Uwe Johnson. Bernd Neumann

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Uwe Johnson - Bernd Neumann eva digital

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Kandidat Weserich und der Lehrer Hoppenrath: Mit beider Promotion in Göttingen endet die Parallele. Nach Erscheinen der Mutmassungen übrigens bekam Kurt Hoppenrath das Buch zugesandt, soll es aber aufgrund der eigenwilligen Kommasetzung dem Autor mit dem Bemerken zurückgesandt haben, dieser solle um Gottes willen nie behaupten, daß er bei ihm Deutschunterricht gehabt hätte – was Uwe Johnson denn auch nie getan hat.

      Bleibt Kurt Hoppenrath als Hauptzeuge für die Existenz einer Vorversion der Ingrid Babendererde, indem er im Frühsommer 1952 gegenüber Horst Dehn geäußert hat: »Der Johnson macht die Schule nur nebenbei; er hat ja schon sein erstes Buch geschrieben.« Zur Zeit seines Abiturs im Mai/Juni 1952 hatte Johnson Hoppenrath die Mitteilung gemacht, er habe die Babendererde fertig. Diese erste Fassung der Babendererde wird dann der Abiturient und angehende Student aus Güstrow mit nach Rostock nehmen.

      WILHELM GIRNUS VERSUS ERNST BARLACH.

       DER SCHÜLER JOHNSON IM RAHMEN DER

       »FORMALISMUS«-DEBATTE

      Wir wissen, auch aus den Begleitumständen, daß die Abiturienten in Güstrow 1951/52 auf ihre Reifeprüfung nicht zuletzt durch intensive Lektüre des Neuen Deutschland, insbesondere von Artikeln aus der Feder Wilhelm Girnus’, vorbereitet wurden. Girnus war Vorsitzender der staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten, die am 31. September 1951 zur besseren Gängelung der Künste – neben anderen auch gegen Einwendungen Bertolt Brechts – installiert worden war. Girnus, ein Schüler des seinerzeit in Leipzig lehrenden Literaturhistorikers Hans Mayer, erschien der Partei als der richtige Mann, gegen Barlach und andere »Formalisten« anzutreten. Johnson schreibt über Mayers entlaufenen Schüler:

      »Eine Begabung ist eine einmalige und kann in jedem Fall etwas anderes sein«, das war Originalton Girnus. Er war ja kein Unbekannter. Unter seiner Ägide, als er der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten vorsass, hatte ein Oberschüler lernen müssen für die Reifeprüfung, was ein Girnus unter Formalismus verstand, nämlich eine typische Verfallserscheinung der bürgerlichen Kunst, der als einer Mode-Erscheinung auch fortschrittliche Künstler verfallen können, siehe Picasso. Wer dann Picassos Taube gesehen hatte auf dem Vorhang in Brechts Theater am Schiftbauerdamm, hatte leichte Wahl. Weiterhin war es eben dieser Girnus gewesen, der den Oberschülern ins Pensum geschrieben hatte, es gebe eine so schlimme Abweichung wie den Kosmopolitismus, eine von, vorzugsweise jüdischen, Imperialisten ausgesäte Ideologie, die die Einschränkung der staatlichen Unabhängigkeiten als gesetzmässig ausgebe, mit freundlichen Grössen von Stalin, der die Vaterschaft an dem jüdischen unter seinen Völkern in den Wind schlagen wollte. (Begleitumstände, S. 107)

      Die staatliche Kunstkommission unter Vorsitz von Girnus erscheint als ein Resultat des ersten Kulturkampfes, den die SED in ihrem Staat meinte führen zu müssen. Die Auseinandersetzung begann ein Jahr vor Johnsons Abitur. Sie wandte sich unter anderem gegen eine Ausstellung von Werken Ernst Barlachs in Berlin. Die SED erwirkte die vorzeitige Schließung der Ausstellung und die Entlassung des Verantwortlichen. Nachdem Ernst Barlach von den Nationalsozialisten als »entartet« gebrandmarkt worden war, sahen die neuen Machthaber und Girnus in Barlachs Plastiken den volksfremden »Formalismus« exemplarisch realisiert.

      Selbstverständlich machte die Schließung der Berliner Barlach-Ausstellung ein vieldiskutiertes Thema in der Barlach-Stadt Güstrow aus. Uberdies dachte, was Barlach anging, der Güstrower Uwe Johnson wohl immer schon eigen. Bereits der Schüler besaß eine enge Beziehung zu Barlachs Vertrautem »Lütten Schult«, der als Zeichenlehrer an der John-Brinckman-Schule unterrichtete und dessen Sohn Friedrich-Ernst Schult Johnson später das wesentliche Ambiente für den Beruf des Heinrich Cresspahl in den Jahrestagen liefern wird. Und nicht nur den schwebenden Engel im Dom hat Johnson bewundert. Er ließ auch seine Gesine mit dem Barlachschen Fries der Lauschenden im Gepäck nach Düsseldorf umziehen.

