Systemtheorie. Christian Schuldt

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Systemtheorie - Christian Schuldt

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Systemtheorie ist ebenso unwahrscheinlich: Gesellschaft entsteht durch verschiedene Formen von Kommunikation, die sich voneinander abgrenzen, eigene Hoheitsgebiete erobern – und genau damit die Einheit der Gesellschaft bilden.

      So ist die moderne Gesellschaft durch funktionale Differenzierung gekennzeichnet: Innerhalb des Gesamtsystems Gesellschaft operieren eigenständige Funktionssysteme wie Wirtschaft, Recht oder Kunst, die mit spezifischen Positiv/Negativ-Codes die Kommunikation filtern. Diese Funktionssysteme entscheiden eigenmächtig, welche Kommunikationen aneinander anschließen, und verwandeln damit unwahrscheinliche Kommunikation in wahrscheinliche Kommunikation. So simpel das zunächst scheinen mag, so komplex sind die kommunikativen Mechanismen, die diesem Prozess zugrunde liegen und die Luhmann detailliert durchleuchtet hat.

       Schöner denken

      »Ich denke manchmal, es fehlt uns nicht an gelehrter Prosa, sondern an gelehrter Poesie (...) Vielleicht sollte es für anspruchsvolle Theorieleistungen eine Art Parallelpoe-sie geben, die alles noch einmal anders sagt und damit die Wissenschaftssprache in die Grenzen ihres Funktionssystems zurückweist.«

      (Luhmann, »Soziologische Aufklärung 3«, 176f.)

      Weil Luhmanns Beobachtungen selbst so unwahrscheinlich scheinen, erzeugt die Lektüre seiner Texte vor allem eines: Staunen. Luhmann bricht gewohnte Sichtweisen auf und kehrt die vertraute Optik um. Aus systemtheoretischer Perspektive erscheint das Vertraute überraschend, wird das Alltägliche aufregend – und zugleich auf einem neuen, komplexeren Level plausibel. Man könnte Luhmann auch einen Theoriekünstler nennen, denn seine Beobachtung der Unwahrscheinlichkeiten im scheinbar Selbstverständlichen und des Vertrauten im scheinbar Abseitigen ähnelt der Funktion, die er selbst bei der Kunst beobachtet: eine plausible Präsentation anderer Realitäten.

      So sind die Entzauberungen der Systemtheorie immer auch Wiederverzauberungen: Sie machen die alltäglichsten Dinge zu Mysterien, ohne sie zu mystifizieren. Und wahrscheinlich ist es dieser quasi künstlerische Sog, diese irgendwie schräge Weltsicht, die die Systemtheorie so attraktiv macht und sogar Suchtpotenzial entfalten kann. Wer einmal gelernt hat, seinen Hund als »biologisches System« zu beobachten oder die Liebe als »symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium«, läuft erhöhte Gefahr, systemtheoriesüchtig zu werden.

       Nicht nett

      »(Es gibt) nette, hilfsbereite Theorien und solche, die durch das Wahrscheinlichwerden des Unwahrscheinlichen fasziniert sind. Die erstgenannte Variante hat die Tradition für sich, die zweite drängt sich auf, sobald man explizit fragt, wie soziale Ordnung möglich ist.«

      (Luhmann, »Soziale Systeme«, 164)

      Dagegen erteilt Luhmann all jenen eine Absage, die sich ihre Weltbilder unter Titeln wie »Ich«, »Gefühl«, »Authentizität«, »Universum« etc. selbst malen, sowie allen, die sich hinter moralischen Schutzschildern nach einfachen Fundamentalismen sehnen. Durch die muffige Gemütlichkeit der Betroffenheitstempel weht die Systemtheorie als frische Brise aus Sachlichkeit und Skepsis. »Selbstverwirklichern« bietet sie die vielleicht einzig wirksame Therapie: Distanzierung und Selbstobjektivierung statt Engagement und Selbstsuche.

       Eine Brücke zum Theoriepalast

      Dieses Buch will eine ebenso lustvolle wie lehrreiche Lektüre bieten und die Komplexität der Systemtheorie so reduzieren, dass sie zugänglicher wird, ohne sie dabei zu trivialisieren. Es soll eine Brücke zu Luhmanns Theoriepalast geschlagen werden, die erfolgreiche Anschlusskommunikationen wahrscheinlicher macht – idealerweise die Originallektüre von Luhmann-Texten.

