David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens Klassiker bei Null Papier

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Mi­ca­w­ber«, fleh­te sei­ne Gat­tin.

      »Ich sage also«, fuhr Mr. Mi­ca­w­ber fort, ver­gaß sich ganz und lä­chel­te wie­der, »der elen­de Wicht, den Sie vor sich se­hen. Mein Rat ist: Ver­schie­ben Sie nie auf mor­gen, was Sie heu­te tun kön­nen. Auf­schub ist der Dieb der Zeit. Fas­sen Sie ihn beim Kra­gen.«

      »Mei­nes ar­men Pa­pas Grund­satz«, be­merk­te Mrs. Mi­ca­w­ber.

      »Mein Herz«, sag­te Mr. Mi­ca­w­ber, »dein Papa war vor­treff­lich in sei­ner Art, und Gott sei vor, dass ich ihn je her­ab­set­zen soll­te. Aber neh­men wir ihn al­les in al­lem – kurz, wohl nie­mand hat­te in sei­nem Al­ter so statt­li­che Wa­den für Ga­ma­schen und konn­te ohne Bril­le die kleins­te Schrift le­sen wie er. Lei­der wand­te er sei­nen Grund­satz auch auf un­se­re Hoch­zeit an, mei­ne Lie­be, und wir schlos­sen sie dem­zu­fol­ge so vor­zei­tig und schnell, dass ich mich bis heu­te noch nicht von den Un­kos­ten er­holt habe.«

      Er sah sei­ne Gat­tin von der Sei­te an und füg­te hin­zu: »Nicht dass es mich etwa ge­reu­te! Ganz im Ge­gen­teil, mei­ne Lie­be!«

      Hier­auf be­ob­ach­te­te er ein paar Mi­nu­ten tiefs­tes Still­schwei­gen.

      »Mei­nen zwei­ten Rat«, fuhr er fort, »ken­nen Sie be­reits, Cop­per­field. Jähr­li­ches Ein­kom­men: zwan­zig Pfund. Jähr­li­che Aus­ga­ben: neun­zehn Pfund, neun­zehn Schil­ling sechs Pence. Re­sul­tat: Wohl­er­ge­hen. Jähr­li­ches Ein­kom­men: zwan­zig Pfund, jähr­li­che Aus­ga­ben: zwan­zig Pfund sechs Pence. Re­sul­tat: Elend. Die Blü­te ist da­hin, das Laub ver­welkt, der Gott des Ta­ges geht un­ter über ei­nem trau­ri­gen Schau­spiel und – kurz, Sie sind im Saft. Wie ich.«

      Um das Bild noch ein­drucks­vol­ler zu ma­chen, trank Mr. Mi­ca­w­ber mit ei­ner Mie­ne großer Be­frie­di­gung ein Glas Punsch aus und pfiff den »lus­ti­gen Kup­fer­schmied«.

      Ich un­ter­ließ nicht, ihm mit Wor­ten zu ver­si­chern, dass ich mir sei­ne Vor­schrif­ten sehr zu Her­zen neh­men woll­te, – un­nö­ti­ger­wei­se – denn ich war sicht­lich ge­rührt.

      Am nächs­ten Mor­gen traf ich die gan­ze Fa­mi­lie in der Land­kut­sche und sah sie mit trost­lo­sem Her­zen ihre Plät­ze ein­neh­men.

      »Mas­ter Cop­per­field«, sag­te Mrs. Mi­ca­w­ber, »Gott seg­ne Sie! Ich kann es nie ver­ges­sen, glau­ben Sie mir, und möch­te es nicht, selbst wenn ich könn­te.«

      »Cop­per­field«, sag­te Mr. Mi­ca­w­ber, »le­ben Sie wohl! Glück und Wohl­er­ge­hen! Wenn ich mich im Lauf der da­hin­rol­len­den Jah­re über­zeu­gen könn­te, dass mein ver­lor­nes Le­ben eine War­nung für Sie ge­we­sen ist, wür­de ich füh­len, dass ich nicht ver­ge­bens mei­nen Platz auf Er­den aus­ge­füllt habe. Falls eine glück­li­che Wen­dung ein­tritt, wo­von ich fest über­zeugt bin, wer­de ich mich au­ßer­or­dent­lich glück­lich schät­zen, wenn es in mei­ner Macht steht, Ihre Aus­sich­ten zu ver­bes­sern.«

      Ich glau­be, wie Mrs. Mi­ca­w­ber mit den Kin­dern hin­ten auf dem Wa­gen saß und ich so klein auf der Stra­ße stand und sehn­süch­tig zu ih­nen auf­sah, da fiel der Schlei­er von ih­ren Au­gen und sie sah, was für ein win­zi­ges Ge­schöpf ich in Wirk­lich­keit war. Ich glau­be es, weil sie mich plötz­lich mit ei­nem ganz ver­än­der­ten Ge­sicht und mit müt­ter­li­chem Aus­druck in den Zü­gen her­auf­stei­gen hieß und mich um­arm­te und mich küss­te, wie ihr eig­nes Kind. Ich hat­te kaum Zeit, wie­der her­un­ter­zu­kom­men, da fuhr die Kut­sche fort. Ich konn­te die Fa­mi­lie vor lau­ter Ta­schen­tü­cher­schwen­ken kaum mehr se­hen. In ei­ner Mi­nu­te wa­ren sie ver­schwun­den. Der Wais­ling und ich stan­den auf der Mit­te der Stra­ße und sa­hen ein­an­der mit lee­ren Bli­cken an, dann schüt­tel­ten wir uns die Hand und nah­men Ab­schied von­ein­an­der; sie ging ins St.-Lu­kas-Ar­men­haus zu­rück, wahr­schein­lich, und ich an mein trau­ri­ges Ta­ge­werk bei Murd­sto­ne & Grin­by.

