Uwe Johnson. Bernd Neumann

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Uwe Johnson - Bernd Neumann eva digital

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Offiziell ist Uwe Johnson vom 17. Januar 1953 bis zum 12. September 1954 bei Hensans gemeldet gewesen; sehr gut möglich ist aber auch, daß er das Zimmer bereits 1952 bewohnte, zumindest sporadisch. In seinen Briefen jedenfalls wird er von der gemeinsamen Zeit mit Hensans »seit 1952« sprechen; in der Studienakte folgt die Rostocker Adresse direkt auf die Güstrower.

      Der frisch aus Güstrow angelangte Student zog also in das traditionelle »Studentenzimmer« eines Bürgerhauses ein, gelegen in einem der besseren Viertel der ehemaligen Hansestadt. Man betrat das Haus durch einen seitlichen Eingang. Der führte, ohne die restlichen Wohnräume zu berühren, über eine kurze Treppe zur Linken hinunter in das »Studentenzimmer«. In diesem Zimmer las, studierte und schrieb Uwe Johnson in den Jahren 1953 und 1954, pfeiferauchend und teetrinkend. Außer ihm war das Haus von drei Frauen bewohnt: Großmutter, Mutter und Tochter. In der Mutter haben wir gewiß die Tonangebende zu vermuten: eben in der Dame Alice Hensan, geboren im Jahre 1900, gestorben 1985. Alice Hensan hatte Sohn und Ehemann im Krieg verloren. Sie war gebildet und literaturinteressiert, die Tochter einer Engländerin, schrieb sie einen schönen, erfrischenden deutschen Briefstil mit häufigen englischen Einsprengseln. Durchaus selbstironisch ließ sie sich die »Eule« nennen. Unter diesem Zeichen fanden die beiden zu einer Beziehung, aus der ein für Johnsons Biographie wichtiger, umfangreicher Briefwechsel resultiert.

      Alice Hensan, die wußte, daß ihr Untermieter schrieb, und die ihn schon einmal ihren »guten Jungen« nennen konnte, brachte es zu einer erstaunlichen Autorität über den jungen Mann. Nach der Erinnerung von Manfred Bierwisch – und alle Briefzeugnisse unterstützen diese Aussage – bedeutete Alice Hensan dem jungen Schriftsteller schon bald entschieden mehr als die eigene Mutter. Sie zeichnete sich aus durch beherrschte Herzlichkeit, darin ein »norddeutscher Mensch«. Zudem einer mit einer großen Bibliothek, die von Goethe und Schiller über Fontane bis zur englischen Ausgabe von William Faulkners Light in August reichte. Die »englische Dimension«, in ihrer Bedeutsamkeit für sein literarisches Werk gar nicht zu überschätzen – Johnson begegnete ihr zuallererst in dem Haus an der Friedrich-Engels-Straße.

      Alice Hensans Vater war Landgerichtsdirektor in Rostock gewesen. Er hatte sich mit einer Engländerin verheiratet. Ada Hensan kam aus Hull und erreichte ein biblisches Alter (sie lebte von 1867 bis 1960). Wiewohl ihr Deutsch perfekt war, hatte sie ihre Muttersprache beibehalten. Liebte es nach wie vor, sich auf Englisch zu unterhalten. Diese »Granny« stellte eine äußerst vitale alte Dame mit recht bestimmtem Auftreten dar, die Besucher zur – englischen – Konversation geradezu abzuordnen vermochte. Da kam ihr der neue Untermieter gerade recht. So wie umgekehrt ihr authentisches Englisch dem Studenten zupaß gekommen sein muß, der von Anfang an in Rostock englische Literatur- und Konversationskurse belegte. Bald schon erwies sich der neue Untermieter Johnson als »Grannys« Favorit. Ada Hensan liebte übrigens insbesondere John Galsworthys Forsyte-Saga.

      Auch mit Alices Tochter Dora-Elisabeth »Dorothy« Hensan – sie lebt heute noch in dem besagten Haus – ist Johnson lebenslang in Verbindung geblieben. Auf sie hat er sich häufig im Zusammenhang mit Anträgen an die Behörden der DDR berufen. Johnson duzte sich mit der Tochter. Mit der »Ziehmutter« hat er sich wechselseitig gesiezt, wenngleich die »Eule« den Vornamen »Uwe« benutzte. Daß sie ihn im Gegensatz zu seiner späteren Ehefrau Elisabeth siezte, bezeugte Respekt vor seiner Eigenart und Begabung. Es hinderte sie aber ganz und gar nicht daran, ihm in bestimmten Situationen höchst energisch »die Leviten zu lesen«. Daß er ihr ein »Sohn-Ersatz« gewesen sei, hat die Tochter Dorothy Hensan dann im März 1982 an Uwe Johnson schreiben können. In seiner gesamten Zeit in der DDR, auch noch nach der Beendigung des Studiums, war Uwe Johnson ein gern gesehener Gast in diesem Rostocker Haus. Anläßlich seines Weggangs aus der DDR hat er an die Wunschmutter die folgenden Zeilen geschrieben – zusammen mit der Mitteilung, daß auf der Buchmesse 1959 ein Buch von ihm erscheinen werde:

      Sie können gewiss sein, ich hätte es lieber in der Deutschen Demokratischen Republik verlegt und verkauft gesehen. Und glauben Sie bitte nicht, dass ich mich mit diesem Buch gegen die Deutsche Demokratische Republik entschieden hätte. Ich bin sehr ungern gegangen.

