Uwe Johnson. Bernd Neumann

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Uwe Johnson - Bernd Neumann eva digital

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endete die Parallele zur Güstrower Schulrealität auch schon. Denn die Ingrid in der ursprünglichen Novellenfassung protestierte (der Erinnerung Hildegard Emmels zufolge, die diese Fassung später in Rostock gelesen hat) gegen den Deutschunterricht des »Blonden Gifts«. Das wird später nicht mehr so sein.

      Wie es Uwe Johnson daneben als Literaturrezipient im Deutschunterricht ergangen sein mag, illustriert der Schüler Lockenvitz – wenn auch in einem anderen Deutschunterricht als dem des »Blonden Gifts«. Lockenvitz erweist sich als der Thomas Mann-Kenner, der Johnson damals bereits war. Der Kandidat Weserich liest mit seiner Klasse Theodor Fontanes Schach von Wuthenow. Lehrer und Klasse stellen zunächst Übereinstimmung darüber her, daß »ein Personenname immer die ehrlichste [Titel]-Ankündigung ist«. Diese Einsicht, sagen die Jahrestage in ihrem vierten Band, stamme von Thomas Mann. Das ist gewiß richtig. Doch Weserich legt diese Maxime geradezu brechtisch aus, wenn er folgert, daß Fontane einen Namen als Titel gewählt habe, weil die erwogenen »anderen fast alle ein Urteil enthalten, dem Leser sein eigenes vorwegnehmen. Fontane wünschte seine Leser unabhängig!« In diesem brechtischen Geist beginnt die Klasse mit Interesse, Fontanes historische Erzählung zu lesen. Das gute Ende freilich

      verdarben wir uns. Lockenvitz, der vermasselte es. [...] Lockenvitz, nunmehr Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Pagenkopf/Cresspahl, fragte uns nebenbei, ob Herr Weserich wohl selber eine Prüfung aushalte. Es ist wahr, wir gaben ihm die Erlaubnis. (Jahrestage, S. 1705)

      Lockenvitz holt, seinen Lehrer zu triezen, das Gutachten Georg Lukács’ zu Weserichs Thesen ein. Was der »Widerspruchsgeist« Lockenvitz anbrachte, war

      eine Zeitschrift aus der halben Hauptstadt, mit farbiger Bauchbinde, Form hieß sie, oder Sinn, die Botschaft der ostdeutschen Staatskultur an den Rest der Welt, darin schrieb der amtierende Fachmann für sozialistische Theorie in der Literatur, Heft 2, Seite 44–93 über Fontanes »Schach von Wuthenow«: die Erzählung sei ein »Geschenk des Zufalls«. Die darin geübte Kritik am preußischen Wert sei »absichtslos«, sei »unbewußt«. (Jahrestage, S. 1706)

      Soweit das angebliche Zitat aus der Kulturzeitschrift Sinn und Form, das sich zwar nicht an der von Johnson angegebenen und auch nicht anderswo im Wortlaut findet, annähernd aber in der Buchfassung von Lukács’ Aufsatz, wie sie im Aufbau-Verlag und anderswo erschienen ist. Lockenvitz hatte sich ein Duell erhofft zwischen »einer Schulklasse in Mecklenburg und einem Grossdialektiker« in Budapest. Am Ende resultiert aus seiner Aktion die »Republikflucht« des einzigen Deutschlehrers, bei dem man das Deutsche wirklich hätte lesen lernen können. Was Johnson alias Lockenvitz sich in der Weserich-Episode zuschrieb, man mag es zuallererst als Verbeugung des Fontane-Preisträgers gegenüber Fontanes Literatur lesen. Andererseits beinhaltet die Weserich-Episode einen deutlichen Hinweis darauf, daß der Oberschüler und Abiturient von 1952 noch ein Anhänger der Lehren des Georg Lukács gewesen war.

      KURT HOPPENRATH, DEUTSCH- UND MUSIKLEHRER

       IN GÜSTROW.

       INDIZIEN FÜR DIE EXISTENZ EINER UR-»BABENDERERDE«

      Die geschilderte Episode aus dem vierten Band der Jahrestage stellt ihrerseits auch eine – erfundene – Erinnerungs-Hommage an den Deutsch- und Musiklehrer Kurt Hoppenrath dar, der Güstrow seinerseits verlassen mußte und der, ganz wie der Kandidat Weserich im Roman, in Göttingen promovierte. Dem Lehrer Hoppenrath und dessen Familie sah der Oberschüler Johnson sich nahezu freundschaftlich verbunden. Glaubt man seinem damaligen Sportlehrer Horst Dehn, schien er sich bei den Hoppenraths zeitweilig mehr zu Hause zu fühlen als bei der eigenen Mutter am Ulrichplatz. Zudem verfügten die Hoppenraths über den Zugang zu einem Bootshaus am Inselsee. Auf dessen Steganlage hat der Oberschüler Johnson, damals bereits ein Pfeifenraucher und Segler auf dem schuleigenen Piraten, Teile seiner frühesten Produktion, darunter das verschollene Babendererde-Fragment, Gedichte und wohl auch die Beschreibung Gabrieles verfaßt. Andererseits sollte man sich unter seinem häufigen Aufenthalt im Hause Hoppenrath doch keine allzu große Vertrautheit oder gar Seelenfreundschaft vorstellen. »Problemgespräche« hat man nicht miteinander geführt. Insgesamt vollzogen sich die Unterhaltungen eher auf der Ebene eines unverbindlichen »Blödelns« als auf der eines fachlich-literarischen Austauschs. Noch Ende der fünfziger Jahre in Göttingen glaubte Johnson es im übrigen seinem oppositionellen Schülerimage schuldig, das Mitbringen von Blumen für Louise Hoppenrath glatt zu verweigern – auch dann noch, als der Ehemann ihm, die Form zu wahren, das Geld dafür verstohlen in die Hand drückte.

