Uwe Johnson. Bernd Neumann

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Uwe Johnson - Bernd Neumann eva digital

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Selbstbefreiung aus alten Verstrickungen gelten. Am wenigsten ging es dem Güstrower »Jugendfreund« dabei um die Kirche. Allein ihre in der Verfassung verbrieften Rechte sollten unversehrt bleiben. Nach seiner Rede galt für Uwe Johnson, was er in bezug auf die Ingrid-Figur schreiben wird: »Sie mag verhaftet sein. Vielleicht ist sie auch nicht verhaftet. Aber der Fragebogen ist ihr verdorben, jetzt hat sie einen Knoten in ihrem Lebenslauf, oh verflucht.« (ebd., S. 213) Daß auch der Kommilitone aus Güstrow einen Knoten in seinem Lebenslauf hatte, wußten im Frühjahr 1953 an Rostocks Universität alle ganz schnell. Gerüchte entstanden. Er sei bereits verhaftet, denn er kam nicht mehr regelmäßig zu den Lehrveranstaltungen. Andere wollten wissen, er sei von der Stasi »umgedreht« worden. Wie anders könne er sonst weiterhin frei umhergehen? Im Mai, so hat Johnson es selbst beschrieben, wurde er dann in die Partei-Zentrale bestellt, wo man ihn zweimal verhörte. Er hatte die Mitgliedsbücher für die FDJ und für die Deutsch-Sowjetische Freundschaftsgesellschaft mitzubringen – »auffälliger Weise keine Zahnbürste. Offenbar sollte es demokratisch zugehen«.

      Die Anklagen lauteten auf: Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen. Diversion. Bündnis mit dem Klassenfeind. Agitation gegen den Fünfjahresplan. Missbrauch der Geschichtswissenschaften. Bruch der Befehlsdisziplin. Ausführung eines Agentenauftrags. Verächtlichmachung der demokratischen Presse. Provokatorisches Austreten. (Begleitumstände, S. 66)

      »Ausgetreten« aber war Johnson nicht. Lediglich provokatorisch aufgetreten mit der Behauptung, er wolle austreten – ein nicht unerheblicher Unterschied. Am Ende wurde der Güstrower »Jugendfreund« exmatrikuliert. Erhielt Studienverbot für das Gebiet der »Demokratischen Republik«.

      Die politische Entwicklung innerhalb der DDR erwies sich jedoch als vorteilhaft für Uwe Johnson: Die Streichung wurde ihrerseits gestrichen. Die SED sah ein, daß sie sich in diesem Kirchenkampf übernommen hatte. Auf den 10. Juni 1953 fiel die erneute Anerkennung der »Jungen Gemeinde« durch das Innenministerium, vollzogen vom Ministerpräsidenten Grotewohl. Stalin war tot. Berija würde ihm bald folgen. Und niemand wußte so recht, wie es weitergehen würde. Die Regierung versuchte eine Frontbegradigung. Schloß ihren Frieden mit der Kirche und ließ auf diese Weise auch wieder den exmatrikulierten Johnson zum Studium zu.

      Die Regierung bedauert ihre Massnahmen. [...] Alle Schüler, die wegen ihrer Zugehörigkeit zur Jungen Gemeinde von den Oberschulen gewiesen wurden, müssen wieder aufgenommen werden. Wegen Eintretens für solche Schüler entlassene Lehrer dürfen ihre Tätigkeit wieder aufnehmen. (Begleitumstände, S. 67)

      Johnson war, als man ihm die Streichung der Streichung eröffnete, bereits entschlossen, an die Universität Leipzig zu gehen. Auch wird er aufschreiben, worüber er in Rostock nicht mehr reden konnte. So konsequent wie subtil unterstand der angehende Schriftsteller dabei dem Denken jenes Literaturtheoretikers, der Literatur stets als gesellschaftliche Veranstaltung begriffen hatte: Walter Benjamin.

      So wird er zum Lehrling in diesem Beruf, den er sich selber beizubringen hat. Flugs erfindet er für sich noch einmal Walter Benjamins IV. These über die Technik des Schriftstellers:

       Meide beliebiges Handwerkszeug. Pedantisches Beharren bei gewissen Papieren, Federn, Tinten ist von Nutzen. Nicht Luxus, aber Fülle dieser Utensilien ist unerlässlich. (Begleitumstände, S. 69)

      Johnson begann die Babendererde in der postum veröffentlichten Form zu verfassen.

      HILDEGARD EMMEL – ERSTE LESERIN DER »BABENDERERDE«

      Hildegard Emmel, Anfang der vierziger Jahre universitäre Lehrkraft, spätere Professorin für Deutsche Literatur, war die erste »berufene« Leserin der Ingrid Babendererde. Sie stand damals am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere, die in Rostock begann und die sie über Oslo, Ankara und die USA in die Schweiz führen würde. Das erste persönliche Zusammentreffen datiert auf das Jahr 1953, genauer auf einen Montagabend im September. Im Anschluß an Hildegard Emmels Spezialseminar Goethe als Rezensent findet sich der Student Johnson, es ist kurz nach acht Uhr abends, vor dem »Professoren-Zimmer« des Rostocker Germanistik-Seminars ein. Linkisch, aber auch bestimmt und mit bemüht tadellosen Formen, in merkwürdig immergleichem Rhythmus sprechend, steht ein sehr junger Dichter vor einer wenig älteren Literatur-Lehrerin:

      Es war einmal ein 19jähriger Student. Er hatte eine Novelle geschrieben. Diese Novelle musste mit der Schreibmaschine geschrieben werden und zu diesem Zweck musste sie in eine andere Stadt geschickt werden.

