C -Die vielen Leben des Kohlenstoffs. Dag Olav Hessen
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Der Gedanke an den Kreislauf des Kohlenstoffs – und an mich als Bruchteil davon – gibt mir dort am Seeufer das Gefühl, dazuzugehören. Eine ganz neue Perspektive. Carl von Linné meinte, dass wir, also die Menschen, hier auf Erden platziert seien, um die göttliche Schöpfung zu deuten.1 Ganz unbescheiden sah er sich selbst an erster Page 17Stelle, was die Deutung und das Verständnis der göttlich gestalteten Natur anging. Wir drei, die wir hier an diesem See arbeiten, haben weniger hohe Ziele, auch wenn sich die Fragestellung im Nachhinein als wichtiger herausstellen sollte, als wir es damals ahnten: Wir sind hier, um mehr über den endlosen Kreislauf des Kohlenstoffs zu verstehen.
Den sechs großen Ballons im Wasser sind winzige Mengen einer speziellen Form von Kohlenstoff hinzugefügt worden, und zwar das radioaktive Isotop 14C, das im Gegensatz zum normalen Kohlenstoff (12C) sechs Protonen und acht Neutronen enthält. Durch den Zusatz von 14CO2 können wir verfolgen, wie der Kohlenstoff von den Algen, Bakterien und dem tierischem Plankton aufgenommen, umgesetzt und schließlich wieder ausgeschieden wird. Der radioaktive Kohlenstoff in unseren Proben gibt Elektronen ab, die ein winziges Lichtsignal senden, wenn sie von der zähflüssigen Lösung eingefangen werden. Diese Signale können über einen Szintillationszähler aufgefangen werden. Das Projekt ist Teil meiner Doktorarbeit, die dazu beitragen soll, unser Verständnis ein bisschen zu erweitern. Die Nacht unter der Plane, die Proben, Analysen und statistischen Auswertungen wurden zu einem zentralen Teil meiner Arbeit über die unergründlichen Wege des Kohlenstoffs. Der radioaktive Kohlenstoff war der Schlüssel zum Verständnis der Photosynthese und schlug so eine wichtige Brücke zwischen Atomphysik und Biologie.
Die Sonne, der eigentliche Motor des ganzen Prozesses, nimmt jetzt Fahrt auf. Es wird warm und der Nebel löst sich auf. Bevor die Proben in den Szintillationszähler kommen, gönne ich mir ein paar Stunden Schlaf. Die Page 18Resultate aus den Messinstrumenten tickern zu sehen, ist eine der besonderen Freuden eines jeden Wissenschaftlers, auch wenn man diese Freuden den Menschen um sich herum kaum vermitteln kann. Manchmal braucht man nur einen Tag, um zu erkennen, ob die Punkte auf der Grafik den Erwartungen entsprechen. Andere Male dauert es Jahre und erfordert ungeheure Geduld, die Forscher in der heutigen Zeit nur noch selten haben oder sich leisten können. Charles David Keeling aber hatte die nötige Ruhe und Zeit. 1957 bestand er auf der absurden Idee, ein Messinstrument auf dem Gipfel des Mauna Loa auf Hawaii zu installieren.2 Aus seiner Arbeit resultierte eine Grafik, die den Kohlenstoff in das Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt hat.
Dank einer ungewöhnlichen Kombination aus Genauigkeit und Geduld konnte Keeling zu seiner Verblüffung nachweisen, dass die CO2-Konzentration Jahr für Jahr zunahm. Dies konnte nur bedeuten, dass der Kohlenstoffkreislauf ins Ungleichgewicht geraten war und dass mehr CO2 freigesetzt als aufgenommen wurde. Das lebenspendende CO2 hatte offenbar auch eine dunkle Seite. Später wurde gezeigt, dass die Konzentration von Methan in der Atmosphäre ebenfalls ansteigt. Der Kohlenstoff, das Element des Lebens, ist zu unserer größten Bedrohung geworden. Wir werden später noch auf die verschiedenen Kohlenstoffzyklen zurückkommen, ebenso wie auf Keeling selbst und seine mittlerweile berühmte Kurve. Betrachten wir aber zuerst die Hauptakteure in dieser Geschichte und Page 19die zahlreichen, um nicht zu sagen zahllosen Varianten und Allianzen, in denen sie auftreten können.
Ich habe eine enge Verbindung zu meinem Projekt. Das haben wir alle, wenn uns das auch nicht allen bewusst ist. Mein Leben als Wissenschaftler dreht sich zu weiten Teilen um den Kohlenstoff – vom inneren Zellkern bis zu den großen Kreisläufen in unseren Ökosystemen. Ich kenne mein Forschungsobjekt aus der Welt der Chemie wie aus jener der Biologie und habe die vielen Partner des Kohlenstoffs, seine Lebensphasen und seine verschiedenen Rollen studiert. Mein größter Wunsch ist es aber, die Rolle des Kohlenstoffs für das Klima in Vergangenheit und Zukunft zu verstehen.
