David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens Klassiker bei Null Papier

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Huhn und ein Pud­ding ka­men auf den Tisch; ich selbst sah auch aus wie ein tran­chier­ter Vo­gel und konn­te mei­ne Arme nur mit großer Schwie­rig­keit be­we­gen. Aber da mei­ne Tan­te mich selbst ein­ge­wi­ckelt hat­te, durf­te ich mich doch nicht be­kla­gen! Die gan­ze Zeit über lag es mir sehr am Her­zen, zu er­fah­ren, was sie mit mir an­zu­fan­gen ge­den­ke. Aber sie nahm ihre Mahl­zeit in tiefs­tem Schwei­gen ein, nur manch­mal sah sie mich an und rief aus »Gott er­bar­me sich un­ser!« Und das war gar nicht ge­eig­net, mei­ne Be­sorg­nis­se zu ver­scheu­chen.

      Nach­dem das Tisch­tuch ent­fernt war, kam Sher­ry, und ich er­hielt auch ein Glas. Mei­ne Tan­te schick­te wie­der nach Mr. Dick, der uns dann Ge­sell­schaft leis­te­te und so klug dreinsah, wie er nur konn­te, als sie ihn auf­for­der­te, mei­ner Ge­schich­te zu­zu­hö­ren, die sie durch eine Rei­he von Fra­gen aus mir her­aus­lock­te. Wäh­rend mei­ner Er­zäh­lung wand­te sie kein Auge von Mr. Dick, der, wie ich glau­be, sonst ein­ge­schla­fen wäre. Wenn er sich ver­lei­ten ließ, zu lä­cheln, wies ihn ein Stirn­run­zeln mei­ner Tan­te in sei­ne Schran­ken zu­rück.

      »Was nur dem ar­men un­glück­li­chen Baby ein­ge­fal­len sein muss, dass sie noch ein­mal hei­ra­te­te«, sag­te mei­ne Tan­te, als ich fer­tig war. »Ich kann es nicht be­grei­fen.«

      »Vi­el­leicht hat sie sich in ih­ren zwei­ten Mann ver­liebt«, mein­te Mr. Dick.

      »Ver­liebt?« wie­der­hol­te mei­ne Tan­te. »Was re­den Sie da? Zu wel­chem Zweck?«

      »Vi­el­leicht«, sim­pel­te Mr. Dick, nach­dem er ein we­nig nach­ge­dacht, »viel­leicht tat sie es zu ih­rem Ver­gnü­gen.«

      »Zu ih­rem Ver­gnü­gen! Na­tür­lich! Ein Mords­ver­gnü­gen für das arme Baby, ihr schlich­tes Herz ei­nem Schwei­ne­hund zu schen­ken, der sie in je­der Art ent­täusch­te. Was hat sie sich ei­gent­lich da­bei ge­dacht, möch­te ich gern wis­sen? Sie hat­te doch schon einen Mann ge­habt, hat­te Da­vid Cop­per­field be­gra­ben, der von Kind­heit an Wach­s­pup­pen nach­lief, be­saß ein Kind – was brauch­te sie mehr?«

      Mr. Dick schüt­tel­te ge­heim­nis­voll den Kopf, als kön­ne er sich über die­sen Punkt nicht klar­wer­den.

      »Sie brach­te es nicht ein­mal fer­tig, ein Kind zu krie­gen wie an­de­re Leu­te«, sag­te mei­ne Tan­te. »Wo ist die­ses Kin­des Schwes­ter Betsey Trot­wood ge­blie­ben? Kam ein­fach nicht! Re­den Sie nichts!«

      Mr. Dick schi­en ganz er­schro­cken zu sein.

      »Der klei­ne Dok­tor mit dem seit­wärts ge­neig­ten Kopf, Jel­lips oder wie er sonst hieß, wozu war er denn da? Er konn­te nichts, als wie ein Rot­kehl­chen, das er üb­ri­gens ist, sa­gen: ’s ist ein Kna­be. Ein Kna­be! Ha, über die Dumm­heit die­ses gan­zen Ge­schlechts!«

      Über die Hef­tig­keit die­ses Aus­rufs er­schrak Mr. Dick au­ßer­or­dent­lich und, wenn ich die Wahr­heit sa­gen soll, ich eben­falls.

      »Und dann, noch nicht ge­nug da­mit, und als ob sie die­ses Kin­des Schwes­ter Betsey Trot­wood noch nicht ge­nü­gend im Licht ge­stan­den hät­te«, sag­te mei­ne Tan­te, »hei­ra­tet sie zum zwei­ten Mal, geht hin und hei­ra­tet einen Mör­der – oder so et­was der­glei­chen – und steht die­sem Kind auch noch im Licht. Die na­tür­li­che Fol­ge ist, was je­der, bloß ein Baby nicht, hät­te vor­aus­se­hen kön­nen, dass der Jun­ge her­um­va­ga­bun­diert. Er ist, noch be­vor er auf­wächst, ei­nem Kain so ähn­lich wie mög­lich.«

      Mr. Dick sah mich hart an.

