C -Die vielen Leben des Kohlenstoffs. Dag Olav Hessen
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Ein paar Hundert Millionen Jahre sind aber kein Alter für die Kohlenstoffatome, die sich in Kohle oder Kreide befinden. Als unser Universum vor 14 Milliarden Jahren entstand, wurden dabei im ersten Schritt nur die drei leichtesten Elemente aus der Taufe gehoben: Wasserstoff, Helium und Lithium. Etwas vereinfacht können wir sagen, dass dies die Bausteine für die schwereren Elemente waren. Darunter war auch der Kohlenstoff, der vom Gewichtsanteil her an vierter Stelle der häufigsten Elemente des Universums steht (hinter Wasserstoff, Helium und Sauerstoff).
Der Kohlenstoff genießt ungeheure Popularität bei seinen zahllosen potenziellen Partnern im Periodensystem und hat kurze und längere Affären mit einer Vielzahl anderer Atome. Die Popularität des Kohlenstoffatoms bei den anderen Grundelementen hat mit seinem außergewöhnlichen Talent für chemische Bindungen zu tun. Fast jedes Atom fühlt sich zum Kohlenstoff hingezogen, in erster Linie wegen seiner sechs Elektronen und sechs Protonen. Dazu kommen noch sechs Neutronen, und diese sechs Neutronen und sechs Protonen geben dem Kohlenstoff die Atommasse 12. Das Gewicht der Elektronen ist in diesem Zusammenhang zu vernachlässigen, an anderer Stelle aber von umso größerer Bedeutung. Da zwei der Elektronen in der inneren Schale versteckt sind, sind es die vier auf der äußeren Schale, die Kontakt mit der Umwelt suchen. Und dies sehr effektiv.
In der Natur gibt es drei Hauptformen reinen Kohlenstoffs – Graphit, Diamant und Fulleren. In jeder davon hat der Kohlenstoff genug mit sich selbst zu tun und die Atome treten miteinander in Verbindung. Zugleich ist Kohlenstoff wenig wählerisch, was Verbindungen zu anderen Atomen angeht. Eine seiner Lieblingsbeziehungen ist die Dreiecksverbindung mit zwei Sauerstoffatomen. Das CO2 macht den Kohlenstoff zum eigentlichen Atom des Lebens, da dieses Molekül die Grundlage für fast alles Page 23Leben ist. Das Problem ist aber, dass der Kohlenstoff an dieser Beziehung ungeheuer festhält. Feuer trägt mehr als alles andere dazu bei, die Verbindung zu festigen, während die avancierte Technologie der Photosynthese das Kleeblatt zu trennen vermag. Das Gleichgewicht zwischen diesen Prozessen ist heute so kräftig verschoben, dass sich das CO2 in der Atmosphäre anreichert, weshalb die Liebe des Kohlenstoffs zum Sauerstoff eine Beziehung ist, die die ganze Welt angeht.
Abbildung 1: Die Beliebtheit des Kohlenstoffatoms geht in erster Linie auf seine sechs Elektronen zurück, während die Atommasse 12 durch sechs Neutronen und sechs Protonen begründet ist.
Der Kohlenstoff ist wesentlich älter als die Erde (die es erst seit 4,6 Milliarden Jahren gibt), aber jünger als das Universum. Er ist über Milliarden von Jahren in den unterschiedlichsten Sternen diverse chemische Verbindungen eingegangen und hat diese wieder verlassen, ehe er zu einem Bestandteil des Lebens wurde – von den ersten Bakterien über die Bäume und Dinosaurier bis zu dir und mir. Selbst ein paar Hundert Millionen Jahre Speicherung in Form von Kohle, Öl oder Gas haben für den Kreislauf des Kohlenstoffs von Ewigkeit zu Ewigkeit kaum Bedeutung. Aber seit wann ist uns der Kohlenstoff bekannt?
Was die Geschichte wissenschaftlicher Entdeckungen angeht, richten wir unseren Blick gern als erstes auf die Page 24alten Griechen. Was den Kohlenstoff angeht, müssen wir aber noch weiter zurück. Es dauerte zwar eine ganze Weile, bis wir die Verbrennung verstehen und chemisch oder physikalisch erklären konnten, aber seit wir die Magie des Feuers und seine zerstörerische Kraft kennen (also seit der Steinzeit), ist uns auch die Holzkohle bekannt und wurde zu gewissen Teilen auch genutzt. (Der Begriff Karbon stammt im Übrigen aus dem Lateinischen und bedeutet verbranntes Holz – carbo). Früher hat man die Natur eingeteilt in die Kategorien brennbar – wie Holz – oder nicht brennbar – wie Stein oder Sand. Das Gegenstück zum Feuer war das Wasser, des Feuers eingeschworener Feind. Damals wusste natürlich noch niemand, dass das, was das Feuer nährte und was das Feuer löschte, beides zu großen Teilen aus Sauerstoff bestand, oder dass das Endprodukt der Verbrennung CO2 ist.
