Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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vom Ho­ri­zont ab­lös­te, um lang­sam sei­ne Him­mels­bahn zu wan­deln. Je wei­ter er auf­stieg, umso mehr schwand sein pur­pur­ner Schim­mer, und sein Licht wur­de gel­ber; es war ein lich­tes auf­fal­len­des Gelb. Auf der zu­rück­ge­leg­ten Bahn wa­ren die Ster­ne ver­lo­schen.

      Paul sah ihm lan­ge zu und hat­te, in sei­ner Be­trach­tung ver­lo­ren, sei­ne Ge­fähr­tin ganz ver­ges­sen. Als er sich um­sah, war sie ver­schwun­den.

      Ver­geb­lich such­te er nach ihr, in­dem er sein un­stä­tes Auge ängst­lich über alle Ti­sche schwei­fen ließ, und auch wohl die­sen oder je­nen nach ihr frag­te. Nie­mand hat­te sie in­des­sen ge­se­hen.

      So irr­te er voll quä­len­der Un­ru­he um­her, als ihm ei­ner der Kell­ner sag­te:

      »Sie su­chen Ma­da­me Ma­de­lei­ne, nicht wahr? So­eben ist sie mit Ma­da­me Pau­li­ne fort­ge­gan­gen.« Und in dem­sel­ben Au­gen­blick sah er auch am an­de­ren Ende des Café den Ma­tro­sen und die bei­den hüb­schen Mäd­chen, wel­che sich alle drei um­fasst hiel­ten und ihn flüs­ternd be­trach­te­ten.

      Er ver­stand und stürz­te wie ein Ra­sen­der auf die In­sel hin­aus.

      Zu­erst lief er auf Cha­tou zu; aber vor der Wie­se mäs­sig­te er sei­ne Schrit­te. Dann be­gann er wie traum­ver­lo­ren durch das dich­te Ge­büsch zu strei­fen, in­dem er hin und wie­der ste­hen blieb, um zu hor­chen.

      Über­all lies­sen rings­um die Un­ken ih­ren kur­z­en kla­gen­den Ruf er­schal­len.

      Von Bou­gi­val her er­tön­te der ein­för­mi­ge Ge­sang ir­gend ei­nes frem­den Vo­gels nur schwach bei der Ent­fer­nung ver­nehm­bar. Auf dem wei­ten Ra­sen ver­brei­te­te der Mond sein mil­des Licht, so­dass er wie mit Wat­te be­deckt schi­en. Die­ses Licht drang durch das Blät­ter­werk, ver­sil­ber­te das Laub der Pap­peln, und ver­gol­de­te die flüs­tern­den Wip­fel der großen Bäu­me. Die be­rau­schen­de Poe­sie die­ses Som­mer­abends pack­te Paul trotz sei­nes Sträu­bens, sie mil­der­te sei­ne tö­rich­te Furcht und trieb ihr Spiel mit sei­nem Her­zen, in­dem sie in sei­nem sanf­ten und sin­nen­den Ge­mü­te das idea­le Ver­lan­gen nach Lie­be und lei­den­schaft­li­cher Er­wi­de­rung im Bu­sen ei­ner an­ge­be­te­ten und treu­en Ge­lieb­ten bis zur Ra­se­rei stei­ger­te.

      Sei­ne wild und stür­misch her­vor­bre­chen­den Trä­nen zwan­gen ihn, ste­hen zu blei­ben.

      Als der An­fall vor­über war, ging er wei­ter. Plötz­lich durch­drang es ihn wie ein Mes­ser­stich: Man küss­te sich da hin­ten im Ge­büsch. Er lief hin, und sah ein Lie­bespär­chen, wel­ches durch sei­ne An­nä­he­rung aus ei­ner lan­gen in­ni­gen Umar­mung auf­ge­scheucht, sich schleu­nigst ent­fern­te.

      Er wag­te nicht, nach Ma­de­lei­ne zu ru­fen, denn er wuss­te nur zu gut, dass sie ihm nicht ant­wor­ten wür­de; und zu­gleich hat­te er eine schreck­li­che Angst da­vor, sie plötz­lich zu ent­de­cken.

      Die Töne der Qua­dril­le mit den schril­len Pi­ston-So­los, das falsche Ge­quie­ke der Kla­ri­net­te, die krei­schen­de Stim­me der Vio­li­ne zer­ris­sen sein Herz und stei­ger­ten sein Elend. Die wil­de lär­men­de Mu­sik klang bald stär­ker bald schwä­cher durch die Räu­me, je nach­dem ein Wind­sto­ss sie her­über­trug oder nicht.

      Plötz­lich frag­te er sich, ob »sie« viel­leicht zu­rück­ge­kehrt wäre? Ja, sie war je­den­falls zu­rück­ge­kom­men! Wa­rum soll­te sie auch nicht? Er hat­te ohne Grund den Kopf ver­lo­ren, hat­te sich ganz sinn­los von sei­nem Schre­cken fort­reis­sen las­sen, und ohne Über­le­gung ei­nem halt­lo­sen Ver­dach­te Raum ge­ge­ben.