      »Und dann ist das Frau­en­zim­mer mit dem heid­nischen Na­men da«, sag­te mei­ne Tan­te, »die muss na­tür­lich auch hei­ra­ten. Weil sie noch nicht ge­nug von dem Un­glück ge­se­hen hat, das bei so et­was her­aus­kom­men muss. Sie hei­ra­tet auch, wie das Kind er­zählt. Ich hof­fe bloß, mei­ne Tan­te schüt­tel­te den Kopf, – dass ihr Gat­te ei­ner von der Prü­gel­sor­te ist, von de­nen man im­mer in der Zei­tung liest, und sie or­dent­lich ver­haut.«

      Das konn­te ich von mei­ner al­ten Kinds­frau nicht mit an­hö­ren und ver­si­cher­te mei­ner Tan­te, dass sie sich be­stimmt irre, Peg­got­ty sei die bes­te, treues­te, hin­ge­hends­te und auf­op­fernds­te Freun­din und Die­ne­rin von der Welt. Ich sag­te, dass sie im­mer mich und mei­ne Mut­ter von Her­zen ge­liebt, – mei­ner Mut­ter ster­ben­des Haupt ge­stützt habe, und dass mei­ne Mut­ter ih­ren letz­ten dank­ba­ren Kuss auf ihr Ge­sicht drück­te. Und da mich die Erin­ne­rung an die bei­den so sehr er­schüt­ter­te, konn­te ich nicht aus­re­den und er­zäh­len, wie Peg­got­tys Haus auch mein Haus sei, dass al­les, was sie be­sä­ße, mein sei, und dass ich nur mit Rück­sicht auf ihre be­schei­de­ne Stel­lung und aus Furcht, ihr Un­ge­le­gen­hei­ten zu ma­chen, nicht bei ihr Schutz ge­sucht habe. Trä­nen er­stick­ten mei­ne Stim­me, und ich leg­te mein Ge­sicht auf den Tisch.

      »Schon gut, schon gut«, sag­te mei­ne Tan­te, »das Kind hat ganz recht, wenn es zu de­nen hält, die ihm bei­ge­stan­den ha­ben. – Ja­net! Esel!«

      Ich bin über­zeugt, ohne das Da­zwi­schen­tre­ten die­ser un­glück­se­li­gen Esel wä­ren wir jetzt zu ei­ner Auss­pra­che ge­kom­men, denn mei­ne Tan­te hat­te mir die Hand auf die Schul­tern ge­legt, und ich war eben im Be­grif­fe, da­durch er­mu­tigt, sie zu um­ar­men und ih­ren Schutz an­zu­fle­hen. Aber die Un­ter­bre­chung und die Auf­re­gung, in die sie durch den Kampf drau­ßen ge­riet, mach­ten vor­der­hand al­len sanf­te­ren Ge­füh­len ein Ende und ver­an­lass­ten mei­ne Tan­te, sich in höchs­ter Ent­rüs­tung ge­gen Mr. Dick über ih­ren Ent­schluss aus­zu­las­sen, bei den Lan­des­ge­set­zen Hil­fe zu su­chen und sämt­li­che Esels­ei­gen­tü­mer von Do­ver zu ver­kla­gen.

      Nach dem Tee setz­ten wir uns ans Fens­ter, – wie ich aus dem ge­spann­ten Ge­sicht mei­ner Tan­te schloss – um auf neue Ein­dring­lin­ge zu lau­ern. Dann als es dämm­rig wur­de, brach­te Ja­net Lich­ter und ein Poch­brett und ließ die Vor­hän­ge her­un­ter.

      »Jetzt, Mr. Dick«, sag­te mei­ne Tan­te mit erns­tem Blick und em­por­ge­ho­be­nem Zei­ge­fin­ger, »will ich Ih­nen eine an­de­re Fra­ge vor­le­gen. Se­hen Sie das Kind an.«

      »Da­vids Sohn?« frag­te Mr. Dick mit auf­merk­sa­mem und be­stürz­tem Ge­sicht.

      »Ganz rich­tig«, ent­geg­ne­te mei­ne Tan­te, »Da­vids Sohn. Was wür­den Sie jetzt mit ihm ma­chen?«

      »Mit Da­vids Sohn ma­chen?« frag­te Mr. Dick.

      »Ja«, er­wi­der­te mei­ne Tan­te, »mit Da­vids Sohn.«

      »O«, sag­te Mr. Dick. »Ja. Mit ihm ma­chen – ich wür­de ihn zu Bett brin­gen.«

      »Ja­net!« rief mei­ne Tan­te mit der­sel­ben tri­um­phie­ren­den Mie­ne, die ich schon ein­mal an ihr ent­deckt hat­te. »Mr. Dick rät uns im­mer das bes­te. Wenn das Bett fer­tig ist, wol­len wir Da­vid hin­auf­brin­gen.« Auf Ja­nets Äu­ße­rung, dass al­les be­reit sei, wur­de ich hin­auf­ge­führt, freund­lich, aber wie eine Art Ge­fan­ge­ner.

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