Dass die Reaktion, durch die uns das Feuer Wärme von außen schenkt, im Grunde dieselbe ist, durch die uns der Körper im Inneren Energie und Leben spendet, wäre wohl den meisten unbegreiflich gewesen. In beiden Fällen handelt es sich um in den Pflanzen gespeicherte Sonnenenergie, die als CO2 freigesetzt wird. Das Feuer selbst ist uralt, vermutlich kennen wir Menschen es so lange wie den aufrechten Gang. Am Lagerfeuer zu sitzen, am besten am Wasser, mit freier Sicht und einer schützenden Stütze für den Rücken, ist ein Ritual, das irgendwo tief in uns verwurzelt ist, vielleicht sogar in unseren Genen. Und wenn sich an solchen Orten dann ein steinerner, mit Asche gefüllter Ring findet, markiert dieser eine ungebrochene kulturelle Linie von der Entstehung unserer Art bis heute. Wir wissen nicht, ob unsere Ahnen am Feuer sich darüber gewundert haben, wie ein kaltes Stück Holz plötzlich eine solche Wärme von sich geben und sich schließlich in Asche verwandeln konnte. Vermutlich gingen aber einem im Kreis um das Lagerfeuer solche Gedanken durch den Kopf. Die Menschen waren schon Page 25immer erpicht darauf, die ursächlichen Zusammenhänge zu verstehen. Aber obwohl das Feuer eine wichtige Rolle in unserer Vorgeschichte eingenommen hat, blieb seine wohlige wie zerstörerische Kraft lange ein Mysterium.
Feuer und Verbrennung sind entscheidend, nicht nur, um Kohlenstoff und Sauerstoff miteinander zu verbinden, sondern auch für den gesamten Kohlenstoffkreislauf, ganz zu schweigen vom Wechsel zwischen den Haupt typen des Kohlenstoffs. Das Feuer ist überdies essenziell für unseren eigenen Stoffwechsel und unsere Evolution.6 Das menschliche Hirn hat eine bemerkenswert schnelle Entwicklung gemacht, sowohl was seine Größe als auch was seine Fähigkeiten angeht. Unsere nächsten noch lebenden Verwandten, die Schimpansen, haben ein Hirnvolumen von 300–500 cm3. Bei unseren größeren, wenn auch etwas entfernteren Verwandten, den Gorillas, beträgt es 400–700 cm3. Der Frühmensch Homo habilis hatte vor 1,7 Millionen Jahren noch ein Hirnvolumen vergleichbar mit dem der Gorillas. Schon 700.000 Jahre später näherte sich das Hirnvolumen des Homo erectus 1.500 cm3. Seither ist es etwa gleich geblieben oder sogar zurückgegangen, sodass der Neandertaler noch ein etwas höheres Hirnvolumen hatte als wir heute. Aber das Volumen ist nicht alles. Entscheidend sind auch die enorme Dichte der Neuronen und die gute Isolation der Nervenfasern. Dazu finden sich moderne Hirnabschnitte wie die Stirnlappen, in denen große Teile des Ich-Gefühls sowie die Fähigkeit zur abstrakten Reflexion und zum ethischen Urteilsvermögen beheimatet sind.
Die gewaltige Hirnkapazität fordert aber auch ihren Page 26Tribut in Form von Energie. Mehr als 20 Prozent unseres Energieverbrauchs werden für ein Organ benötigt, das alles in allem nur bescheidene 2 Prozent des Körpergewichts ausmacht. Heute und in unserem gut genährten Teil der Welt ist dieser Energiebedarf kein Problem mehr. In anderen Teilen der Welt sieht das jedoch anders aus, und historisch gesehen war es ein hoher Preis, den zu bezahlen sich trotzdem gelohnt hat.
Aber wo kommen das Lagerfeuer und der Kohlenstoff ins Spiel? Die Antwort, behauptet Richard Wrangham, liegt im Titel seines Buches Catching Fire. How cooking made us human.7 Vermutlich zogen wir bereits vor mehr als 100.000 Jahren Nutzen aus dem Feuer, und schon davor beobachteten unsere Vorfahren, dass es nach einem Savannenbrand leicht war, verendetes Wild zu finden, und dass dieses Wild wesentlich leichter zu essen war. Diese Tatsache muss sie auf die Idee gebracht haben, das Feuer strategisch zu nutzen, um das Wild zu jagen oder zu verbrennen, und da alle Tiere das Feuer fürchteten, konnte ein brennender Zweig einen ansonsten so furchteinflößenden Löwen auf Abstand halten. Das Feuer wurde vom Feind zum Freund. Das Braten über dem Feuer und schließlich das Kochen waren überdies eine ausgezeichnete Art, um Parasiten und Bakterien in und auf dem Essen zu töten. Das Feuer veränderte nicht nur die Chemie des Essens, sondern auch seine – und unsere – Biologie. Gebratenes oder gekochtes Essen ist leichter zu kauen und macht damit einen Teil der Kiefermuskulatur und der massiven Kieferpartien überflüssig. Überdies ist es leichter zu verdauen. Es ist harte Arbeit, über rohes Essen genug Energie aufzunehmen, und während andere Primaten rund 20–30 Prozent ihres eigenen Körpergewichts aufnehmen müssen, um ihren Energiebedarf zu decken, und dafür einen ganzen Tag brauchen, kommen wir mit Page 27nur 5 Prozent und viel weniger Zeit aus. Nahrungsmittel wie Weizen, Reis und Kartoffeln,