Uwe Johnson. Bernd Neumann
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Die Liebesgeschichte war beendet. Nicht aber die Geschichte ihrer Bekanntschaft, ein biographisches Nachspiel, das literarische Erlebnisgrundlage werden sollte: Das »Waldgesicht« reiste gern, und das nicht nur nach Kassel. Sie war, damals bereits, in Schweden gewesen und kannte auch einen in der DDR arbeitenden schwedischen Journalisten. Eines Tages bekam die junge Frau Besuch vom Staatssicherheitsdienst. Ein deutscher und ein russischer Mitarbeiter der »Firma« standen vor ihrer Tür. Die beiden erklärten: Das »Waldgesicht« solle Kommilitonen, daneben auch skandinavische Besucher bespitzeln, bekam dafür Reisemöglichkeiten in Aussicht gestellt. Von niemand anderem als dem »Waldgesicht« ist die Rede, wenn es heißt:
Eine Studentin erzählte von ihrer Arbeit auf der leipziger Messe und deren Folgen. Sie betreute einen skandinavischen Stand. Als die Nordleute abgereist waren, bekam sie Besuch von drei schweren, höflichen Herren, die sprachen Deutsch mit russischem Akzent und boten an: gutes Geld für brauchbare Nachrichten über Skandinavien. [...] was ihr Fall einlud, war die Erwägung, dass eine weniger resolute Person, eine ältere Frau zumal, auf der Stelle davon gelaufen wäre, nach Westberlin, über die Grenze, so rasch wie möglich. (Begleitumstände, S. 120)
Die Erfahrung des »Waldgesichtes« wurde zum Vorbild für das, was in den Mutmassungen dann der Flucht der Frau Abs vorausgehen wird. Später, beide wohnten bereits in Westberlin, sah man sich noch zuweilen. Johnson fragte, entspannt, seine ehemalige Wunschfreundin, ob sie denn glücklich sei. Der Kontakt zwischen dem Dichter, seit 1959 war er berühmt, und seiner ersten unerreichbaren Liebe riß auch später nicht ab. Uwe Johnson fragte den Architekten-Ehemann des »Waldgesichts« schon einmal, ob der nicht eifersüchtig sei – wozu indes dieser keinen Grund sehen konnte, wie auch immer regelmäßig man sich sah. Bei einer Einladung in die Westberliner Stierstraße, das muß dann schon nach 1962 gewesen sein, wurde das Ehepaar sogar Zeuge, wie Johnson einen seiner Geheimdienstanrufe empfing: Statt einer Stimme nur das Röcheln gespielten Erstickens in der Leitung. Bis wenige Jahre vor Johnsons Tod gaben die beiden ein treues Besucherpaar bei Johnsons Lesungen ab. 1978, nach dem Vortrag des Martha-Textes in Hannover, hat der Dichter seiner Jugendliebe eröffnet, daß er diesen Text lediglich geschrieben habe, weil sein Arzt ihm »etwas Leichtes verordnet« habe. 1980 dann, im Herbst, war das »Waldgesicht« erneut unter den Hörern, als Uwe Johnson aus der Skizze eines Verunglückten las. Sie hörte aus dem Text die Geschichte seiner Trennung von Elisabeth samt der Vermutung bezüglich einer geheimdienstlichen Verschwörung heraus. Daraufhin schrieb sie ihm einen Brief des Inhalts, daß ihr ehemaliger Freund auch sie bereits, ebenfalls nach der Trennung, solcher Konspiration verdächtigt habe. Sie könne ihm also nicht glauben. Der Brief kam ungebeten, und keinerlei Antwort erfolgte mehr.
POLITISIERUNG DER »BABENDERERDE«.
UWE JOHNSON IN OPPOSITION ZUR FDJ
In die Rostocker Zeit fiel Uwe Johnsons entschiedenster Akt in Sachen politische Opposition. Er selbst hat seinen Konflikt mit der Rostocker FDJ-Leitung als die Keimzelle der Babendererde bezeichnet. In den Begleitumständen heißt es, und die Rede geht vom Frühjahr, vom April oder Mai 1953:
So bekam jemand seine ureigene Sache, seinen persönlichen Handel mit der Republik, seinen Streit mit der Welt darüber, wann etwas eine Wahrheit ist und bis wann eine Wahrheit eine Bestrafung verdient. Da ihm verwehrt ist, dies öffentlich auszutragen, wird er es schriftlich tun. (Begleitumstände, S. 69)
Dies meint nichts anderes, als daß die uns heute bekannte, also die »politische« Fassung der Babendererde, aus diesem Konflikt erwachsen sei. Mancher hat daraus gefolgert, Johnson hätte erst jetzt zu schreiben begonnen, die DDR hätte ihn auf diese Weise »zum Schriftsteller gemacht«. Das ist so nicht richtig. Ein erstes Babendererde-Manuskript existierte, wie erwähnt, seit 1951, Johnson brachte es aus Güstrow nach Rostock mit.