1Linné war vermutlich der entschiedenste Verfechter eines naturtheologischen Gesichtspunktes. Er ging davon aus, dass alles göttlichen Ursprungs und deshalb mit allem auch eine Absicht verbunden war. Die Natur war also nicht nur eine Quelle intensiver Gefühle, sondern auch Trägerin eines versteckten Musters, einer Botschaft und eines tieferen Sinns. Die Rolle des Menschen, insbesondere die Rolle von Linné selbst, musste innerhalb dieser versteckten Botschaft zu finden sein. Damit verbunden ist auch der Glaube, dass derjenige, der für die Schöpfung verantwortlich ist, auch wieder für Ordnung sorgen wird – zum Beispiel, was Klimaveränderungen angeht. Über Letzteres hatte Linné sich jedoch aus gutem Grund noch keine Gedanken gemacht. Mehr über Linné in: Hessen, D. O. (2000): Carl von Linné, Gyldendal, Oslo
2Charles David Keeling (1928–2005) war der erste Wissenschaftler, der die Zunahme atmosphärischen Kohlenstoffs registrierte und vor den damit möglicherweise verbundenen Konsequenzen warnte. Er ist direkt wie indirekt mitverantwortlich dafür, dass dieses wie auch andere Bücher über das Klima und den Kohlenstoffzyklus geschrieben wurden. Es gibt viele Biografien über Keeling; eine kurze, fachlich orientierte Übersicht findet sich in den Gedenkschriften: Harris, D.C. (2010): Charles David Keeling and the story of atmospheric CO2 measurements. Analytical chemistry 82: 7865–7870. Heimann, M. (2005): Obituary: Charles David Keeling 1928–2005. Nature 437: 331.
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Kohlenstoff in allem
Kohlenstoff ist Sternenstaub, gebildet in Sternen bei der Fusion der leichteren Elemente. Er findet sich im gesamten Universum, allerdings nur in geringer Konzentration. Weniger als 5 Promille der im Universum vorhandenen Masse sind Kohlenstoff, und trotzdem ist Kohlenstoff das vierthäufigste Element. In der Atmosphäre der Erde beträgt der Gewichtsanteil knapp 0,4 Promille, also 400 ppm, während er in der Erdkruste mit nur 200 ppm noch seltener vertreten ist.3
Das Leben zeigt hingegen eine Vorliebe für den Kohlenstoff. Die zehn gewichtsmäßig wichtigsten Elemente im Menschen – und das ist von Mäusen bis Elefanten in fast allen Säugetieren gleich – sind: Sauerstoff (65%), Kohlenstoff (19%), Wasserstoff (10%), Stickstoff (3%), Calcium (1,5%), Phosphor (1%), Kalium (0,35%), Schwefel (0,25%), Natrium (0,15%) und Magnesium (0,05%).4 Lasse ich mal das Wasser weg, das 57 Prozent von uns ausmacht und in dem ein großer Teil des Sauerstoffs und Wasserstoffs Page 21gebunden ist, bestehen wir zu mehr als 40 Prozent aus Kohlenstoff. Kohlenstoff ist an allen Vorgängen im Körper beteiligt, sodass die Bilanz des Körpers im Grunde durch eine einfache Gleichung darstellbar ist: Aufgenommener Kohlenstoff minus abgegebener Kohlenstoff minus das CO2 der Zellatmung ist gleich der Gewichts-Zu- oder -Abnahme.
Kohlenstoff ist das zentrale Element der Hauptgruppen der Moleküle (DNA, Proteine, Fette, Zuckerarten), die allen lebenden Organismen gemein sind. Infolgedessen bestehen Tiere zu etwa 40 Prozent aus Kohlenstoff. Die genaue Prozentzahl ist abhängig vom Verhältnis zwischen Fett, Kohlenhydraten und Proteinen. Pflanzen enthalten etwas mehr Kohlenstoff, vor allem Bäume mit ihrem hohen Anteil an Zellulose und Lignin. Die Pflanzen haben auch dafür gesorgt, dass der Kohlenstoff mit dem Karbon sein eigenes geologisches Zeitalter bekommen hat. Dieses erstreckte sich von 360 bis 300 Millionen Jahren vor unserer Zeit. In dem damals warmfeuchten Klima sind riesige Wälder gewachsen, die uns – akkumuliert über 60 Millionen Jahre – die Steinkohle hinterlassen haben. Die deutlich spätere Kreidezeit, die von 145 bis 65 Millionen Jahren vor heute dauerte, ist ebenfalls durch Kohlenstoffablagerungen gekennzeichnet, diesmal aber in Form von Calciumcarbonat CaCO3.5 Hier hat sich der Kohlenstoff mit einem Calciumatom und drei Sauerstoffatomen verbunden, eine Allianz, geformt von vielen Milliarden mikroskopisch kleiner, kalkbildender Algen. Darüber werden