e-tot. Uwe Post
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Wozu auch die unangenehmen Dinge des Lebens im digitalen Tod simulieren?
Nach dem Staffelfinale von »Doktor Sonderbär übt Vergeltung« sitzt Paul etwas ratlos da. Unentschlossen navigiert er durch die Menüs seines Videosystems. Er verharrt kurz bei der Aufzeichnung seiner Beerdigung, aber die sieht er sich lieber ein andermal an. Ah, in ein paar Minuten beginnt die Übertragung eines Fußballspiels. Wuppertal gegen Rot-Weiss Essen. Eine Art Derby, Randale garantiert, auch wenn es um nichts geht. Ist Amateurliga. Für höhere Klassen ist das Abo zu teuer. Da muss Paul sich mit Aufzeichnungen begnügen.
Pauls Blick fällt auf die Küchenzeile. Zeit für einen Imbiss!
Er erhebt sich, freut sich, dass im E-Tod weder Gliedmaßen einschlafen noch Muskeln durch langes Herumfläzen ermüden, und läuft auf Socken zum Kühlschrank. Paul schnappt sich eine Flasche Erdbeerjoghurt und nippt genüsslich. Er wirft einen Blick auf das Label. Detailliert bis hin zu den Nährwertangaben und der Unbedenklichkeitserklärung für digitale Geschmacksstoffe. Künstliches Aroma, natürlich – echte Erdbeeren kann man hier kaum erwarten. »Du schmeckst gar nicht übel«, murmelt Paul.
Er nimmt noch einen Schluck, dann stellt er den Joghurt wieder in den Kühlschrank. Bis zum nächsten Mal wird sich die Flasche aufgefüllt haben. Paul grinst. Probleme mit Plastikmüll gibt es hier unten nicht.
»Unten«? Hat er das wirklich gerade gedacht?
Paul tritt ans Panoramafenster. Gerade geht die Sonne auf. Das tut sie immer auf diesem Server, die ewige Morgenstimmung kennt Paul aus der Werbung. Sanftes, goldenes Licht flutet die Straßen der Stadt. Sieht ein bisschen aus wie SimCity, aber wirkt echt total echt.
Pauls Wohnung liegt in einem Haus an einem Hügel, wie alle anderen auch. Die Aussicht ist phänomenal. Er stellt sich vor, dass in den anderen Häusern auch gerade Menschen an ihren Fenstern stehen und die Aussicht genießen. Sicher wird Paul hier neue Freunde finden. Vielleicht sogar …
Es klingelt.
Irritiert dreht Paul sich um. Er erwartet keinen Besuch. Er kennt niemanden hier … oder doch?
»Herein«, sagt Paul. Es wird schon kein Räuber oder Staubsaugervertreter sein.
Die Wohnungstür klappt auf, und eine Frau tritt ein. Paul hat sie noch nie zuvor gesehen. Schminke, Kleidung und Oberweite lassen allerdings keine Zweifel an den Absichten der Besucherin aufkommen.
»Hallo, ich bin Emma.« Eine tiefe Stimme, ein Hauch von Duft. Dunkle, gelockte Haare, silberne Armreife, exotisch, eindeutig.
»Ich …« Paul lächelt verlegen. »Ich habe eine Freundin.«
Emma nähert sich, hinter ihr schließt sich die Wohnungstür automatisch. »Glaubst du, sie wird uns hier überraschen?«
»Wohl kaum«, sagt Paul. »Sie lebt noch.«
»Dann musst du ja ganz einsam sein«, flüstert Emma.
