dolmetschausbildung sowie ihren normbildenden Einfluss auf die Professionalisierung des Dolmetschens nachzeichnen. Dieser Einfluss, vor allem aber die Forschung und Lehre an der Ecole Supérieure d’Interprètes et de Traducteurs (ESIT), erstreckt sich bekanntlich weit über Frankreichs Grenzen hinaus und wird sicherlich auch weiterhin durch die Mitwirkung von etablierten Dolmetschdiensten (SCIC der Europäischen Kommission) sowie Berufsverbänden (AIIC) in Translationskulturen international sichtbar sein. Der Frage, welche translationskulturellen Nebenprodukte die starke Strahlkraft dieser Institutionen mit den von ihnen propagierten Rollenzuschreibungen herbeigeführt hat, müsste in einer weiteren kritischen Analyse nachgegangen werden. Ein wichtiger Hinweis wäre direkt bei Prunč zu finden, der von der „Neutralität in der Krise“ (2011) gesprochen und somit darauf aufmerksam gemacht hat, dass das institutionell etablierte, standesethische Neutralitätskonzept aus Perspektive der asymmetrischen Machtbeziehungen und der damit verbundenen Individualethik systematisch zu hinterfragen wäre. (Vgl. dazu auch Schippel 2019; zur translationsethischen Verortung von Berufskodizes s. Hebenstreit 2010.) Auf jeden Fall ist der Einfluss von ESIT, SCIC und AIIC zumindest in zweierlei Hinsicht aufschlussreich: Zum einen ist dies in Bezug auf die Hypothese von Pym zu betrachten, dass translatorische Regimes, die Pym (2006: 23f.) als „rough synonym“ für Translationskultur betrachtet, in erster Linie interkulturell, und in zweiter Linie kulturspezifisch ausgeprägt seien (Pym 1993: 38). Zum anderen hat auch Prunč (2008: 25) darauf verwiesen, dass Translationskulturen „über den jeweiligen Sprachraum hinausreichen können“.

      Die Dynamik bei der Entstehung und Institutionalisierung translatorischer Berufsbilder steht auch im Mittelpunkt des Beitrags „Das Berufsbild von TranslatorInnen im türkischsprachigen Raum: Translationskulturelle Aspekte“ von Sevil Çelik Tsonev. Die Autorin befasst sich darin mit den osmanisch-türkischen Etappen der Institutionalisierung auf dem Weg zu den gegenwärtig sichtbaren Professionalisierungsmerkmalen der türkischen Translationskultur. Auch hier werden nicht nur eng „osmanisch-türkische“, sondern auch interkulturelle Einflussfaktoren sichtbar.

      In den übrigen zwei Beiträgen wird Translationskultur als ein heuristisches Konzept für die analytische Betrachtung der komplexen Beziehungen um das einzelne translatorische Phänomen herum (Prunč 2008: 28) gehandhabt. Beiden Projekten gemein ist der Versuch, auf der Folie des von Prunč geprägten Konzepts und mit einschlägigem Archivmaterial den Interessen- und Kräfteausgleich zwischen den einzelnen an Translation beteiligen Personen und Institutionen zu analysieren und damit charakteristische Merkmale der Translationskultur aufzuzeigen. In ihrem Beitrag „Die slowenischen Übersetzungen des Reichsgesetzblattes der Habsburgermonarchie: Dimensionen der Translationskultur zwischen 1849 und 1918“ verwendet Aleksandra Nuč Translationskultur als ein Erklärungsmodell, mit dem nicht nur die an der Übersetzungstätigkeit beteiligten Individuen identifiziert werden, sondern auch deren Beweggründe, Kooperation, Öffentlichkeitsarbeit und Qualitätskriterien als Dimensionen der damaligen slowenischen Translationskultur nachgezeichnet werden.

      Auch in dem Beitrag „Translationskulturelle Vorüberlegungen zur literarischen Übersetzung in der Sowjetukraine: Die Hürden der Bürokratie“ wird auf der Grundlage des Konzepts den gesellschaftlichen Zusammenhängen, in die die Translation eingebettet ist, nachgegangen. Im Mittelpunkt dieser Analyse von Iryna Orlova steht die ukrainische Zeitschrift Vsesvit und ihr umfangreiches publizistisches Engagement für die Übersetzungen ausländischer Literatur ins Russische in der poststalinistischen Zeit von 1958 bis 1991. Auch hier werden das Beziehungsgeflecht und die normgebende Macht einzelner Institutionen und Akteur/innen in diesem translatorischen Handlungsfeld gezeigt und so die Spezifik der sowjetukrainischen Translationskultur illustriert.

      Zum Schluss

      Wie auch die Beiträge des vorliegenden Sammelbands zeigen, kann die retrospektive Sicht auf translatorische Phänomene sehr unterschiedlich ausgerichtet sein (vgl. D’hulst 2010; 2012) und verschiedenen Motivationen folgen (vgl. Paloposki 2013). Diese Motivationen hat vor einiger Zeit auch Christopher Rundle in mehreren Impuls-Beiträgen (vgl. Rundle 2011; 2012; 2014) angesprochen, in denen er von seinen eigenen Erfahrungen ausgehend für translationshistorische Forschungen zwei für ihn gegensätzliche Hauptziele bestimmte, nämlich entweder die Rekonstruktion einer allgemeinen Translationsgeschichte („general history of translation“; vgl. Rundle 2012: 234), oder aber die Verknüpfung translationshistorischer Erkenntnisse mit der einschlägigen allgemeinen Historiografie:

      When we carry out research on translation history, we have a choice. Are we going to attempt to extrapolate the translation features we uncover in the historical context we are examining in order to contribute to a wider, general or more global history of translation – thereby also making our work more accessible to Translation Studies (TS) in general – or are we going to address those scholars who share our historical subject and introduce them to the insights which the study of translation can offer? (Rundle 2011: 33)

      Rundle geht es vor allem um die Frage, für wen die translationshistorischen Erkenntnisse in erster Linie relevant sein sollten. In der ersten Alternative, so Rundle, seien diese wegen der einschlägigen Begrifflichkeit nur für translationswissenschaftlich Eingeweihte zugänglich und interessant, wobei außerdem die Abstraktion zugunsten einer allgemein verständlichen Translationsgeschichte mit dem Verlust historischer Spezifizität der Erkenntnisse einhergehe. Um diesem Risiko zu entgehen, plädiert Rundle nachdrücklich für die zweite Alternative und regt Translationshistoriker/innen dazu an, über den eigenen diskursiven Tellerrand hinauszublicken und ihre Erkenntnisse dort zur Verfügung zu stellen, wo auch das Wissen über den spezifischen historischen Kontext vorhanden ist. Nach Rundle (2012: 239) sollten sich Translationswissenschaftler/innen also vor allem mit der Frage beschäftigen, was uns Translation über Geschichte erzählt und nicht umgekehrt, was uns Geschichte über Translation verrät.

      Rundles Gedanken folgte eine Diskussion über die potenziellen Wege und Foren translationshistorischer Forschung (vgl. „Responses“ von Delabastita 2012, Hermans 2012, St-Pierre 2012; anderswo dazu u.a. Paloposki 2013), die ihn dann dazu veranlasste, seine binären Positionen geringfügig zu revidieren

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