      Es handelte sich um einen schreibmaschinegeschriebenen Text, offenbar in Güstrow abgetippt, der dreißig bis vierzig Seiten umfaßte.

      Der Student wünschte sich, von der Lehrkraft als Autor entdeckt, »erkannt« zu werden. Johnson drang geradezu auf die Beurteilung des Textes durch Hildegard Emmel: Wenige Wochen später erschien er, das Urteil einzufordern. Die erklärte, es sei unmöglich, zu sagen, ob aus dem Autor dieser Novelle einmal ein bedeutender Schriftsteller werden könnte, mochte dies andererseits aber auch nicht ausschließen. Johnson mag dennoch nicht unzufrieden gewesen sein. Zielte sein Interesse doch, wie von Hildegard Emmel selbst angenommen, in gleichem Maße auf die Person der Lehrerin wie auf deren literarische Beurteilung. Zudem muß Uwe Johnson damals ein weiteres literaturwissenschaftliches Arbeiten als mögliche Berufsperspektive erwogen haben. Hier konnte die Dozentin ihm womöglich hilfreich sein.

      Johnson legte die Zwischenprüfung bei Hildegard Emmel ab. Vor die freie Figurenwahl in Goethes Wilhelm Meister gestellt, entschied er sich bei dieser Gelegenheit für die »schöne Seele«, das Fräulein von Klettenberg. Ganze Passagen der Wahlverwandtschaften wußte er auswendig herzusagen. Auf die Vorbereitung zu dieser Prüfung geht denn auch seine habituelle Vertrautheit mit dem Goetheschen Text zurück, dessen Ottilie er mehrfach noch in seinem späteren Werk herbeizitieren wird. Auch mit Eduard Mörikes Texten, dessen Orplid-Lied die Mutmassungen anklingen lassen, wurde der Student womöglich bei Hildegard Emmel bekannt, die sich im Rahmen einer Lehrveranstaltung mit dem schwäbischen Dichter beschäftigt hatte. Nach abgelegtem Examen in Leipzig, 1956 dann, hat Uwe Johnson die Lehrerin eindringlich und durchaus in der Hoffnung auf eine Zusammenarbeit nach den Möglichkeiten einer Assistenz befragt. Doch Hildegard Emmel hatte sich bereits für einen anderen Kandidaten entschieden. Der Leipziger Praktikant und Student Johnson hatte seiner Professorin im Sommer und Herbst 1954 eine Flut persönlicher Briefe geschrieben. Hildegard Emmel sah diese Briefe als Liebesbriefe an und ließ sie unbeantwortet, hat sie später in einem Akt der Diskretion vernichtet. Beachtlich erscheint immerhin, daß seine Beziehung zum »Waldgesicht« den Studenten keineswegs daran hinderte, diese Briefe zu verfassen. Solche gelegentliche bohemienhafte Lockerkeit ist bemerkenswert an einem Mann, der später die Ausschließlichkeit der Zweierbeziehung in geradezu fundamentalistischer Unbedingtheit proklamieren sollte.

      Hildegard Emmel und Uwe Johnson sind einander später nicht mehr begegnet. Zwar nahm Uwe Johnson in den Jahren 1967/68, als beide sich zufällig in den USA aufhielten, den Kontakt wieder auf. Ein Treffen scheiterte jedoch an der allzu zeitraubenden Postzustellung. Hildegard Emmel meint mit Bestimmtheit, daß Johnson in Rostock von der Staatssicherheit überwacht wurde. Beide seien sie bei ihren Spaziergängen in der Nähe der Rostocker Universität von der »Firma« beobachtet worden. Außerdem saßen, wie bereits erwähnt, auch im Germanistik-Seminar zwei, die man der Spitzeltätigkeit verdächtigte. In diesem Sinn erweisen sich »Mesewinkel« und »Fabian«, so nennt sich der Hauptmann des SSD Rohlfs in den Mutmassungen zuweilen, als Rostocker Autochthone.

      DER STUDENT ALS MARXIST.

       ZWISCHENPRÜFUNG IN LEIPZIG

      Auch die zweite Zwischenprüfung vom 21. September 1954, der Student stand unmittelbar vor seinem Wechsel nach Leipzig, wurde mit Bravour bewältigt. Johnson schloß sein zweites Studienjahr mit einem »Sehr Gut« in fast allen Fächern ab. Lediglich was die Hpt.-Probleme der dtsch. Wortbildungs- und Satzlehre

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