Paul hebt abwehrend die Hände. Das geht ihm dann doch zu schnell. »Ehrlich«, sagt er, »da muss ein Missverständnis vorliegen.«
»Wir können uns auch einfach nur unterhalten«, sagt Emma mit normaler Stimme. »Ich bin ein Multifunktions-Bot.«
»Oh«, staunt Paul. »Du bist … gar nicht echt?«
»So echt wie das Joghurt auf deinem T-Shirt, Süßer.«
Erleichtert zeigt Paul auf das Sofa. Mit Joghurt sprechen, das traut er sich gerade noch zu. »Sollen wir uns setzen?«
»Natürlich«, sagt Emma. »Soll ich dir die Füße massieren? Das entspannt!«
»Nein!«, ruft Paul. »Das kitzelt!«
Emma lächelt den Einwand fort. »Du bist süß.« Sie zeigt zum Tisch. »Das Handbuch hast du vollständig gelesen?«
»Natürlich«, lügt Paul.
»Dann weißt du, dass das Anfänger-Tutorial nur an den ersten drei Tagen zur Verfügung steht.«
»Welches Anfänger-Tutorial?«
Emma lacht kurz und hell. »Du bist wirklich süß. Ich bin das Anfänger-Tutorial.«
»Ach so«, brummt Paul. »Und ich dachte schon, wir könnten vielleicht Freunde werden.«
»Sweetheart«, sagt Emma, »such dir dafür lieber echte Menschen. Bots sind als Freunde in etwa so hilfreich wie Erdbeerjoghurt.«
Paul schaut sich betreten das Teppichmuster an. Es erinnert ihn an etwas, aber er kommt einfach nicht drauf.
Dann spürt er Emmas Hand auf seinem Knie. Er sieht sie an, findet Mitgefühl in ihrem Lächeln, ganz ohne Spott oder Überheblichkeit. »Es gibt Stammtische, Sportvereine und Selbsthilfegruppen«, sagt sie ruhig. »Such dir was aus und geh durch diese Tür hinaus in die Welt. Keine Sorge, sie ist tausendmal lebendiger als ein Friedhof. Aber den ersten Schritt musst du selbst tun, niemand nimmt ihn dir ab.«
»Verstehe ich«, murmelt Paul. »Früher habe ich gerne gekickt. Hat Spaß gemacht mit den Jungs.«
Emma nickt. »Das ist doch ein Anfang.« Dann hält sie ihm ein Tablet hin, dessen Bildschirm ein fröhliches Emoji zeigt. »Bitte bewerte dieses Tutorial!«
»Aber es gibt nur eine Option!«
»Oh, das muss ein Fehler sein«, sagt Emma und lächelt unverbindlich. »Aber wolltest du wirklich …?«
»Nein, nein!«, versichert Paul und tippt auf das Emoji.
»Danke«, sagt Emma. »Und wenn du mich in den nächsten Tagen nochmal brauchst …«
»Dann rufe ich an?«
»Nein«, versetzt Emma, »du musst dich nur einsam fühlen. Tschüssi!«
Damit lässt sie ihn stehen und geht.
Paul starrt die geschlossene Tür noch lange an. Er hat den dringenden Verdacht, dass ihm der Server seine Traumfrau geschickt hat. Maßgeschneidert gewissermaßen, schließlich kennt das System alle seine Vorlieben.
Und was hat er mit ihr gemacht? Nur geredet.
Das hier ist der E-Tod, wieso sollte jemand mit der perfekten Frau nur plaudern, statt ins Bett zu gehen?
Paul hat das unbestimmte Gefühl, dass etwas mit ihm nicht stimmt. Aber diesen Gedanken wischt er fort. Er sucht im Handbuch nach Links zu Freizeit-Fußballmannschaften und findet einen gewissen FC Südfriedhof.
Im Handumdrehen hat er ein Probetraining vereinbart. Paul geht hinunter auf die Straße und wartet auf den Bus. Eigentlich könnten E-Tote ja ohne Zeitverlust reisen, so ähnlich wie Avatare in einem Rollenspiel. Aber auf e-tot.de ist das ein Premium-Feature: Der Bus ist kostenlos, die U-Bahn immerhin für zwei Fahrten pro Woche, aber für jeden Tür-zu-Tür-Eiltransport verlangen sie zwei Coins neunzig.
Zum Glück hat Paul jede Menge Zeit.
Der Bus