Genossen!. Jodi Dean

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Genossen! - Jodi  Dean

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      Einigen Lesern erscheint »Genosse« als Form der Anrede heute vielleicht unangenehm und deplatziert. Das Wort ist der politischen Kultur in den Vereinigten Staaten wohl allzu fremd. In Europa hingegen gilt es womöglich als stalinistisch, altmodisch oder restriktiv. Ausdrücke wie »Kollege«, die weniger Verpflichtung bedeuten und sich einfacher in den kapitalistischen Rahmen der Europäischen Union fügen, werden häufiger verwendet und sind weniger anstößig. Ganz haltlos sind diese Vorbehalte nicht.

      Die US-amerikanischen Berührungsängste verkennen allerdings die Geschichte des Sozialismus und Kommunismus in den Vereinigten Staaten. Und die allgemeineren Berührungsängste sind vor dem Hintergrund des Untergangs der Sowjetunion, der durchdringenden Neoliberalisierung und der Vergötterung individueller Identität durch die kapitalistische Ideologie zu sehen. In einem als »postpolitisch« und »postdemokratisch« analysierten Umfeld ist das Persönliche – die Erfahrungen, Gefühle und Gefährdungen des Einzelnen – zum bevorzugten Ort politischer Betätigung geworden. Eine Überraschung ist das angesichts der neoliberalen Unterwerfung öffentlicher und politischer Praktiken wie Institutionen unter die Marktmechanismen nicht. Doch was die Linke als Sieg verbuchen will, ist das Symptom ihrer Niederlage, nämlich die Erosion der politischen Arbeitermacht und der damit einhergehende Niedergang der Arbeiterparteien. Die Behauptung, das Wort »Genosse« klinge hölzern, ist also weniger deskriptiv als vielmehr symptomatisch. Sie steht für eine Situation, die nach Veränderung schreit, für ein Problem, das gelöst werden muss, und für eine Organisation, die aufzubauen ist.

      Wenn nur noch die Identität übrig ist, kann es vernünftig sein, sich daran zu klammern. Zumindest – und allen Widrigkeiten zum Trotz – überlebt man. Wie Silva in ihren Interviews mit Jugendlichen aus dem Arbeitermilieu allerdings herausfand, können sich Menschen so sehr an ihre Identität als Überlebende binden, dass sie die Verhältnisse nicht mehr kritisieren und infrage stellen können, mit denen sie zu kämpfen haben. Weil diese Verhältnisse, meist Teil des rassifiziert-patriarchalen Kapitalismus, als gegeben hingenommen und entweder als kontingent oder als unabänderlich36 aufgefasst werden, erscheint das Überleben selbst als echte politische Errungenschaft.37 Trotzdem hat diese Identitätsbindung etwas Krankhaftes: Man ist hier der Fantasie einer Ganzheit oder Gewissheit verhaftet, der Illusion jenes reinen Ortes, mit der wir uns versichern, im Recht zu sein und auf Seiten der Engel zu stehen. Diese Einbildung versperrt die Sicht darauf, dass Identitäten selbst gespalten, umstritten und Orte des Klassenkampfes sind. Wer sich als Frau, als Schwarzer, als Transgender oder als Überlebender identifiziert, sagt damit noch nichts über das eigene Politikverständnis.

      Identitäten sind eher Schauplätze als Grundlage oder Mittel des Kampfes; das wird offenkundig, sobald wir uns dem Konzept der Unterstützerschaft, der allyship, zuwenden. Der Begriff ally, also Unterstützer oder Bündnispartner, hat zuletzt in aktivistischen Kreisen der US-Linken an Bedeutung gewonnen – ungeachtet der mitschwingenden Assoziationen von souveränen Nationalstaaten, die sich in Kriegszeiten zu Bündnissen zusammenschließen. Seit mindestens fünf Jahren wird in den sozialen Medien und an den Universitäten, aber auch unter Stadtteilaktivisten eine intensive Debatte darüber geführt, was es bedeutet, Unterstützer zu sein, und wer Unterstützer sein kann. Unterstützer sind im Allgemeinen privilegierte Menschen, die etwas gegen Benachteiligung Anderer tun wollen. Sie selbst betrachten sich zumeist nicht als Überlebende oder Opfer, aber sie wollen helfen. Unterstützer können also Heteros sein, die für LGBTQ-Menschen eintreten, Weiße, die schwarzen Menschen helfen, Männer, die Frauen beistehen, und so weiter. Noch nicht untergekommen ist mir das Wort als Bezeichnung für Wohlhabende, die sich an Arbeiterkämpfen beteiligen. Unterstützer haben nach eigener Einschätzung kein homophobes, rassistisches oder sexistisches Selbstbild. Sie betrachten sich als die Guten, als Teil der Lösung.