      Aber ich hat­te die Ab­sicht, nicht mehr lan­ge dort aus­zu­hal­ten. Nein. Ich hat­te mir vor­ge­nom­men, weg­zu­lau­fen, – so oder so, – um auf ir­gend­ei­ne Wei­se die ein­zi­ge Ver­wand­te, die ich noch auf der Welt be­saß, mei­ne Tan­te, Miss Betsey, auf­zu­su­chen und ihr mein Leid zu kla­gen.

      Ich habe schon er­zählt, dass ich nicht weiß, wie mir die­ser ver­zwei­fel­te Ge­dan­ke ein­ge­fal­len war. Aber ein­mal ent­stan­den, blieb er und setz­te sich in mir fest, wie kaum je­mals im Le­ben spä­ter ir­gend­ein an­de­rer. Ich war durch­aus nicht über­zeugt, dass ich große Hoff­nun­gen he­gen durf­te. Aber ich war fest ent­schlos­sen, mei­nen Plan aus­zu­füh­ren.

      Im­mer und im­mer wie­der seit je­ner schlaflo­sen Nacht, wo mir der Ge­dan­ke durch den Kopf ge­fah­ren, hielt ich mir die alte Ge­schich­te bei mei­ner Ge­burt vor Au­gen, die ich schon in den schö­nen, al­ten Zei­ten mei­ne Mut­ter hat­te so gern er­zäh­len hö­ren und fast aus­wen­dig wuss­te. Mei­ne Tan­te kam in die­se Ge­schich­te hin­ein­ge­schrit­ten und schritt wie­der hin­aus, wie eine Furcht und Grau­en ein­flö­ßen­de Ge­stalt; aber an einen ganz klei­nen Zug ih­res Be­neh­mens er­in­ner­te ich mich so gern, und er gab mir einen win­zi­gen Schat­ten von Er­mu­ti­gung. Ich konn­te nicht ver­ges­sen, dass mei­ne Mut­ter ge­glaubt, sie hät­te ge­fühlt, wie die Tan­te ihr schö­nes Haar nicht mit un­sanf­ter Hand be­rühr­te. Und wenn es viel­leicht eine blo­ße Ein­bil­dung mei­ner Mut­ter ge­we­sen sein moch­te, so mach­te ich mir doch dar­aus ein klei­nes Bild von mei­ner schreck­li­chen Tan­te, auf dem sie mil­der ge­stimmt von dem mäd­chen­haf­ten Ein­druck mei­ner Mut­ter, die doch so gut und lieb­lich ge­we­sen, dreinsah. Wohl mög­lich, dass mir all das lan­ge im Kopf her­um­ge­spukt und dazu bei­ge­tra­gen hat­te, nach und nach mei­nen Ent­schluss zu be­fes­ti­gen.

      Da ich nicht ein­mal wuss­te, wo Miss Betsey leb­te, schrieb ich einen lan­gen Brief an Peg­got­ty und frag­te sie so ne­ben­bei, ob sie sich nicht er­in­nern könn­te. Ich gab vor, ich hät­te von ei­ner Dame die­ses Na­mens in ei­ner Stadt, die ich aufs Ge­ra­te­wohl nann­te, ge­hört und möch­te ger­ne wis­sen, ob es mei­ne Tan­te wäre. In dem­sel­ben Brief sag­te ich Peg­got­ty, dass ich eine hal­be Gui­nee zu ei­nem Zweck, den ich ihr spä­ter mit­tei­len wür­de, brauch­te und bat sie recht sehr, mir die­se Sum­me zu lei­hen.

      Peg­got­tys Ant­wort ließ nicht lan­ge auf sich war­ten und war wie ge­wöhn­lich voll Zärt­lich­keit. Sie leg­te die hal­be Gui­nee bei, ich fürch­te, sie muss­te un­end­li­che Schwie­rig­kei­ten ge­habt ha­ben, sie aus Mr. Bar­kis’ Kof­fer her­aus­zu­be­kom­men – und teil­te mir mit, dass Miss Betsey in der Nähe von Do­ver woh­ne, ob aber in Do­ver selbst, Hy­the, Sand­ga­te oder Folks­to­ne kön­ne sie nicht sa­gen. Ei­ner un­se­rer Leu­te bei Murd­sto­ne & Grin­by klär­te mich dar­über auf, und ich er­fuhr, dass alle die­se Orte dicht bei­ein­an­der lä­gen. Da­her be­schloss ich, mich ge­gen Ende der Wo­che auf den Weg zu ma­chen.

      Da ich ein sehr ehr­li­cher klei­ner Kerl war und bei Murd­sto­ne & Grin­by nicht gern ein schlech­tes An­den­ken zu­rück­las­sen woll­te, blieb ich bis Sams­tag­abend, da mir der Wo­chen­lohn im­mer vor­aus­be­zahlt wor­den war. Die hal­be Gui­nee hat­te ich mir aus­ge­borgt,

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