Uwe Johnson. Bernd Neumann

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Uwe Johnson - Bernd Neumann eva digital

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März 1951 verabschiedeten Dokumentes hatte Girnus »verdienstvoll« mitgewirkt. Es lautete:

      Kulturelle Erfolge in der Deutschen Demokratischen Republik.

       Das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands stellt fest, daß in der Deutschen Demokratischen Republik auch auf dem Gebiet der Kunst und Literatur Leistungen erzielt wurden, auf die alle fortschrittlichen Deutschen mit Recht stolz sind. Dazu gehören die Werke der Schriftsteller und Dichter Arnold Zweig, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Bernhard Kellermann, Friedrich Wolf und Willi Bredel, Erich Weinert, Hans Marchwitza, Bodo Uhse, Stephan Hermlin, Kurt Bartel (Kuba), Alfred Kantorowicz, die während der Emigration oder nach 1945 geschrieben und in den letzten Jahren veröffentlicht wurden. Diese Werke haben an der Bewußtseinsänderung des deutschen Volkes einen bedeutenden Anteil. [...] Mit dem Mansfelder Oratorium haben seine Schöpfer ein Werk geschaffen, das einen besonderen Platz im kulturellen Leben in der Deutschen Demokratischen Republik einnimmt.

      Auch das hatten die Schüler also lernen müssen. Daher rühren die von Johnson genannten Namen. Weiterhin hatten Johnson wie seine Mitabiturienten gelernt, daß man sich für den Kampf gegen den »Formalismus« am besten jenes kanonisierten Engels-Ausspruches bediente, der lautete: »Realismus bedeutet, meines Erachtens, außer der Treue des Details die getreue Wiedergabe typischer Charaktere unter typischen Umständen.« (Engels an Margaret Harkness, April 1888) Bei Engels schien andererseits aber nicht angelegt, was die faschistische und die »marxistische« Kunstanschauung in der Argumentation zusammenführte: der Vorwurf nämlich, daß der »kosmopolitische Formalismus« »zersetzend« wirke. Der Ausdruck »zersetzen« findet sich in einem ZK-Beschluß (»Der Formalismus bedeutet Zersetzung und Zerstörung der Kunst selbst«) ebenso wie in Johnsons Aufsatz. Letzterer schreibt vom »Kampf zwischen der zersetzenden, antinationalen Kunst des Imperialismus und der [...] Kunst des Fortschritts«. Mit der durchaus systematischen Zusammenkopplung von Kosmopolitismus und Formalismus aber befand man sich nicht weit vom Vorwurf entfernt, daß es eine jüdische Internationale sei, die alle nationale, völkische bzw. volksverbundene Kunst zersetze. Im Rückblick der Begleitumstände hat Johnson, mit Erbitterung wiederum, an die antisemitischen Untertöne dieser Kampagne erinnert. Im Abituraufsatz lesen wir:

      Wenn wir uns diese unsere Ziele vor Augen führen und sie gründlich durchdenken, dann erst erkennen wir die ungeheure Bedeutung des Kampfes gegen Formalismus und Kosmopolitismus, diese beiden reaktionärsten und volksfeindlichsten Strömungen im Kulturleben des Westens. Diese Kunst ist ein Instrument der imperialistischen und kriegshetzerischen Bestrebungen der Feinde der Menschheit. Der Formalismus verzerrt durch Überbetonung formaler Dinge die seit jeher gültigen Gesetze der Ästhetik. Er verwirrt die Menschen, vernichtet ihr gesundes Empfinden und hat das Ziel, sie unter den Einfluß des amerikanischen Imperialismus zu bringen. Der Kosmopolitismus, das »Weltbürgertum« soll den Begriff der Nation vernichten und damit die nationale Eigenart der Völker unterdrücken. Die USA-Imperialisten hoffen sich eines nicht in Nationen gegliederten Europa leichter bemächtigen zu können. [...] Der selbstverständliche Ton des Satzes »Die Kunst gehört dem Volke« ist durchaus begründet. Hier wird etwas Richtiges und von jeher Natürliches ausgesprochen und in das wahre und richtige Licht gestellt. Gerade aus der Tiefe des Volkes entstanden in der deutschen Vergangenheit die schönsten und reinsten Werke deutschen Wesens und Volkstums.

      Der vormalige »Jungmann« und seine Lehrer hatten in ihrer »Neuen Schule« nicht viel Neues lernen müssen. Im Zeichen des Antimodernismus und des National-»Volksverbundenen« erscheinen die beiden Totalitarismen einander zum Verwechseln ähnlich – gerade in ihrem Nachdenken über die Kunst. Und dennoch versprach der sich etablierende Sozialismus, die Verbrechen der Nazis wiedergutzumachen. Beides in seinem widersprüchlichen Miteinander erleichterte für so manchen Überbauarbeiter den Übergang.

