Genossen!. Jodi Dean

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Genossen! - Jodi  Dean

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Vorstellung machen wir uns von politischer Arbeit? Unter Bedingungen, in denen politischer Wandel als völlig unrealistisch erscheint, stellen wir uns politische Arbeit mitunter als Selbsttransformation vor: Zumindest an uns selbst können wir arbeiten. Innerhalb der stark vermittelten Netzwerke des kommunikativen Kapitalismus betrachten wir beispielsweise unsere Aktivitäten in den sozialen Medien als eine Art Aktivismus, wobei Twitter und Facebook als zentrale Schauplätze der Auseinandersetzung fungieren. Oder wir verstehen das Schreiben als wichtige politische Arbeit und hauen Kolumnen, Leserbriefe und Manifeste raus. Denken wir an politische Arbeit, dient uns oftmals die parlamentarische Politik als Koordinatensystem, in dem es um Abstimmungen, Gesetzesentwürfe, Heckaufkleber und Wahlkampf-Buttons geht. Oder wir stellen uns Aktivisten als Leute vor, die Telefonkampagnen organisieren, Klinken putzen und Kundgebungen auf die Beine stellen. In einer anderen Gedankenwelt begreifen wir politische Arbeit vielleicht als individuelles oder gemeinsames Lernen. Wir stellen uns politische Arbeit eventuell als Kulturproduktion vor, als Aufbau neuer Gemeinschaften, Räume und Sichtweisen. Vielleicht hat unsere Gedankenwelt auch einen militanten, ja gar militaristischen Einschlag: politische Arbeit in Form von Demonstrationen, Besetzungen, Streiks und Blockaden, durch zivilen Ungehorsam, direkte Aktionen und klandestine Strukturen. Selbst wenn uns die Bandbreite politischer Aktivitäten bewusst ist, derer sich die Menschen im Umgang mit spezifischen Situationen und Fähigkeiten bedienen, um durch einen Zusammenschluss noch handlungsfähiger zu werden, stellen wir uns radikale politische Arbeit womöglich doch so vor, dass man einem Nazi aufs Maul gibt.

      Welche Vorstellungen gibt es, angesichts der Vielfalt von Aktionsformen und Aktivitäten, von den Verhältnissen unter den Menschen, die auf derselben Seite kämpfen? In welcher Beziehung stehen die Aktivisten und Organisatoren, die Militanten und Revolutionäre zueinander? Auf dem Höhepunkt der Occupy-Bewegung waren die Beziehungen zu Anderen wochen- und monatelang vielfach durchdrungen von einem gemeinsamen Hochgefühl und Enthusiasmus für die kollektive Mitschöpfung neuer Aktionsformen und Lebensweisen.16 Aber diese Stimmung war nicht von Dauer. Die Aufgabe, ganz verschiedene Menschen und Politikbegriffe unter dem Druck polizeilicher Repression und materiellen Mangels zu organisieren, überstieg die Kräfte auch der engagiertesten Aktivisten. In den sozialen Medien und in der gesamten Linken sind die Beziehungen zwischen den politisch Engagierten heute wieder angespannt und konfliktbehaftet – oftmals entlang von Merkmalen wie Hautfarbe und Geschlecht.17 In der Vereinzelung und Desorganisation sind wir uns nicht sicher, wem man vertrauen und was man erwarten kann: Wir stoßen auf widersprüchliche Vorgaben wie Selbstsorge und Empörung. Unterstellungen untergraben Unterstützung. Erschöpfung ersetzt Enthusiasmus.

      Wenn wir das Augenmerk auf die Genossenschaftlichkeit richten – auf die Art und Weise, in der gemeinsame Erwartungen politische Arbeit nicht nur ermöglichen, sondern auch befriedigend gestalten –, können wir unsere Energien vielleicht wieder auf den gemeinsamen Kampf fokussieren. Als ehemaliges Mitglied der CPUSA erklärte David Ross gegenüber Vivian Gornick:

      Ich wusste, ich würde die neuen Bewegungen niemals so leidenschaftlich betrachten können wie die alte. Mir wurde klar, dass die KP mir einen Sinn für Kameradschaft vermittelt hatte, den ich niemals wieder haben werde. Und dass ich ohne diese Kameradschaft gar nicht politisch sein kann.18

      Der Marxismus war, für Ross, die Kommunistische Partei. Die Partei verlieh dem Marxismus Leben, einen politischen Zweck. Dieses belebende Potenzial resultierte aus der »Kameradschaft«. Ross fährt fort: »Die Vorstellung von Politik als bloß diffuses Bewusstsein in Verbindung mit persönlicher Integrität war und ist für mich ein Unding«. Auf die Linke von heute trifft dieses Politikverständnis zu, »als bloß diffuses Bewusstsein in Verbindung mit persönlicher Integrität«. Vielleicht wirkt dann auch sein Gegenmittel: die »Kameradschaft« oder Genossenschaftlichkeit.