Allerdings, und darauf zielen die zitierten Passagen aus den Begleitumständen:Erst der Protestakt des Studenten politisierte den Stoff. Nun erst entstand wohl auch der unbedingte Wille, dieses Buch gedruckt zu sehen. Jetzt sollte es ein Buch werden in der »Demokratischen Republik«, gedacht als Unterstützung einer Reform, von deren Notwendigkeit der Schüler zunehmend überzeugt gewesen sein muß. So intensiv hat Uwe Johnson noch im Rückblick seinen Protestakt erlebt, daß dieser ihm die eher »privaten« Anfänge seines Erstlings gänzlich überlagerte. Erst jetzt wurde die Babendererde zum literarisch eingelegten Einspruch des Güstrowers gegen die stalinistischen Verkrüppelungen der Demokratie, wie sie in der DDR der fünfziger Jahre auf der Tagesordnung standen.
In Ingrid Babendererde hat Johnson die Auseinandersetzung zwischen der »Freien Deutschen Jugend«, dem Staatsjugendverband der DDR, und der christlich ausgerichteten »Jungen Gemeinde« zur Basis seines Erzählens gemacht, angesiedelt im Jahr 1953. Der Erstling verfährt in dieser Hinsicht historisch »korrekt«. Im ersten Halbjahr 1953 nämlich erreichte der Kirchenkampf in der DDR seinen Höhepunkt. Und zwar ziemlich genau in jenen Monaten, in denen auch der Roman sich abspielt. Im April und Mai kam es zu einer größeren Zahl von Verhaftungen. Einige christliche Lehrer und Schüler wurden von den Schulen verwiesen, einzelne Angehörige der Studentengemeinden exmatrikuliert, mehrere christliche Heime unter Vorwänden geschlossen. In den Begleitumständen hat Johnson jenes Zeitungsblatt der »Jungen Welt« zitiert, das die »Junge Gemeinde« als »Tarnorganisation für Kriegshetze, Sabotage und Spionage im USA-Auftrag« entlarvt zu haben meinte. Der Zeitungsartikel setzte damals das öffentliche, staatlicherseits gewünschte Signal für eine spontan auch einsetzende Hatz auf die »Kugelkreuzler« (so benannt nach ihrem Symbol: der Weltkugel mit dem Kreuz darauf).
Im Rostock jener Jahre, so erinnert sich Pastor Traugott Holz, hatte immer noch die LDPD (Liberaldemokratische Partei Deutschlands) das Sagen. SED und FDJ richteten ihren Kampf weniger gegen die Blockparteien als gegen die Kirche. Vor allem galt ihr Kampf der »Jungen Gemeinde« als einer Konkurrenzorganisation. Am Anfang der Eigenstaatlichkeit der DDR bestanden noch problemlose Doppelmitgliedschaften. Nachdem freilich zu Beginn der fünfziger Jahre die FDJ-Uniform eingeführt worden war, griff eine immer schärfer artikulierte Militarisierung Platz. Sie wurde noch einmal durch den Auftrag der II. Parteikonferenz der SED von 1952 verstärkt, wonach man in der FDJ die »Kampfreserve« der Kader- und Staatspartei zu erblicken habe. Diese Umdefinition fiel also ins Abiturjahr des FDJ-Mitglieds Uwe Johnson. Insbesondere die Rostocker FDJ hatte verschärft seit den Weltjugendspielen in Berlin 1951 (zu denen auch Johnson in Berlin gewesen war, wobei ihn der Redner Stephan Hermlin in seinen Bann schlug) vom Beginn der fünfziger Jahre an Schwierigkeiten mit ihrer Rekrutierung. Seit dieser Zeit auch nahm die Rostocker FDJ die »Kugelkreuzler« offen ins Visier.
Die einzige Tatsache, die zählte und auf die es ankam, war die Entschiedenheit der Regierung, mit der »Jungen Gemeinde« eine vermeintliche Konkurrenz für die eigene Jugendorganisation abzuschaffen. Hier sprach noch einmal der Grosse Genosse Stalin. Seit Januar 1953 waren Pfarrer verhaftet und kirchliche Wohlfahrtseinrichtungen beschlagnahmt worden; nun hatte die Kampagne folgerichtig die Hochschulen erreicht. Den Arbeitern hatte man die Fahrpreisermässigungen per Dekret weggenommen; hier scheute die Regierung vor dem Weg, den sie sonst den administrativen zu nennen beliebte. Bei den Studenten sollte es demokratisch zugehen. (Begleitumstände, S. 63 f.)
In dieser Situation, im Mai des Jahres 1953, setzte die FDJ-Gruppe der Fachrichtung Germanistik an Rostocks Universität zum entscheidenden Schlag gegen die christliche Konkurrenz an. Anfang März 1953 war Stalin gestorben. Warnow- und Neptun-Werft erwiesen sich als zunehmend unruhig. Der Arbeiter- und Bauernaufstand des Juni 1953 bereitete sich vor. Am 28. April erklärte das Innenministerium der DDR die »Junge Gemeinde« zur »illegalen Organisation«. Als Folge dieser Kampagne wurden Hunderte von