      Solche Offenheit hat der mecklenburgisch Verschlossene zeitlebens eigentlich nur gegenüber der »Eule« geübt. Auch sie mußte er verlassen, als er sein Land hinter sich ließ. Wie hatte er doch geschrieben, sie zu bitten, seine nachgelassenen Möbel aus Güstrow abzuholen: »die Lampe, den Sessel, das Bettzeug, und den Krug unter dem kleinen Tisch, denn er war mir teuer, ich entbehre [...]«?

      Selbst als er die DDR bereits hinter sich gelassen hatte, kümmerte sich Uwe Johnson um die alt gewordene Dame Hensan, aufopferungsvoll in seiner gewissenhaften Art und mit beeindruckender Zartheit. Nach 1959 ließ er den Hensans die noch ausstehenden Honorare aus seiner Israel Potter-Übersetzung überweisen. Betagt genug, den »Arbeiter- und Bauernstaat« vorübergehend verlassen zu dürfen, besuchte die »Eule« später die Familie Johnson in Berlin. Johnson sandte der Rostocker Familie neben Büchern zahlreiche Kunstkalender, vorzugsweise solche mit mecklenburgischen Motiven, und viele, viele Flaschen Underberg. Nach dem Wegzug der Johnsons aus Berlin um die Mitte der siebziger Jahre sah man sich noch seltener als zuvor, und wenn, dann lediglich in Rostock. So blieb am Ende nur die Post, und es entstand ein ausgedehnter Briefwechsel. Johnson wünschte sich stets Informationen über den Tageslauf der Familie. Verstärkt galt dies, nachdem die »Eule« infolge einer Embolie im rechten Arm am 16. Februar 1982 einen Schlaganfall erlitten hatte.

      Der Schriftsteller gab sich über die Jahre hinweg außerordentlich Mühe mit dem Aussuchen der diversen Geschenke für die Hensans, berücksichtigte dabei die Aspekte der Brauchbarkeit ebenso wie die der Vergnüglichkeit. Noch am 16. Juli 1982 bereicherte der Güstrower den Haushalt der Hensans mit einer Hausleiter. Deren Erwerb im feuchtheißen Frankfurt erschien ihm eigener Schilderung wert. Nicht nur, daß er anläßlich dieses schweißtreibenden Aktes die habituellen Schwierigkeiten des Vielreisenden, seine obligaten schwarzen Hemden in den fast immer zu kleinen Waschbecken der Pensionen und Hotels zu waschen, in exzellenter Buchprosa voller Schalk und Ironie geschildert hat. Das gute Stück kostete seinerzeit DM 51,50. Wurde erworben im hochsommerlichen Frankfurt im Fachgeschäft für Einbauküchen und Haushaltsgeräte Anton Hartmann und Sohn in der Neuen Kräme Nr. 30. Im Keller dieses Geschäftes, an einem »feuchthitzigen Tag«, brachte ein Autor zwanzig sehr erhitzte Minuten mit der sorgfältigen Auswahl einer »handlichen Leiter« zu. »Ich hatte danach Veranlassung, mich umzuziehen, so auffällig weissliche Salzspuren hatte der Schweiss in dem von mir beliebten schwarzen Hemd deponiert«, so Johnson im Brief vom 16. Juli 1982 – ein Schreiben, in dem er sich denn doch ein »Verdienstchen« für seine tropische Beschaffungsaktion in dem »Frankfurter Handelshaus« anrechnen wollte. Anderes mußte seinen Weg in die »Demokratische Republik« über den Geschenkdienst »Jauerfurt AG« nehmen. Nicht alles daran war der DDR genehm. So mußte der Schriftsteller, noch kurz vor seinem Tod, am 26. Januar 1984, Dorothy Hensan mitteilen, daß sein Versuch, ihnen die nun kompletten Jahrestage zugänglich zu machen, an der »Ziffer 111 der Liste der verbotenen Gegenstände« gescheitert sei.

      Johnsons Beziehung zu Alice Hensan war am Ende so von Fürsorge bestimmt, daß er vom Scheitern seiner Ehe der »Eule« niemals ausdrücklich berichtet. Nur ganz indirekt, in einem langen Brief vom 5. Dezember 1979, der an die Tochter ging und im Postskriptum Zweifel anmeldet, ob der Brief auch der »Eule« zumutbar sei, deutete Johnson die private Katastrophe an, indem er die Geschichte des Gastes George im »Seaview«, einem Pub und Hotel in Sheerness in der Nähe von Johnsons Haus, erzählte, wo der Wahlengländer selbst gern sein abendliches Bier trank. George bekommt dort ebenfalls seinen abendlichen »Gerstenwein«. Muß bei dieser Gelegenheit allerdings zusehen, wie seine Mildred, sie hat ihn verlassen, mit ihrem neuen Freund tanzt, sich in den Arm eines – selbst George muß das zugestehen – recht ansehnlichen und fürsorglichen Mannes schmiegt. George zählte 53 Jahre. Er sagte zu »Charles«, so hieß Johnson bei den Kneipengängern in Sheerness, nun sei er diesem um eine Ära voraus. Man müsse den Tatsachen ins Auge sehen. Mithin auch der, daß man nach ganzen 26 Jahren die Frau verlieren könne. Dennoch wolle er nicht von der Themse-Insel herunter, obwohl ihm seine Tochter einen Job in Southampton besorgt

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