Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Aber die ganze Gemeinde hasste den neuen Pfarrer, der mit rücksichtsloser Strenge auf der Kanzel wie im Beichtstuhl das lockere Leben der Pfarrkinder verdammte, der sogar schliesslich die Schuldigen öffentlich in der Predigt beim Namen nannte. Bald blieben sämtliche Burschen aus der Gemeinde der Kirche fern. Im Schlosse dagegen war Abbé Tolbiac ein gern gesehener Gast. Sogar Julius behandelte ihn mit großer Achtung und ließ keinen Festtag vorübergehen ohne zu beichten und zu kommunizieren.
Er war jetzt fast täglich bei den Fourvilles, um entweder mit dem Grafen zu jagen oder mit der Gräfin auszureiten. »Sie sind närrisch die beiden, mit ihrer Reiterei«; sagte der Graf, »aber es bekommt meiner Frau so gut.«
Gegen Mitte November kehrte der Baron zurück, sehr gealtert unter der Trauer um die verlorene Gattin. Obgleich Johanna ihm nichts von ihrem engen Verkehr mit dem neuen Pfarrer sagte, so fasste er doch schon gleich nach der ersten Bekanntschaft eine instinktive Abneigung gegen denselben, die bald in offenen Hass überging. Seinem philosophisch angelegten Gemüte, seiner natürlichen Nachsicht und Milde widerstrebte der Zelotismus die starre Strenge, die aus dem ganzen Wesen des Abbé Tolbiac sprach.
Auch der Priester fühlte recht gut, wie wenig ihm der Baron geneigt war. Aber er wollte seinen Einfluss im Schlosse nicht verlieren und beherrschte sich in dem Gefühle, dass er endlich doch Sieger bleiben werde.
Ein anderer Gedanke beherrschte ihn jetzt ganz: Ein Zufall hatte ihn das Geheimnis zwischen Julius und Gilberte entdecken lassen. Diesem ein Ende zu machen, war sein fester Entschluss. Er zog Johanna ins Vertrauen und verband sich mit ihr, um »zwei Seelen vom Tode zu retten.«
»Es ist eine peinliche Pflicht für mich«; sagte er, als Johanna schwankte, »aber ich muss sie erfüllen. Was gedenken Sie Ihrerseits zu tuen?«
»Was soll ich machen, Herr Abbé?« stammelte sie. »Sie müssen diese schändliche Neigung durchkreuzen.« Vergeblich suchte Johanna ihm vorzustellen, wie sie ihrem Manne gegenüber machtlos sei. Er wurde immer erregter und verwies sie auf ihre Pflicht als Christin, als Gattin, als Mutter. »Verlassen Sie dieses entweihte Haus, wenn es nicht anders geht,« rief er schliesslich aus. »Oder besitzen Sie nicht den Mut dazu? Wohlan so haben Sie Anteil an der Schuld und sind unwürdig der Gnade Gottes.«
»Ach verlassen Sie mich nicht, ich beschwöre Sie«; rief Johanna in die Knie sinkend, »raten Sie mir.«
»So öffnen Sie Graf Fourville die Augen. An ihm ist es dann, der Sache ein Ende zu machen,« sprach er mit hartem Tone.
»Aber es würde sie beide töten! Und ich soll eine Denunziantin sein? Niemals.«
»Wohlan so ist meine Mission hier zu Ende. Ich muss Sie Ihrer Schande und Ihrer Sünde überlassen.«
Vergebens bat und flehte Johanna. Er verliess zornbebend das Haus. An dem Pachthof der Couillards vorbeikommend, gewahrte er eine Anzahl Kinder, die vergnügt zuschauten wie Mirza, des Pächters Hündin eine Anzahl Junge warf. Empört jagte er die Kinder mit seinem großen Regenschirm auseinander, den er erbarmungslos auf ihre Schultern niedersausen ließ. Plötzlich fühlte er sich von rückwärts ergriffen und unsanft zum Tore hinausgesetzt. Es war der Baron, der hinzugekommen war und dessen Hass hier endlich Gelegenheit zur Betätigung fand.
Als der Pfarrer am nächsten Sonntage von der Kanzel aus mit einer deutlichen Anspielung auf Schloss Peuples von der mangelnden Achtung vor dem geistlichen Stande und mit einer noch deutlicheren Anspielung von ehebrecherischen Verhältnissen sprach, wurde es selbst Julius zu viel. Er schrieb in geziemender Weise dem Bischof und Abbé Tolbiac wurde zur Ruhe verwiesen.
Aber es war die Ruhe vor dem Sturme. Hin und wieder, wenn Gilberte und Julius ausritten, sahen sie durch ein Gebüsch die schwarze Sutane des Pfarrers schimmern. Und eines Tages als sie nach Vrilette zurückkehrten, begegnete ihnen der Abbé Tolbiac auf der Zugbrücke.
Eine seltsame Unruhe überkam sie; aber bald hatten sie das Ereignis wieder vergessen.
Da eines Nachmittages, als Johanna lesend am Fenster sass, bemerkte sie Graf Fourville, der zu Fuss herankam. Sein Gang war so eilig, dass sie ein Unglück befürchtete. Sie eilte hinunter, um ihn zu empfangen. Sein Aussehen war das eines Wahnsinnigen. »Ist meine Frau hier?« stiess er rau hervor. »Nein«, antwortete Johanna den Kopf verlierend, »ich habe sie heute noch nicht gesehen.« Die Wirkung dieser Worte war erschütternd. Der Riese schien zusammenzuknicken; er nahm den Hut ab, wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Augen rollten. Er hatte den Mund geöffnet, wie um zu sprechen; aber kein Ton drang hervor. Endlich wandte er sich um und rannte mit einem Wutschrei dem Meere zu.
Einen Augenblick lief Johanna ihm nach, ihn bittend und beschwörend; er hörte sie nicht. Endlich gab sie ihre Bemühungen auf, als sie ihn mit Riesenschritten der Küste zueilen sah. Von qualvoller Angst gepeinigt, kehrte sie ins Haus zurück.
Der Wind war inzwischen immer heftiger geworden. Stoss um Stoss wehte er vom Meere herüber, schüttelte das junge Grün der Bäume und ließ das Gras in seltsamen Gewimmel auf- und abwogen. Weiße Möven sausten wie Schaumflocken durch die Luft. Ein Hagelschauer folgte und große Körner peitschten das Gesicht des Grafen, der unbekümmert um alles dem Tale von Vaucotte zueilte. Zwei Pferde, die an einem Schäferkarren angebunden waren, zeigte ihm alles.
Er duckte sich nieder und wie der Jäger beim Anblick des Wildes, pürschte er sich auf dem Bauche an den Karren heran. Mit seinem riesigen Körper glich er einem Untier, das auf Tod und Verderben sinnt. Jetzt war er unter dem Karren angelangt. Die Pferde wurden unruhig. Ein Schnitt mit seinem scharfen Waidmesser trennte das Riemenzeug. Als ein neuer Windstoss das Dach des Karrens erzittern ließ, rannten die erschreckten Tiere wie gehetztes Wild davon. Leise legte der Riese sein Ohr an die Tür; dann lugte er durch eine schmale Ritze ins Innere. Hierauf sprang er mit einem mächtigen Satze auf, schob den Riegel an der Aussenseite vor und rannte wie besessen davon, den leichten Karren an den Deichselgabeln hinter sich herziehend. Keuchend klimmte er die Höhe hinauf, seine