      Das Setzen eines Anfangs ist dabei ebenso schwierig wie potenziell beliebig, schließlich gleicht Luhmanns Theoriedesign selbst einem komplexen Netzwerk. Die Systemtheorie baut zwar auf zentraleren und weniger zentralen Unterscheidungen auf, doch letztlich hängt alles mit allem zusammen und verweist ständig aufeinander. Auch dies ist ein Beleg dafür, dass die Systemtheorie auf der Höhe ihrer Zeit ist, denn ebenso komplex und paradoxal ist auch die Netzwerkgesellschaft des 21. Jahrhunderts strukturiert. Der hier gewählte Aufbau kann daher nur ein Kompromiss sein – aber immerhin einer mit »System«.

      Zunächst geht es um eine Zentralfigur systemtheoretischen Denkens, Selbstreferenz: Ein kurzer Besuch im »Wunderland der Selbstreferenz« (S.15) ebnet den Weg für den folgenden Eintritt in das Labyrinth der Systemtheorie. Der »Grundriss des Labyrinths« (S.21) wird anhand der zentralen systemtheoretischen Begriffe und Grundannahmen vorgestellt. Zweien davon, Kommunikation und Beobachtung, ist jeweils ein Sonderkapitel gewidmet (S.45 und 53).

      Der anschließende Vergleich der Systemtheorie mit ihren »Kontrahenten und Verbündeten« (S.57) dient dazu, das Verständnis der Theorie und ihres wissenschaftlichen Kontextes weiter zu schärfen. Ein weiteres Kapitel ist der Biografie und dem Wirken Niklas Luhmanns gewidmet: dem Zettelkastenmeister und »Kopf hinter der Theorie« (S.67).

      Dann wird die Theorie in den Praxistest geschickt: Wie schlägt sich die Systemtheorie als »Theorie für alle Fälle« (S.77)? Die systemtheoretische Beobachtung von Liebe, Kunst und Massenmedien liefert aufschlussreiche Erkenntnisse, die auch dem generellen Theorieverständnis dienen.

      Schließlich geht es um die Analysekraft der Systemtheorie für die Gegenwart und Zukunft der digitalisierten Gesellschaft: Was leistet Luhmanns Theorie als »Systemtheorie der Netzwerkgesellschaft« (S.99)?

       2. Das Wunderland der Selbstreferenz

       Der Eintritt ins Reich der Systemtheorie gleicht einem Eintritt in eine andere Dimension: Man betritt eine Art spiegelverkehrte Welt, ein Universum voller Paradoxien und Widersprüche. Das erfordert – und erzeugt – eine neue, andersartige Sicht der Dinge.

       »Explosivstoff Selbstreferenz«

      Um sich im Labyrinth der Systemtheorie zurechtfinden zu können, gilt es zunächst einmal vieles hinter sich zu lassen, was einem der Alltagsverstand antrainiert hat. Es ist ein bisschen so wie am Eingang zum Magischen Theater in Hesses »Steppenwolf«, an dessen Pforte der Hinweis prangt: »Eintritt kostet den Verstand.«

       Vorsicht, explosiv!

      »Die Systemtheorie (hat) den Explosivstoff Selbstreferenz in sich aufgenommen und (reicht) ihn als Kern des Systembegriffs an die Wissen-schaftstheorie weiter.«

      (Luhmann, »Soziale Systeme«, 656)

      Zum Glück kostet das Kennenlernen der Systemtheorie lediglich Konventionen – und schickt den Verstand zugleich auf ungeahnte Höhenflüge. Wer Angst hat vor intellektueller Überforderung und einem hochkomplexen Begriffssystem, sollte lieber draußen bleiben. Wem es aber gelingt, seinen alltäglichen Beobachtungsballast über Bord zu werfen und den Kopf frei zu machen für eine anfangs wenig Vertrauen erweckende Sichtweise, der kann sich faszinieren lassen von einer multifunktionalen Begriffskombinatorik und überraschenden, gestochen scharfen Beobachtungsmöglichkeiten. Es heißt also Abschied nehmen von vielem, was bislang im Bereich soziologischer Theorie stattfand, und sich einlassen auf einen neuartigen Zugang zu sozialen Phänomenen.

      Das Zauberwort, das dieser systemtheoretischen Verbindung aus Fremdartigkeit und Faszination zu Grunde liegt, lautet »Selbstreferenz«. Das heißt zunächst nichts weiter, als dass es in Luhmanns Theorie um Systeme geht, die sich in all ihren Aktionen und Reaktionen selbst beschreiben. Das selbstbezügliche Grundmuster systemtheoretischen Denkens folgt aus dem anfangs schon erwähnten allumfassenden Anspruch der Theorie: Will sie

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