      Aus der Hoppenrathschen Bibliothek lieh Uwe Johnson zwischen 1950 und 1952 häufig Bücher aus. Ihr verdankt sich seine Vertrautheit mit dem Gesamtwerk Thomas Manns – die erste entscheidende Begegnung resultierte, wie die Begleitumstände vermerken, aus dem Jahr 1949. Nachfragen der Hoppenraths machten deutlich, daß der Schüler in der Tat die Gesammelten Werke gelesen, sie geradezu durchstudiert hatte – ein Hinweis überdies auf Johnsons erstaunliches Gedächtnis, zumal die Lektüre jeweils innerhalb kürzester Zeit abgeschlossen war. Natürlich »ist« Hoppenrath keineswegs der Weserich des Romans. Doch hat Johnson diesem Lehrerfreund mutatis mutandis nachgesandt, was der Lockenvitz der Jahrestage, »unberaten«, »unbefohlen«, seinem Deutschlehrer Weserich nachsandte: zwanzig zu begutachtende Aufsatzseiten. 1954 schrieb der Schüler seinem Lehrer eine Art Offenen Brief (veröffentlicht 1992 in Entwöhnung von einem Arbeitsplatz, S. 104 ff.); Kurt Hoppenrath hatte sich da bereits in Göttingen eingerichtet. Daß dieser sich, als es Zeit für ihn zu gehen war, die Umzugskartons noch vom Schulmeister der John Brinckman-Schule besorgen ließ, wahrhaftig »in cold blood«, das hat Uwe Johnson außerordentlich imponiert. Im erwähnten Offenen Brief unter dem 6. Oktober 1954 schreibt er:

      Herr Hoppenrath ist mit mir durchaus nicht verwandt, oder verschwägert. [...] Wir lernten uns besonders kennen im Juli des Jahres 1951, gelegentlich gemeinsamer Betrachtungen über pädagogische Ethik, Betrachtungen die sich zusehends mit Salz anreicherten. [...] Herr Hoppenrath unterrichtete am gleichen Institut in den Fächern Musik und Deutsch [...] Doch war Herr Hoppenrath nicht nur bei wenigen beliebt. Man freute sich allgemein ihn zu sehen, denn er führte ergötzliche Reden. Er bemühte sich, im Gegensatz zu der obligaten Parteilichkeit marxistischer Wissenschaft, seinen Stoff einiger Massen objektiv darzustellen – es ist, heute und hier, begeisternd, jemand sagen zu hören was er denkt, um so mehr: wenn alle dasselbe denken. – Er leitete den John Brinckman-Chor: das war eine seltene Gelegenheit zu wirklich musikantischer Arbeit; das Lied der Gewerkschaften brauchten wir nicht zu lernen, aber das deutsche Volkslied haben wir begriffen (mitunter ward uns auch besondere Kenntnis, etwa von der Scheusslichkeit des Dreiklanges Es-E-D).

      Wie Weserichs Dissertation über Fontanes Schach von Wuthenow in Göttingen gedruckt wurde, so promovierte Kurt Hoppenrath im Juli 1964 an derselben Universität über Eduard Krüger (1807–1885). Leben und Wirken eines Musikgelehrten zwischen Schumannscher Tradition und Neudeutscher Schule. Uwe Johnson liebte die romantische Musik. Neben Johann Sebastian Bach waren ihm Franz Schubert und auch Robert Schumann durchaus vertraute Komponisten. Hoppenrath schmiedete die Schülerschaft beim Chorsingen zusammen. Dies hat ihm sein ehemaliger Schüler denn auch noch 1954 ausdrücklich bescheinigt: »Der Chor war das einzige wahrhafte Kollektiv an dieser Schule, meine ich.« Das einzige Kollektiv mithin an einer sich als sozialistisch verstehenden »Neuen Schule«.

      Die politische Atmosphäre der John-Brinckman-Schule in den Jahren der »Formalismus«-Kampagne 1951/52 schließlich hallt in den folgenden Formulierungen nach, die auch die Annahme nahelegen, daß Uwe Johnson diesen Brief wohl nicht der Post der »Demokratischen Republik« anvertraut haben wird:

      Es ist hierzulande das merkwürdige Phänomen gebräuchlich, dass manche Schüler auftragshalber an jeder Äusserung ihres Lehrers erwägen, ob sie für die Schulleitung von Interesse sei, oder nicht. (Übrigens ist der stellvertretende Direktor der John Brinckman-Oberschule Sonderbeauftragter des Staatsicherheitsdienstes zumindest 1951 gewesen.) Auf solchen Wegen pflegen sich allerlei Gefährlichkeiten an unrechter Stelle anzusammeln;

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