      Und von je­ner selt­sa­men Ruhe er­grif­fen, die zu­wei­len der gröss­ten Verzweif­lung folgt, kehr­te er zum Bal­le zu­rück.

      Mit ei­nem Blick durch­flog er den Saal; sie war nicht dort. Er mach­te einen Gang um die Ti­sche und sah sich plötz­lich aufs Neue den drei Wei­bern ge­gen­über. Er moch­te je­den­falls eine sehr ver­zwei­fel­te ko­mi­sche Mie­ne ha­ben, denn alle drei bra­chen gleich­zei­tig in lau­tes La­chen aus.

      Er stürz­te da­von und be­gann wie­der­um atem­los die Ge­bü­sche der In­sel zu durch­for­schen. Dann horch­te er aufs Neue – er lausch­te lan­ge, denn sei­ne Ohren saus­ten; und schliess­lich glaub­te er et­was wei­ter ein leich­tes durch­drin­gen­des La­chen zu hö­ren, wel­ches er nur zu gut kann­te. Ganz lei­se schob er sich vor­wärts, vor­sich­tig die Zwei­ge aus­ein­an­der­bie­gend; sein Herz schlug so hef­tig, dass er kaum noch at­men konn­te.

      Zwei Stim­men mur­mel­ten Wor­te, die er noch nicht ver­ste­hen konn­te. Dann schwie­gen sie.

      Da er­griff ihn ein mäch­ti­ger Drang zu flie­hen, nichts zu se­hen und nichts zu er­fah­ren, sich für im­mer von die­ser tö­rich­ten ver­zeh­ren­den Lei­den­schaft los­zu­reis­sen. Er woll­te nach Cha­tou ge­hen, den Zug nach Pa­ris be­stei­gen und nie­mals zu ihr zu­rück­keh­ren, sie nie­mals wie­der­se­hen. Aber nun er­griff ihn wie­der die Ein­bil­dungs­kraft und er stell­te sich im Geis­te vor, wie sie am Mor­gen in ih­rem wei­chen war­men Bet­te er­wa­chend sich zärt­lich an ihn schmie­gen und ihn um­ar­men wür­de, er sah sie mit ih­ren auf­ge­lös­ten Haa­ren, ih­ren halb­ge­schlos­se­nen Au­gen und den zum ers­ten Mor­gen­kuss be­rei­ten Lip­pen. Und bei der Erin­ne­rung an die­se so oft er­leb­te Sze­ne er­griff ihn hef­ti­ger Schmerz und neu­es Ver­lan­gen.

      Er hör­te aufs Neue spre­chen und tief ge­bückt schlich er wei­ter vor. Da tön­te ein leich­ter Auf­schrei ganz dicht vor ihm un­ter den Zwei­gen her­vor. Ein Auf­schrei! Ei­ner je­ner Lie­bes­schreie, wie er sie so oft in frü­he­ren Ko­se­stun­den ver­nom­men. Im­mer wei­ter, im­mer lei­ser schlich er vor; un­wi­der­steh­lich trieb es ihn ins Ge­büsch, ohne dass er sich selbst noch Re­chen­schaft von sei­nem Han­deln gab, und … da sah er sie vor sich.

      Oh, wenn es ein Mann ge­we­sen wäre, der an­de­re da! Aber so! so! Er war wie ge­bannt von die­ser Schänd­lich­keit. Un­be­weg­lich, be­sin­nungs­los stand er da, als wenn er plötz­lich einen teu­ren Leich­nam ge­schän­det vor sich ge­se­hen hät­te, als wenn er ein un­na­tür­li­ches Ver­bre­chen, eine ent­setz­li­che him­mel­schrei­en­de Ent­wei­chung ent­deck­te.

      Da fiel ihm ganz un­will­kür­lich der klei­ne Fisch ein, des­sen Ein­ge­wei­de er hat­te her­aus­reis­sen se­hen … Aber Ma­de­lei­ne mur­mel­te ge­ra­de »Pau­li­ne!« mit dem­sel­ben lei­den­schaft­li­chen Tone wie sie sonst »Paul« zu ihm sag­te, und er wur­de von so tie­fem Schmerz er­grif­fen, dass er aus Lei­bes­kräf­ten da­von­lief.

      Er rann­te an ver­schie­de­ne Bäu­me, stürz­te über eine Wur­zel, raff­te sich wie­der auf und stand plötz­lich am Flus­se, vor dem le­ben­den Arm. Der brau­sen­de Strom bil­de­te hier große Wir­bel, in de­nen sich das tan­zen­de Licht des Mon­des spie­gel­te. Das hohe Ufer über­rag­te an die­ser Stel­le das Was­ser wie eine Mau­er; ein dunk­ler Strei­fen un­ter­halb

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