      Vor allem aber erscheint Ernst Barlach untrennbar mit jener Landschaft verbunden, die auch Uwe Johnson geprägt hat. Der Güstrower Heidberg, an seinem Fuß liegt Barlachs Atelierhaus, stellt den Heiligen Berg von Johnsons norddeutschem Yoknapatawpha-County dar. Den Blick vom Heidberg als den Wunsch Gesines für die Stunde des Sterbens hat der Autor Johnson später in den Jahrestagen festgehalten. Am Beispiel des Heidbergs lernte Uwe Johnson nichts Geringeres als die »Unentbehrlichkeit der Landschaft«. Nach den »Wellen der Mecklenburgischen Landschaft« hatte Barlach einst seine Plastik eines Liegenden entworfen. Heinrich Cresspahl im Werk des Uwe Johnson aber erscheint entworfen nach der Plastik eines Spaziergängers, den Barlach gegen Mecklenburgs Wind anschreiten ließ. Ernst Barlach und seine Plastiken: Für Uwe Johnson waren sie aufs engste verbunden mit seiner Heimatlandschaft; sie waren ihm eins mit jener einmalig-unwiederholbaren Formation aus Wald, Hügeln und Wasser, »in der Kinder aufwachsen und das Leben erlernen«, wie Gesine sagen wird (Jahrestage, S. 1822). Größere Nähe erscheint kaum vorstellbar. Jedenfalls nicht im Fall des Güstrowers Uwe Johnson, der dann auch seine Examensarbeit bei Hans Mayer über Ernst Barlachs Gestohlenen Mond schreiben wird.

      Durch seine Nähe zu Barlach gehörte Uwe Johnson folglich zu den Betroffenen in jenen Debatten um den »Formalismus«, wie sie seit 1951 geführt wurden in der DDR. Unter dem Druck des zu bestehenden Abiturs identifizierte sich der Oberschüler mit den aggressiven ideologischen Forderungen der Schule. Zum letzten Mal in Johnsons Leben wiederholte sich ein emotionales Muster, das seine Präfiguration bereits auf der »Heimschule« erfahren hatte. Wie die »Quexe« gegen den lesenden Johnson, so gingen die Ideologen des Antiformalismus-Kampfes gegen den Barlach-Verehrer Johnson vor. Deren orthodoxer Wortführer Wilhelm Girnus stellt dann auch folgerichtig jene Person dar, die Johnson in der Rückerinnerung der Begleitumstände mit größtem direktem Ingrimm und nahezu haßerfüllter Erbitterung bedenkt. In ihm sah er nichts anderes als den ideologischen Jugendverderber seiner Abiturstage. Wilhelm Girnus stand selbstverständlich, nicht nur in der Barlach-Frage, auch gegen Bertolt Brecht, wie vor ihm bereits Georg Lukács. Auch hierin wurde ein »Erbe« bewahrt.

      Am 4. Januar 1952 hatte Wilhelm Girnus nachfolgenden Artikel veröffentlicht, und man kann davon ausgehen, daß diese Ausführungen Stoff für den Deutsch- und Gegenwartskunde-Unterricht in Güstrow abgaben:

      Die Akademie der Künste zeigt gegenwärtig Werke des Plastikers und Zeichners Ernst Barlach, der 1938 in Mecklenburg verstorben ist. Die Akademie hat sich offensichtlich von dem Bestreben leiten lassen, der deutschen Öffentlichkeit das Werk eines Künstlers vorzuführen, von dem sie glaubte, daß in ihm das Streben zur Verbindung mit dem Volke, besonders mit der Bauernschaft lebe. Unzweifelhaft ist in ihm ein echtes Bedürfnis des Mitleidens mit dem leidenden Volk, den Beleidigten, Verfolgten, Unterdrückten, Ausgestoßenen vorhanden. Den Nazis, die im Deutschen den Herrendünkel, den Rassenwahn züchten wollten, mißfiel Barlach, weil er nicht die »blonde Bestie« verherrlichte. Aber die neuerliche Betrachtung seines Werkes zeigt doch so deutlich wie noch nie, daß Barlach ein auf verlorenem Posten stehender, in seinem Grundzug rückwärts gewandter Künstler war. Barlach hatte keine Vorstellung, wie das menschliche Leid überwunden werden kann, und daher ist er nicht in die Tiefe der Seele des unterdrückten Menschen gedrungen. Seine Geschöpfe sind eine graue, passive, verzweifelte, in tierischer Dumpfheit dahinvegetierende Masse, in denen auch nicht der Funke eines starken, lebendigen Gefühls des Widerstandes zu spüren ist. Mit Vorliebe sucht Barlach seine Typen in Bettlern, Vagabunden, Landstreichern, jenen passiven Schichten des Lumpenproletariats, die ohne jede Hoffnung leben.

      Charakteristisch bezeugen Girnus’ Ausführungen den stalinistischen Geist in der Kunstdebatte jener Jahre. Der Künstler Barlach ließ allen Optimismus vermissen und war folglich untragbar für die glorreiche Neue Zeit. Ihm fehlte das Positive, Konstruktive.

      Uwe Johnson hat im Abschlußband der Jahrestage direkt auf die zitierte Girnus-Passage Bezug genommen. Das geschah mit zahlreichen wörtlichen Übernahmen und einem Verweis auf Stalin, so daß der Leser meinen kann, der Woschd selbst spräche, wo in Wahrheit lediglich Wilhelm Girnus zitierend

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