Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Zuweilen, wenn ein flinkes Boot mit aller Schnelligkeit vorüberfuhr, stiessen die Freunde am Lande ein Beifallgeschrei aus, in das die ganze Menge mit lautem Geheul einstimmte.
Immer neue Boote zeigten sich an der Biegung bei Chatou. Sie wurden im Näherkommen grösser und grösser; und sobald man die Gesichter erkennen konnte, ertönte neues Geschrei.
Ein überdachtes und von vier Mädchen besetztes Boot kam langsam den Fluss herunter. Die, welche die Ruder führte, war klein, mager und welk; sie trug ein Matrosenkostüm und auf ihrem dünnen Haar einen gelben Strohhut. Ihr gegenüber lag eine starke Blondine, gleichfalls in Herrenkleidern mit weißer Flanellweste, auf dem Rücken im Fond des Bootes, und stützte, eine Zigarette rauchend ihre ausgestreckten Beine auf die Bank zu beiden Seiten der Ruderin. Durch die Erschütterung ging ihr bei jedem Ruderschlag ein Zittern über Brust und Leib. Ganz hinten sassen unter dem Schutzdache zwei hübsche große schlanke Mädchen; eine Brünette und eine Blondine; sie hielten sich umfangen und betrachteten unaufhörlich ihre beiden Gefährtinnen.
»Aha! die Lesbierinnen« erscholl eine Stimme in dem Restaurant, und plötzlich entstand ein lebhaftes Geschrei auf dem ganzen Froschteich; alles stiess und drängte sich, Gläser fielen zur Erde, man stieg auf die Tische, und alles rief wie rasend: »Lesbos, Lesbos, Lesbos!« Der Ruf rollte weiter und weiter bis in unbestimmte Ferne und bildete zuletzt nur noch ein unklares Geheul, dann schien er sich plötzlich von Neuem zu erheben, zum Äther emporzusteigen, die Umgegend zu bedecken, das dichte Laubwerk der Bäume zu erfüllen und sich endlich in die Wolken zur Sonne emporzuschwingen.
Die Ruderin hatte bei diesem Geschrei ruhig Halt gemacht. Die große Blonde im Fond des Bootes richtete sich zur Hälfte auf und wandte nachlässig den Kopf, während die beiden hübschen Mädchen im Hintergrunde die Menge mit lautem Lachen begrüssten.
Da verdoppelte sich das Gebrüll, sodass der Boden der Arche zitterte. Die Männer lüfteten die Hüte, Frauen zogen ihre Taschentücher und alle Stimmen, hell und dumpf, riefen vereint »Lesbos.« Man hätte glauben sollen, dieser Pöbel, dieser Verbrecherhaufe, grüsste seine Anführer, wie ein Geschwader die Geschütze löst, wenn ein Admiral die Front der Schiffe abfährt.
Die zahlreiche Boots-Flottille grüsste ebenfalls mit lautem Beifall das Fahrzeug dieser Viere, welches mit seiner schläfrigen Bewegung sich langsam etwas weiter vom Froschteich entfernte.
Im Gegensatz zu den übrigen hatte Herr Paul einen Schlüssel aus der Tasche gezogen, auf dem er aus Leibeskräften zu pfeifen begann. Seine Freundin, erregt und bleicher wie gewöhnlich, fasste seinen Arm, um ihn zum Schweigen zu bringen, wobei ein eigentümliches Feuer in ihren Augen glühte. Er aber schien ausser sich, wie von Eifersucht, von einem tiefen Zorne instinktiver Entrüstung gestachelt.
»Das ist schmachvoll!« stammelte er mit wutbebenden Lippen. »Man sollte sie mit einem Stein am Halse wie Katzen ersäufen.«
Madeleine sprang plötzlich mit Entrüstung auf; ihre an sich dünne Stimme wurde zischend und mit einem Nachdruck, als gelte es ihre eigene Verteidigung, sagte sie:
»Geht’s Dich was an? Können sie als unabhängige Mädchen nicht machen, was sie wollen? Gib Ruhe mit Deinem Blödsinn und kümmere Dich um Deine Sachen …«
»Das muss die Polizei wissen,« unterbrach er sie, »ich werde sie nach Saint-Lazare bringen; das werde ich.«
»Du?« sagte sie schaudernd.
»Ja, ich! Und ich verbiete Dir, weiter von ihnen zu reden; ich verbiete es Dir, hörst Du!«
»Lieber Kleiner!« sagte sie, plötzlich ganz ruhig geworden, unter Achselzucken »ich werde tuen, was mir beliebt; wenn Dir das nicht gefällt, so geh weiter, aber sofort. Ich bin Deine Frau nicht, verstehst Du. Also hübsch bescheiden!«
Er würdigte sie keiner Antwort und sie blieben sich gegenüber sitzen mit zornig bebenden Lippen und wogendem Atem.
Inzwischen waren am andren Ende des großen schwimmenden Café’s die vier Weiber gelandet; die zwei als Männer gekleideten gingen voraus. Die kleine magere, die wie ein halberwachsenes Bürschchen aussah, hatte gelbe Flecken an den Schläfen; die andere, die mit ihrem Fette ihren weißen Flanell-Anzug ganz ausfüllte, dessen weite Beinkleider sich von den Hüften an wie Segel aufblähten, watschelte mit ihren fleischigen Beinen und den krummen Knien wie eine gemästete Gans. Die beiden Freundinnen folgten ihnen und die Schar der Kahnfahrer eilte ihnen die Hände zu schütteln.
Sie hatten eine kleine Laube nahe am Wasser besetzt und benahmen sich dort richtig wie zwei getrennte Menagen.
Ihre Leidenschaft war bekannt; alle Welt wusste darum. Man sprach davon wie von einer ganz natürlichen Sache, die ihnen sogar vielfach Sympathien erweckte; und ganz im Geheimen erzählte man sich seltsame Geschichten von heftigen Szenen, die aus rasender weiblicher Eifersucht entstanden waren, von heimlichen Besuchen bekannter Frauen, Schauspielerinnen, in dem kleinen Hause am Wasser.
Ein Nachbar, dem der nächtliche Lärm zu toll geworden war, hatte die Gensdarmerie in Kenntnis gesetzt und der Brigadier, begleitet von einem Manne, hatte eine Untersuchung angestellt. Es war eine delikate Mission, der er sich unterzog; im Übrigen konnte man diesen Wesen, die sich nicht der Prostitution ergaben nichts vorwerfen. Der Brigadier, sehr verlegen und mit der Natur des vermutlichen Delikts nur halb vertraut, hatte aufs Geratewohl ein Verhör angestellt, und in einem langatmigen Bericht über dasselbe die Unschuld der Betreffenden festgestellt.
Man lachte über diesen Bericht bis nach Saint-Germain. Langsam mit königlichem Schritt durchmassen die Vier das Café Froschteich. Sie schienen stolz auf ihren Ruf, glücklich über die auf sie gehefteten Blicke und erhaben über diese