Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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Herr! mein lie­ber Herr!« sag­te er »wenn ich be­mer­ke, dass ein Mann sich in eine ihm frem­de Ge­fahr stür­zen woll­te, soll­te ich ihn dann um­kom­men las­sen? Ich bit­te Sie, hö­ren Sie mei­ne ei­ge­ne Ge­schich­te, und Sie wer­den be­grei­fen, warum ich so zu Ih­nen zu spre­chen wage.«

      »Es war vo­ri­ges Jah­res zur näm­li­chen Zeit. Ich muss­te Ih­nen zu­nächst sa­gen, dass ich Be­am­ter im Ma­ri­ne-Mi­nis­te­ri­um bin, wo un­se­re Chefs die Kom­missa­re, al­len Erns­tes ihre Stel­lung so auf­fas­sen, dass sie uns als Last­tie­re be­han­deln. – Ja, wenn alle Chefs aus dem Zi­vil­stan­de wä­ren. – Doch wei­ter: Ich konn­te von mei­nem Büro aus einen klei­nen Strei­fen des blau­en Him­mels wahr­neh­men, und es pack­te mich die Lust, mit­ten un­ter mei­nen stau­bi­gen Ak­ten­bün­del um­her­zu­tan­zen.

      Mein Wunsch nach Frei­heit wuchs der­ar­tig, dass ich, trotz al­ler Scheu, es schliess­lich wag­te, mei­nen Chef auf­zu­su­chen. Es war ein klei­ner Ty­rann, der aus dem Jäh­zorn nicht her­aus­kam. Ich mel­de­te mich krank. Er sah mir ins Ge­sicht und schrie:

      »Ich glau­be nichts der­glei­chen, mein Herr! Nun gut, ge­hen Sie! Aber den­ken Sie, dass ein Büro mit ähn­li­chen Leu­ten, wie Sie, be­ste­hen kann?«

      Ich ging in­des­sen und be­gab mich an die Sei­ne. Es war ein Wet­ter wie heu­te und be­nutz­te eben­falls die »Mou­che,« um eine Fahrt nach Saint-Cloud zu ma­chen.

      Ach, mein Herr! hät­te der Chef mir doch den Ur­laub ab­ge­schla­gen!

      Es war mir zu Mute, als leb­te ich un­ter der Son­ne neu auf. Ich be­gann al­les zu lie­ben, das Schiff, den Fluss, die Bäu­me, die Häu­ser, mei­ne Nach­barn, al­les! Ich muss­te ir­gen­det­was küs­sen, was es auch sein moch­te. Das war die Lie­be, die ihre Sch­lin­gen aus­brei­te­te.

      Beim Tro­ca­de­ro stieg plötz­lich ein jun­ges Mäd­chen mit ei­nem klei­nen Packet in der Hand, auf und setz­te sich mir ge­gen­über.

      Sie war hübsch, ja mein Herr! sie war sehr hübsch. Aber es ist merk­wür­dig wie viel bes­ser ei­nem die Wei­ber im Früh­ling ge­fal­len, wenn das Wet­ter hübsch ist. Sie ha­ben dann et­was Be­son­de­res, einen Reiz ganz ei­ge­ner Art. Es ist das un­ge­fähr, wie wenn man auf ein Stück Käse einen Schluck gu­ten Wein trinkt.

      Ich sah sie an und sie schau­te mich an – aber nur von Zeit zu Zeit, ganz wie ihre da. Nach­dem wir uns so eine Wei­le ge­gen­sei­tig be­trach­tet hat­ten, dach­te ich, wir kenn­ten uns nun hin­rei­chend, um ein Ge­spräch an­zu­knüp­fen, und ich be­gann die Un­ter­hal­tung, sie ant­wor­te­te. Von Mi­nu­te zu Mi­nu­te wur­de sie ge­sprä­chi­ger, und ich für mei­nen Teil wur­de ein­fach wie ein Trun­ke­ner; das kann ich Ih­nen ver­si­chern, mein Herr!

      In Saint-Cloud, wo sie eine Be­stel­lung ab­zu­lie­fern hat­te, stieg sie aus – ich na­tür­lich mit ihr. Als sie wie­der­kam, fuhr das Dampf­schiff ge­ra­de ab. Ich ging ne­ben ihr her und wir so­gen bei­de mit Be­ha­gen die fri­sche, wür­zi­ge Früh­lings­luft ein.

      »Ich glau­be, im Wal­de wür­de es herr­lich sein,« sag­te ich.

      »Ach ja!« ant­wor­te­te sie.