      Der Abiturient Johnson fuhr sehr nah am Originalton eines Kulturschutzbundobmannes fort:

      Ob wir hier noch die widerlichen Auswüchse des Jazz, die entwürdigenden Auswirkungen der Schmutzliteratur oder anderes erwähnen –: Es ist eine der vordringlichsten Pflichten aller deutschen Kulturschaffenden und kulturbewußten Deutschen, für die Reinhaltung und Natürlichkeit unserer deutschen Kunst zu kämpfen, damit sie »von den Massen verstanden und geliebt« wird.

      Was, im Fall des Jazz, beim Abiturienten Johnson tatsächlich noch eigener Überzeugung, was bereits bloßer Taktik entsprang, ist heute nur sehr schwer unterscheidbar. Um so weniger, als der Schüler gleich nach bestandenem Abitur in seinen Gedichten den Jazz frenetisch feiern wird. Gegen den Jazz stand, jedenfalls im Frühjahr 1952, das Gemeinschaftslied. Für dieses schwärmte Uwe Johnson, der Abiturient:

      Es gibt so eine Art geniale Überheblichkeit, die ein schönes Volkslied mit der verächtlichen Bezeichnung »momentane geniale Improvisation« abtut. Hieraus entwickelt sich dann die (absolut) exklusive Schicht der Kulturschaffenden, die individualistischen und, da die Verbindung zum Volk fehlt, idealistischen Bestrebungen und Zügen freien Lauf läßt. Jede Tendenz dieser Art müssen wir entschieden bekämpfen. Gerade im Volk liegen die kräftigsten und schöpferischsten Impulse, die es für die Entwicklung unserer Kunst auszunutzen gilt. Darum müssen wir die Bewegung der Laienkunst stärken, damit der Zusammenhang, die Verbindung der Kunst mit dem Leben des Volkes gewahrt und gefestigt wird.

      Dank eines glücklichen Fundes läßt sich die unmittelbare Quelle der Themenstellung für den Abituraufsatz benennen. Es war kein Geringerer als der »kalte Walter«, so Wolf Biermann, selbst. Der themenstellende Lehrer hatte die Ausführungen des Staatschefs Walter Ulbricht dem Neuen Deutschland vom 31. Oktober und 1. November 1951 direkt entnommen. Aus Ulbricht sprach der Kleinbürger, der sich als Revolutionär verstand. Der wandte sich wie selbstverständlich gegen jede – so wörtlich: »entartete« Kunst. Walter Ulbricht auch war es gewesen, der auf dem Formalismus-Plenum des Zentralkomitees, als Otto Nagel attackierte Malerkollegen verteidigte, arglos und mit augenzwinkernder List gefragt hatte: »Gab es nicht auch vor Hitler Entartete?«

      Ulbricht forderte, sich auf Lenin berufend, ein volksverbunden-realistisches »Gestalten«. Das sollte das Leben schöner machen und »die Helden unseres Volkes so realistisch (darstellen), daß sie jeder Jugendliche als sein Vorbild betrachtet«. Der Jugendliche Uwe Johnson singularisierte in seinem Abituraufsatz dann die Helden des Volkes zum »Mechaniker Schulz von der Warnow-Werft«. Man sieht: Die Lehrerschaft war bei den Abiturvorbereitungen kein Risiko eingegangen. Die Schüler hatten die Ansichten des Staatschefs geradezu auswendig lernen müssen. Hatte der spitzbärtige Staatschef gemeint:

      Wir brauchen weder die Bilder von Mondlandschaften noch von faulen Fischen und ähnliches,

      so traf der Abiturient den gewünschten Tonfall genau, wenn er seinerseits formulierte:

      Es entstehen dort Bilder von Mondlandschaften und faulen Fischen, jedoch keine, die den Aufbau und den Friedenskampf der DDR zum Gegenstand haben.

      Hier scheint sich ein Paradefall des kleinbürgerlichen Kommunismus in Sachen der modernen Kunst zu artikulieren. Noch Ernst oder schon Ironie? Wie hat er ausgeführt, wissend, was seine Lehrer lesen wollten?

      Die Kunst hat doch als höchsten Zweck die Aufgabe, den Menschen Freude und neue Kraft zu schenken. Hierzu steht in aufreizendem Gegensatz die Tatsache, daß wir oft in Gemäldeausstellungen vor einem Bild stehen und es für eine Darstellung besonders merkwürdig geformter Kartoffeln halten; nachher hieß das Bild dann »Interpretation des Nietzscheschen Übermenschen«. Interessant ist in diesem Zusammenhang der widerliche Zynismus Westberliner Zeitungen, die den Vorschlag machen, die von Dissonanzen und Atonalität strotzenden Werke Strawinskys dem Publikum doch zehnmal vorzuführen, dann werde es sich schon daran gewöhnen.

      Anzeichen ironisierenden Umschreibens offizieller Forderungen, wie sie sich wenig später in den Rostocker Klausuren finden werden, fehlen hier noch zur Gänze. Des weiteren wird Uwe Johnsons damals noch gewünschte Verbundenheit

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