      Allerdings, wie es in den Diskussionen über das Unterstützungskonzept oftmals heißt: Sich als Unterstützer zu bezeichnen macht einen noch nicht zum Unterstützer. Allyship ist ein zeit- und energieintensiver Prozess, keine Identität. Man muss daran arbeiten. Ein Großteil der einschlägigen Texte und Videos verfolgt demgemäß didaktische und informative Ziele und kommt als Ratgeber oder Checkliste daher. Diese Anleitungen für gute Unterstützer sind, genau wie die Aufräumratgeber einer Marie Kondō oder die »Clean Eating«-Tipps zur gesunden Ernährung, knappe Lifestyle-Handbücher mit Orientierungstechniken für eine neoliberale Gesellschaft, die von Privilegien und Benachteiligung geprägt ist. Individuen lernen hier, was man nicht sagen und nicht tun sollte. Sie können sich engagiert fühlen und wenn schon nicht die Welt, so doch ihre Einstellung ändern, ohne die Macht zu ergreifen und ohne irgendeinen organisierten politischen Konflikt. Die »Politik« in diesen Unterstützer-Anleitungen besteht aus zwischenmenschlicher Interaktion, individualisierten Gefühlen und vermittelten Affekten.

      Die Ratgeber für gute Unterstützer, die online kursieren (als Blogbeiträge, Videos, Artikel und Handouts für Seminare und Universitäten), richten sich immer an ein Individuum mit privilegierter Identität, das sich gegenüber den Marginalisierten und Benachteiligten solidarisch zeigen will. Wie ich gleich genauer ausführen werde, wird dieser potenzielle Unterstützer als jemand vorgestellt, der wissen will, was man sofort, auf eigene Faust und im Alltag tun kann gegen Rassismus, Sexismus, Schwulenfeindlichkeit und andere Formen der Unterdrückung. Als Betätigungsfeld des Unterstützers gelten gemeinhin soziale Medien (wo es etwa darum geht, richtig auf rassistische oder sexistische Äußerungen bei Twitter zu reagieren), Wohltätigkeit (durch Spenden an und Organisieren von Crowdfunding-Kampagnen), der berufliche Kontext (durch Einstellen von Marginalisierten und Förderung von Benachteiligten), Gespräche an der eigenen Schule oder Universität (bei denen man weiß, was man nicht sagt) und manchmal auch der öffentliche Protest (wobei man Veranstaltungen von Anderen nicht dominieren soll). Öfter noch bilden die eigene individuelle Einstellung, Haltung und Verhaltensweise des Unterstützers das hypothetische Betätigungsfeld. Die Ratgeber belehren die Unterstützer darüber, was sie fühlen, denken und tun müssen, wenn sie sich als Menschen betrachten wollen, die auf der Seite der Benachteiligten stehen: Ändern muss sich ihr Bewusstsein.

      So erläutert die offene »Anleitung zur Allyship«, die 2016 von der als cisgeschlechtliche schwarze Frau positionierten Amélie Lamont geschrieben wurde, nachdem die Verfasserin bei einer Auseinandersetzung mit einem Rassisten von einem weißen Unterstützer im Stich gelassen worden war:

      Unterstützer zu sein bedeutet: den Konflikt als deinen eigenen anzunehmen. Einzugreifen, auch wenn du Angst hast. Die Vorteile deiner Privilegien den nicht privilegierten Menschen zugänglich zu machen. Dir bewusst zu machen, dass sich das Gespräch – bei all deiner Empörung – nicht um dich dreht.38

      Allyship ist hier eine Frage des Egos, der Selbsterkenntnis, des alleinstehenden Individuums, das sich als Einzelperson in einen Konflikt einmischt, der eigentlich nicht seiner ist. Dabei werden Konflikte wie Besitztümer oder Gegenstände aufgefasst, die man an sich nehmen, übernehmen und in sich aufnehmen kann; wobei man aufgefordert ist, diese »Erwerbungen« als etwas anzusehen, auf das man als Unterstützer kein Anrecht hat. Doch was dabei genau der Konflikt, was das Politikverständnis ist, das bleibt undurchsichtig, unausgesprochen und eine Frage der persönlichen Wahrnehmung, Haltung oder Befindlichkeit.

      Noch ein weiteres Beispiel, hier aus einem BuzzFeed-Beitrag mit dem Titel »Ein besserer Unterstützer sein: Offener Brief an weiße Leute«. Der Text stammt von einer Autorin des BuzzFeed-Podcasts Another Round und beantwortet die Frage einer weißen Person, was es heißt, Unterstützer zu sein:

      Hattest du schon mal ein Gespräch mit einem feministischen Mann, das plötzlich ins Stocken gerät, weil dieser sich darüber beklagt, dass Feministinnen eine Sprache verwenden, die Männer und auch feministische Männer ausschließt? (»Nicht alle Männer sind …«) Ich schon! Ein guter Unterstützer zu sein heißt häufig, in ein Gespräch nicht einbezogen zu werden, weil es in dem Gespräch nicht um dich geht. Zuhören ist etwas Gutes. Wenn du dich unbehaglich und ausgeschlossen fühlst, weil du weiß bist, solltest du diese Emotionen

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