Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
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Читать онлайн книгу Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant страница 247
Plötzlich schwieg die Nachtigall. Von fern rief eine Stimme »Henriette.«
»Antworten Sie nicht,« flüsterte er »sonst verscheuchen Sie den Vogel.«
Es fiel ihr nicht ein, dem Rufe zu antworten. So blieben sie eine Weile ganz still. Madame Dufour musste sich irgendwo hingesetzt haben; von Zeit zu Zeit hörte man dunkel einen leisen Schrei, den die dicke Frau ohne Zweifel infolge zu großer Zudringlichkeit ihres Begleiters ausstiess.
Das junge Mädchen weinte immer noch in dem unklaren Drange ihrer Gefühle und von der natürlichen Sinnlichkeit gekitzelt, die dieser Ort und ihre Lage erwecken musste. Henri’s Haupt ruhte auf ihrer Schulter und plötzlich küsste er stürmisch ihre Lippen. Einen Augenblick fühlte sie instinktmässig den Drang der Abwehr und beugte sich hintenüber; aber ihre Lage war nun noch ungünstiger. Henri wusste seinen Vorteil daraus zu ziehen und presste seine Lippen, so sehr sie sich auch sträubte, mit sanfter Gewalt auf die ihrigen. Eine wahnsinnige Liebesglut durchdrang ihren ganzen Körper, sie zog Henri stürmisch an sich, gab ihm seine Küsse doppelt zurück und ihr letzter Widerstand entfloh in einem tiefen langatmigen Seufzer.
Ringsum war alles still; der Vogel hob wieder an zu singen. Erst schmetterte er drei Töne in die Luft, die wie ein Jubelton der Liebe klangen, dann begann er nach einer kurzen Pause mit schmelzender Stimme seine zarten Melodien.
Durch die Blätter ging das leise Flüstern eines Windhauches und aus dem Gebüsch drangen zwei tiefe Seufzer, die sich mit dem Gesang der Nachtigall und dem sanften Rauschen des Laubes verschmolzen.
Der Vogel schien jetzt liebestrunken zu werden; sein Gesang wurde immer schwellender wie eine zunehmende Feuersbrunst, und die Leidenschaft, die aus ihm herausklang, fand ihr Echo in den stürmischen Küssen, die im Gebüsche unter ihm ausgetauscht wurden. Schliesslich tobte er ordentlich in den schmelzendsten Tönen seiner Kehle; er schien von Liebesohnmacht, von melodischen Krämpfen befallen.
Hin und wieder ruhte er etwas aus, indem er nur zwei oder drei leise Töne von sich gab, die mit einem schrillen Laut abbrachen. Oder er nahm auch einen tollen Anlauf mit schmatzenden Tönen, mit eigentümlichen Kadenzen, die wie rasender Liebesgesang klangen, und denen dann plötzlich einige laute Triumphrufe folgten.
Nun aber schwieg er, denn er vernahm unter sich ein Seufzen, so tief und schmerzlich, dass es wie das Abschiednehmen einer Seele klang; immer anhaltender stiegen diese Seufzer zu dem lauschenden Vogel empor, bis sie sich schliesslich in ein krampfhaftes Schluchzen verwandelten.
*
Sie waren beide sehr bleich, als sie ihre grüne Ruhestätte verliessen. Der blaue Himmel schien ihnen bewölkt, das grelle Licht der Sonne verdunkelt; sie empfanden eine Art Grauen bei der Stille und Einsamkeit, die ringsum herrschte. Flüchtigen Schrittes eilten sie nebeneinander fort, ohne zu sprechen, ohne sich aneinander zu schmiegen; sie schienen vielmehr unversöhnliche Feinde geworden zu sein. Es war, als ob bei ihnen ein gegenseitiger körperlicher Ekel und geistiger Widerwille entstanden wäre.
»Mama, Mama!« rief Henriette von Zeit zu Zeit. Unter einem Gebüsch entstand eine Bewegung; Henri glaubte einen weißen Rock zu bemerken, der hastig über ein rundes Bein herabgestreift wurde. Bald darauf zeigte sich auf der anderen Seite die dicke Dame, noch etwas rot und verlegen, während ihre Augen glänzten und ihre Brust wogte; sie hielt sich auffallend nah an ihren Begleiter. Dieser schien wunderbare Dinge erlebt zu haben, denn über sein Antlitz zuckte es fortwährend wie von mühsam unterdrücktem Lachen.
Madame Dufour hatte mit zärtlicher Gebärde seinen Arm genommen und so ging man zu den Booten zurück; Henri mit seiner jungen Gefährtin voraus, die stumm neben ihm herschritt. Während des Gehens glaubte Henri plötzlich hinter sich das Geräusch eines schmatzenden Kusses zu vernehmen.
Man kam schliesslich wieder in Bezons an, wo Herr Dufour, ziemlich ernüchtert, sich bereits zu langweilen begann. Der junge Mensch mit dem Flachshaar nahm gerade noch einen Imbiss in der Wirtschaft. Der Wagen stand bereits angespannt im Hofe, und die Großmutter, die schon aufgestiegen war, äusserte lebhaft ihre Furcht davor, bei der Unsicherheit der Pariser Umgebung unterwegs von der Dunkelheit überrascht zu werden.
Man schüttelte sich die Hände und die Familie Dufour fuhr ab.
»Auf Wiedersehn!« riefen die beiden Bootsleute. Ein Seufzer und eine Träne bildeten die Antwort.
*
Zwei Monate später, als Henri zufällig durch die Rue des Martyrs kam, las er über einer Türe: »Dufour, Krämer.«
Er trat ein.
Die dicke Dame sass hinter dem Ladentisch. Sie erkannte ihn sofort wieder und Henri bemühte sich, ihr allerlei Liebenswürdigkeiten zu sagen.
»Und Fräulein Henriette, wie geht es ihr?« fragte er dann.
»Danke, sehr gut, sie ist verheiratet.«
»Ah! …«
»Und mit wem?« fuhr er fort, mühsam seine Bewegung unterdrückend.
»Nun, mit dem jungen Mann, wissen Sie, der uns damals begleitete; er übernimmt später das Geschäft.«
»Ah, jetzt verstehe ich.«
Als er fortging fühlte er unwillkürlich eine gewisse Traurigkeit. Madame Dufour rief ihn zurück.
»Wie geht es Ihrem Freunde?« fragte sie.
»Danke, recht gut.«
»Grüssen Sie ihn von uns; aber nicht vergessen! Und er möchte uns