David Copperfield. Charles Dickens
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»Nicht? Bei G-? Wenn du mit Ehrlichkeit bei mir prahlen willst«, sagte der Kesselflicker, »haue ich dir das Dach ein!«
Mit seiner freien Hand machte er eine Bewegung, als wollte er mich niederschlagen, und musterte mich dann vom Kopf bis zu den Füßen.
»Hast du Geld für eine Kanne Bier bei dir? Wenn dus hast, heraus damit, bevor ich mirs hole.«
Ich würde es gewiss herausgeholt haben, hätte ich nicht den Blick der Frau bemerkt, die hinter ihm kaum merklich den Kopf schüttelte und ihre Lippen zu einem »Nein« verzog.
»Ich bin sehr arm«, sagte ich mit einem Versuch zu lächeln, »und habe kein Geld.«
»Was soll das heißen?« sagte der Kesselflicker und sah mich so scharf an, dass ich schon fürchtete, er sähe das Geld in meiner Tasche.
»Herr!« stammelte ich.
»Was soll das heißen«, sagte der Kesselflicker, »dass du meines Bruders Seidenhalstuch trägst! Her damit!« und schon hatte er es mir vom Halse gerissen und es der Frau zugeworfen.
Das Weib brach in ein Gelächter aus, als ob sie das für einen Spaß hielte und warf es mir wieder hin und nickte wieder und verzog ihre Lippen zu dem Worte: »Fort.«
Ehe ich noch gehorchen konnte, riss mir der Kesselflicker das Tuch mit solcher Gewalt aus der Hand, dass ich zur Seite flog wie eine Feder. Dann wandte er sich mit einem Fluch zu der Frau und schlug sie zu Boden. Ich sehe sie jetzt noch vor mir, wie sie rücklings auf die Steine hinstürzt und dort liegt, den Hut vom Kopf gerissen und das Haar ganz weiß vom Staub. Wie ich mich aus der Ferne umschaue, sitzt sie am Straßenrand und wischt mit dem Zipfel ihres Schals das Blut aus dem Gesicht, während der Kesselflicker unbekümmert weitergeht.
Dieses Abenteuer entsetzte mich so, dass ich später mich immer versteckte, wenn ich Leute solchen Schlages kommen sah und oft ein Stück zurücklaufen musste, was meine Reise sehr verlängerte. Aber in diesen und anderen Bedrängnissen auf meiner Wanderung hielt mich das Fantasiebild von meiner Tante und meiner Mutter aufrecht. Nie wich es von mir. Ich sah es zwischen den Hopfenstangen, als ich mich niederlegte; es stand bei mir früh am Morgen und blieb bei mir den ganzen Tag.
Es hat sich seitdem für immer mit der sonnig hellen Straße von Canterbury und seinen alten Häusern und Toren und seiner alten grauen Kathedrale in meiner Seele verbunden.
Als ich endlich auf die öden weiten Dünen bei Dover kam, vergoldete es mir den einsamen Anblick der Gegend mit einem Hoffnungsstrahl, und erst, als ich das große Ziel meiner Reise erreicht und am sechsten Tag nach meiner Flucht wirklich den Fuß in die Stadt setzte, wich es von mir. Dann, – seltsam genug, – als ich mit zerrissenen Schuhen, staubig, sonnverbrannt und nur halb bekleidet in der so langersehnten Stadt stand, schien es wie ein Traumgesicht zu verschwinden und ließ mich hilflos und entmutigt allein.
Ich erkundigte mich nach meiner Tante zuerst bei den Schiffern und erhielt die verschiedensten Auskünfte. Der eine sagte, sie wohne auf dem südlichen Leuchtturm und hätte sich dort den Backenbart verbrannt, ein anderer, sie sei an der großen Boje draußen vor dem Hafen angebunden, und man könne sie nur bei Stauwasser besuchen. Ein dritter, dass sie wegen Kinderdiebstahl im Maidstonekerker eingesperrt sei. Ein vierter, sie sei während des letzten Sturms auf einem Besen nach Calais geritten. Die Droschkenkutscher, bei denen ich mich dann erkundigte, waren ebenso spaßig und wenig respektvoll, und die Ladeninhaber, denen mein Aussehen nicht gefiel, antworteten meistens, ohne überhaupt meine Frage anzuhören, sie hätten nichts für mich.
Ich fühlte mich unglücklicher und entmutigter als jemals, seit ich fortgelaufen. Mein Geld war zu Ende, ich hatte nichts mehr zu verkaufen, war hungrig, durstig und erschöpft und schien meinem Ziel ferner zu sein als in London.
Der Morgen war über meinen Nachfragen vergangen, und ich saß auf den Stufen vor einem leeren Laden an einer Straßenecke und ging mit mir zu Rate, ob ich nach den anderen Orten, die mir Peggotty geschrieben hatte, wandern sollte, als ein Droschkenkutscher vorbeifuhr und seine Pferdedecke verlor. Ich reichte sie ihm auf den Bock, und etwas Gutmütiges in dem Gesicht des Mannes ermutigte mich, ihn zu fragen, ob er nicht wisse, wo Miss Trotwood wohne. Ich hatte die Frage schon so oft gestellt, dass sie mir fast auf den Lippen erstarb.
»Trotwood?« sagte er. »Lass mal sehen. Ich kenne doch den Namen! Alte Dame?«
»Ja«, sagte ich, »ziemlich.«
»Ziemlich steif im Rücken«, sagte er und setzte sich sehr gerade.
»Ja«, sagte ich, »ich glaube wohl.«
»Trägt einen Strickbeutel? Strickbeutel mit viel Platz drin. Ist mürrisch und fährt einen scharf an?«
Ich ließ den Mut sinken ob dieser Schilderung, die unzweifelhaft auf meine Tante passte.
»Also hör mal«, sagte er, »wenn du dort hinaufgehst«, er wies mit seiner Peitsche nach dem Hügel, »und rechts hinaufgehst bis zu ein paar Häusern am Meer, kannst du Genaueres über sie erfahren. Ich glaube nicht, dass sie etwas gibt. Da ist ein Penny für dich.«
Ich nahm die Gabe dankbar an und kaufte mir Brot dafür. Ich aß es unterwegs und ging in der Richtung, bis ich an die Häuser kam. Ich trat in einen kleinen Laden und bat, ob man nicht so gut sein wollte, mir zu sagen, wo Miss Trotwood wohne. Ich wendete mich an einen Mann hinter dem Ladentisch, der eine Tüte Reis für ein Mädchen abwog, da drehte sich dieses um.
»Meine Herrschaft? Was willst du bei ihr?«
»Ich möchte mit ihr sprechen, bitte.«
»Das heißt, du willst sie anbetteln«, entgegnete das Mädchen.
»Nein«, sagte ich, »wahrhaftig nicht.« Dann fiel mir plötzlich ein, dass ich doch eigentlich zu keinem anderen Zweck kam, schwieg verwirrt und fühlte, wie ich rot wurde.
Die Zofe meiner Tante, denn das musste sie wohl sein, legte den Reis in ein kleines Körbchen und verließ den Laden, mit der Weisung, ich solle ihr folgen, wenn ich wissen wolle, wo Miss Trotwood wohne. Ich war so aufgeregt, dass mir die Knie schlotterten.
Ich folgte dem jungen Mädchen, und wir kamen sehr bald zu einem sehr hübschen Häuschen