      »Hät­ten Sie nicht Lust einen Spa­zier­gang dort­hin zu ma­chen, Fräu­lein?«

      Sie streif­te mich von un­ten her mit ei­nem ra­schen Blick, als woll­te sie sich über mei­ne Ab­sich­ten ver­ge­wis­sern; dann wil­lig­te sie nach kur­z­em Zö­gern ein. Bald be­fan­den wir uns un­ter den grü­nen­den Bäu­men. Noch lag hier und dort das fah­le Laub des ver­gan­ge­nen Herbs­tes auf dem Bo­den, aber un­ter ihm spross­te duf­ti­ges Grün her­vor, strah­lend im zit­tern­den Son­nen­lich­te, be­lebt von un­zäh­li­gen klei­nen und großen We­sen, die sich im Rau­sche er­wa­chen­der Früh­lings­lust tum­mel­ten, wäh­rend der viel­stim­mi­ge Ge­sang der Vö­gel die Luft er­füll­te. Da be­gann mei­ne Ge­fähr­tin, von Früh­lings­duft und Wald­wür­ze be­rauscht, in lus­ti­gen Sprün­gen da­von­zu­lau­fen, und ich folg­te ihr scher­zend in­dem ich eben­falls aus­ge­las­se­ne Sprün­ge mach­te. Man wird zu­wei­len wie­der zum Kin­de, mein Herr!

      Hier­auf stimm­te sie über­mü­tig ein Lied­chen an, Opern-Me­lo­di­en, den Ge­sang der Mu­set­te! Wie poe­tisch klang es mir da­mals! … Ich wein­te fast. Alle die­se Scher­ze mach­ten mich ganz toll da­mals. Neh­men Sie nie­mals eine Frau, die auf ei­ner Land­par­tie singt, zu­mal wenn sie das Lied der Mu­set­te singt.

      Bald wur­de mei­ne Ge­fähr­tin müde und setz­te sich auf einen grü­nen Hü­gel. Ich ließ mich zu ih­ren Füs­sen nie­der und fass­te ihre Hän­de, die­se nied­li­chen klei­nen Hän­de, die von Na­del­sti­chen über­sä­et wa­ren und de­ren An­blick mich ganz zärt­lich stimm­te. »Das sind die hei­li­gen Nar­ben der Ar­beit,« sag­te ich bei mir. Ach, mein Herr! mein gu­ter Herr! wis­sen Sie, was das be­deu­tet, die hei­li­gen Nar­ben der Ar­beit? Das be­deu­tet das gan­ze Ge­klat­sche des Ar­beits­saa­l­es, die ge­flüs­ter­ten heim­li­chen Zwei­deu­tig­kei­ten, die Be­fle­ckung der See­le durch all die schmut­zi­gen Ge­schich­ten, die Un­ter­gra­bung der Keusch­heit, die gan­ze Ge­mein­heit je­nes Ge­schwät­zes, das gan­ze Elend des täg­li­chen Le­bens, die gan­ze Be­schränkt­heit des weib­li­chen Ide­en­gan­ges, die auf je­nen las­tet, wel­che an den Fin­ger­spit­zen die hei­li­gen Nar­ben der Ar­beit tra­gen.

      Dann sa­hen wir uns lan­ge in die Au­gen. Ach, die­ses Auge des Wei­bes! Wel­che Macht liegt doch in ihm! Wie be­tört, wie reizt, wie un­ter­jocht und be­herrscht es! Wie tief, wie un­er­gründ­lich er­scheint es, wie so vol­ler Ver­spre­chen. Man nennt das: Auf dem Grund der See­le le­sen! Ach, mein Herr! Welch ein Blöd­sinn! Könn­te man dem Wei­be in die See­le schau­en, man wäre wahr­haf­tig ver­nünf­ti­ger.

      Sch­liess­lich war ich ganz in ih­ren Ban­den, ich war när­risch und woll­te sie in mei­ne Arme schlies­sen. »Hän­de weg!« war ihre Ant­wort.

      Ich knie­te vor ihr nie­der und schüt­te­te ihr mein Herz aus; ich flüs­ter­te in ih­ren Schoss alle Zärt­lich­kei­ten, die ich emp­fand. Sie schi­en über den Wech­sel mei­nes Be­neh­mens sehr er­staunt und sah mich mit ei­nem ver­steck­ten Blick an, als sprä­che sie zu sich selbst:

      »Aha! so muss man mit Dir spie­len, mein Bes­ter! Schön, wir wer­den ja se­hen.«

      Sie wäre mein ge­we­sen, ohne Zwei­fel; ich habe spä­ter mei­ne Tor­heit ein­ge­se­hen; aber was ich da­mals such­te, war nicht sinn­li­cher Ge­nuss, son­dern et­was Idea­le­res: Mich ver­lang­te nach Zärt­lich­keit. Ich war sen­ti­men­tal, statt mei­ne Zeit auf et­was Bes­se­res zu ver­wen­den.

      Als sie an mei­nen Lie­bes­be­teue­run­gen ge­nug hat­te, er­hob sie sich, und wir be­ga­ben uns nach Saint-Cloud zu­rück; erst in Pa­ris trenn­ten wir uns. Seit­dem wir uns auf dem Heim­we­ge be­fan­den, hat­te sie eine so trau­ri­ge Mie­ne, dass ich nicht um­hin konn­te, sie um die Ur­sa­che zu be­fra­gen.

      »Ich den­ke dar­an,« ant­wor­te­te sie »dass es nicht vie­le Tage im Le­ben gibt, so schön wie die­ser.«

      Mein

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