Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Sein herzzerreissender Ruf drang durch die schweigende Nacht weit hinaus.
Dann sprang er mit einem mächtigen Satz, wie sinnlos, in den Fluss. Das Wasser sprühte hoch auf, dann schloss es sich wieder und an der Stelle, wo er verschwunden war, bildete sich eine Anzahl kleiner Kreise, die ihre schimmernden Umrisse allmählich bis zum anderen Ufer ausdehnten.
Die beiden Mädchen hatten den Schrei vernommen. »Das ist Paul«, sagte Madeleine aufspringend, Ein Verdacht stieg in ihr auf. »Er hat sich ertränkt«, fuhr sie fort. Sie sprang nach dem Flusse, wohin ihr die dicke Pauline folgte.
Ein großer von zwei Männern besetzter Kahn fuhr auf dem Wasser hin und her. Der eine von ihnen führte die Ruder, während der andere eine lange Stange ins Wasser senkte, als suche er dort etwas.
»Was machen Sie da?« schrie Pauline. »Was gibt’s?«
»Ein Mann ist ins Wasser gesprungen«, rief eine fremde Stimme zurück.
Ängstlich folgten die beiden Mädchen dicht aneinander gedrückt, den Bewegungen des Kahnes. Von weitem hörte man immer noch die Musik aus dem »Froschteich« die im Takte die Bewegungen der düstren Fischer zu begleiten schien; lauter murmelte der Fluss, als wolle er die Freude verkünden, ein neues Opfer zu bergen.
Das Suchen dauerte eine Ewigkeit; Madeleine zitterte in banger Erwartung. Endlich nach Verlauf von mindestens einer halben Stunde rief einer der Männer: »Ich hab’ ihn.« Und langsam, ganz langsam zog er seine lange Hakenstange in die Höhe. Eine dunkle schwere Masse erschien an der Oberfläche; der zweite Schiffer ließ die Ruder sinken und alle beide zogen keuchend unter dem leblosen Gewicht, dieselbe mit vereinten Kräften in ihr Boot.
Dann fuhren sie an Land und suchten einen hellen tiefer liegenden Landungsplatz. In dem Augenblick als sie ausstiegen, kamen auch die beiden Mädchen herbei.
Als Madeleine ihn erblickte, wich sie schaudernd zurück. In dem fahlen Mondlicht schien er bereits grün, denn seine Augen, Nase, Mund und Kleider trieften schon von Schlamm. Seine krampfhaft verkrallten Hände waren schrecklich anzusehen. Alles an ihm war mit einer Art grünlichschwarzer Feuchtigkeit getränkt. Das Gesicht war aufgequollen und von seinen straff herabhängenden Haaren lief unaufhörlich ein Rinnsal schmutzigen Wassers herunter.
Die beiden Männer beschauten ihn aufmerksam. »Kennst Du ihn?« fragte der eine.
»Ja, ich dächte, dass ich dieses Gesicht schon gesehen hätte«; sagte bedächtig der andere, der Fährmann von Croissy. »Aber Du weißt schon, wie das ist; man erkennt sie so schwer.«
»Aber es ist ja Herr Paul!« rief er dann plötzlich.
»Wer ist das, Herr Paul?« fragte sein Gefährte.
»Aber Herr Paul Baron, der Sohn des Senators, der Kleine, der immer so verliebt war.«
»Na, der hat nun aufgehört, zu girren«, äusserte der andere philosophisch. »Schade trotzdem, zumal wenn man reich ist.«
Madeleine war niedergesunken und schluchzte laut. Pauline näherte sich dem leblosen Körper und fragte:
»Ist er sicher tot? Ganz sicher?«
»Oh, ganz gewiss, nach so langer Zeit,« sagten beide Männer achselzuckend.
»Er wohnte bei Grillons, nicht wahr?« fragte der eine von ihnen.
»Ja,« antwortete der andere, »dort müssen wir ihn hinschaffen, das wird eine schöne Überraschung geben!«
Sie bestiegen ihr Schiff und fuhren infolge der heftigen Strömung nur langsam vorwärts; lange Zeit, als man von dem Platze, wo die beiden Mädchen stehen geblieben waren, sie schon nicht mehr sehen konnte, hörte man immer noch ihre taktmässigen Ruderschläge im Wasser.
Dann nahm Pauline die arme Madeleine, die ganz aufgelöst war, in ihre Arme, streichelte ihre Wangen und küsste sie innig.
»Was willst Du noch weiter?« tröstete sie dieselbe. »Es war doch nicht Deine Schuld, nicht wahr? Man kann doch die Menschen nicht mit Gewalt an ihren Torheiten hindern. Er hat es nicht anders gewollt; umso schlimmer also für ihn!«
Dann hob sie die Weinende auf und redete ihr zu: »Komm mit nach Hause, Schatz, und schlaf bei uns; Du kannst zu Grillons heute Abend unmöglich zurückkehren.«
»Wir werden Dich schon zu trösten wissen,« schloss Pauline mit einem langen zärtlichen Kusse.
Madeleine erhob sich, und ihr lautes Schluchzen erstarb allmählich in stillen sanften Tränen. Sie legte den Kopf auf Paulinens Schulter, als habe sie hier eine viel innigere, sichere, vertrautere und vertrauendere Liebe gefunden und entfernte sich langsam mit dieser von der grausigen Stätte.
*
Eine Landpartie
Schon seit fünf Monaten hatte man sich mit dem Plane herumgetragen, am Namenstage der Madame Dufour, die Petronella hiess, in der Umgebung von Paris das Dejeuner einzunehmen. So hatte sich denn bei der Ungeduld, mit der man dieser Partie entgegensah, an diesem Morgen alles bei Zeiten erhoben.
Madame Dufour, welche zu diesem Zwecke ihren Milchwagen hergegeben hatte, kutschierte selbst. Das zweiräderige Gefährt war sehr reinlich gehalten; es besass ein Dach, von vier Eisenstäben getragen, an denen Vorhänge befestigt waren, die man heute zurückgeschoben hatte, um die Gegend besser geniessen zu können. Nur der Vorhang an der Rückseite flatterte wie eine Fahne im Winde. Die Hausfrau strahlte neben ihrem Manne in einer auffallenden kirschroten Seiden-Toilette. Hinter ihnen sassen auf zwei Stühlen die alte Großmutter und ein junges Mädchen. Ausserdem