      Mehrere Leute erzählten mir von der Herzenswärme, die sie durchfuhr, als sie in ihrer Partei zum ersten Mal als Genosse willkommen geheißen wurden. Mir ging es selbst so. In seinen Memoiren mit dem Titel Incognegro. Erinnerungen an Exil und Apartheid beschreibt der Theoretiker Frank Wilderson – der früher Mitglied des Umkhonto we Sizwe (MK), also des bewaffneten Arms des ANC gewesen war – sein erstes Treffen mit Chris Hani, dem Generalsekretär der Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) und Stabschef des MK. Wilderson schreibt: »Ich strahlte wie ein Schuljunge, als er mich ›Genosse‹ nannte.«19 Wilderson schilt sich für sein »kindisches Bedürfnis nach Anerkennung«, wie er es nennt.20 Weil er Hani noch immer auf ein Podest erhebt, fühlt er sich wohl angreifbar durch seine Freude21 am egalitären Impuls der Genossenschaftlichkeit: Wilderson hat den Gedanken noch nicht verinnerlicht, dass Hani und er politisch gleichgestellt sind. »Genosse« steht für ein Gleichheitsversprechen, und wo sich diese Verheißung erfüllt, müssen wir feststellen, wie sehr wir immer noch den Ideen von Hierarchie, Prestige und eigener Unzulänglichkeit verhaftet sind, die wir eigentlich ablehnen. Gleichheit anzuerkennen erfordert Mut.

      Wildersons Freude darüber, von Hani als Genosse bezeichnet zu werden, steht in scharfem Kontrast zu einer anderen Begebenheit, bei der »Genosse« die Form der Anrede war: Kurz bevor Wilderson Südafrika gezwungenermaßen verließ, traf er Nelson Mandela 1994 bei einer Veranstaltung der Zeitschrift Tribute. Nach Mandelas Rede stellte Wilderson eine Frage und sprach Mandela als »Genossen« an: »Nicht als Herr Mandela. Auch nicht als ›Sir‹, wie der kriecherische PR-Mogul, der die erste Frage gestellt hatte. Genosse Mandela. Das kleidete ihn wieder in das militante Gewand, das er abgelegt hat, seit er das Gefängnis verlassen hatte.«22 Wie Wildersons Schilderung zeigt, kann der Gleichstellung gebietende Nachdruck von »Genosse« aggressiv wirken und ein Mittel der Disziplinierung sein – das ist Teil seiner Macht. Jemanden als »Genosse« oder »Genossin« anzusprechen erinnert das Gegenüber daran, dass man etwas von ihm erwartet.

      Disziplin und Freude sind zwei Seiten derselben Medaille, zwei Aspekte der Genossenschaftlichkeit als Modus politischer Zugehörigkeit. Als Form der Ansprache, als Figur des politischen Verhältnisses und als Träger von Erwartungen stört »Genosse« die hierarchische Festlegung nach Geschlecht, Herkunft und Klasse in der kapitalistischen Gesellschaft. »Genosse« beharrt auf der Gleichstellung gebietenden Gleichheit der Menschen, die in einem politischen Kampf auf derselben Seite stehen, und macht diese nutzbar für neue Arten der Zusammenarbeit und Zugehörigkeit. In dieser Hinsicht ist der »Genosse« ein Träger utopischer Sehnsucht im Sinne von Kathi Weeks. Die utopische Form hat, laut Weeks, zwei Funktionen: »Eine Funktion besteht darin, unsere Verbindung zur Gegenwart zu verändern, und die andere darin, unsere Beziehung zur Zukunft zu verlagern; die eine erzeugt Entfremdung, die andere Hoffnung.«23 Die erste Funktion mobilisiert die Negativität der Disidentifikation und Loslösung: Die aktuellen Verhältnisse erscheinen zunehmend seltsam und verlieren ihre Macht über unseren Möglichkeitssinn. Die zweite Funktion lenkt »unsere Aufmerksamkeit und Energie auf die offene Zukunft« und »vermittelt die Vision oder Ahnung von einer besseren Welt«.24 Die Macht des Worts »Genosse« ergibt sich daraus, dass es alte Beziehungen negiert und neue verheißt – das Versprechen selbst bringt sie hervor und heißt den neuen Genossen in Verhältnissen willkommen, die sich aus dem gesellschaftlichen Umfeld nicht ableiten lassen.

       Von Überlebenden und Systemen

      Das vorliegende Buch entwickelt eine Theorie des Genossen als Chiffre für das politische Verhältnis zwischen Menschen, die auf derselben Seite stehen. Diese hebt sich von den beiden widerstreitenden Strömungen ab, die heute in Theorie und Praxis der Linken den Ton angeben und entweder die Überlebenden oder die Systeme in den Mittelpunkt stellen: Der Überlebenden-Diskurs ist in sozialen Medien, akademischen Zusammenhängen und einigen politischen Gruppen präsent. Seinen Ausdruck findet er in einem engen Identitätsbezug und in Rufen nach ausgesuchter Unterstützung (allyship), wie ich unten darlege. Der System-Diskurs überwiegt in ästhetischkonzeptkünstlerischen Gefilden in Form einer posthumanistischen Auseinandersetzung mit Geologie, Gattungssterben, Algorithmen, »Hyperobjekten«, Biosystemen und der Erschöpfung des Planeten.25 Einerseits haben wir also die Überlebenden,

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