Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant Gesammelte Werke bei Null Papier

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wie­der so deut­lich und be­geh­rens­wert vor die See­le, dass er, wie von ei­ner dunklen Ah­nung ge­trie­ben, al­lein nach dem al­ten Ver­steck im Ge­hölz ru­der­te.

      Er prall­te beim Ein­tritt er­staunt zu­rück. Sie war da, sie sass mit trau­ri­ger Mie­ne im Gra­se, wäh­rend ne­ben ihr nur in Hemds­är­meln ihr Gat­te, je­ner jun­ge Mann mit dem Flachs­haar, schlief und wie ein Maulesel schnarch­te.

      Als sie Hen­ri er­blick­te, wur­de sie krei­de­bleich, so­dass er glaub­te, sie wür­de ohn­mäch­tig. Dann be­gan­nen sie ganz harm­los mit­ein­an­der zu plau­dern, als sei nie­mals et­was zwi­schen ih­nen bei­den vor­ge­fal­len.

      Als er ihr aber er­zähl­te, wie lieb ihm die­ses Plätz­chen sei, und dass er Sonn­tags oft hier­her käme, um an süs­sen Erin­ne­run­gen zu zeh­ren, sah sie ihm lan­ge und tief in die Au­gen.

      »Es ver­geht kei­ne Nacht, wo ich nicht dar­an den­ke« sag­te sie.

      »Komm, Lie­be,« sag­te ihr Mann mun­ter wer­dend, »es ist Zeit, glau­be ich, nach Hau­se zu ge­hen.«

      *

      Wenn die ers­ten schö­nen Tage er­schei­nen, wo die er­wa­chen­de Erde sich in neu­es Grün klei­det, wo blu­mi­ge Düf­te un­se­re Sin­ne um­schmei­cheln und uns so­zu­sa­gen bis zum Her­zen drin­gen, dann er­greift uns ein dunkles Seh­nen nach un­nenn­ba­rem Glücke, ein Ver­lan­gen, hin­aus­zu­stür­men aufs ge­ra­de Wohl, und Aben­teu­er zu su­chen, mit ei­nem Wort: Früh­lings­luft zu schlür­fen.

      Nach­dem der har­te Win­ter des ver­flos­se­nen Jah­res ver­flo­gen, er­griff mich ei­nes Ta­ges im Mai die­ses Seh­nen nach Won­ne und Be­ha­gen, wie ein trun­ke­ner Tau­mel, wie das Über­quel­len ei­nes gä­ren­den Saf­tes.

      Als ich am Mor­gen er­wacht war, sah ich durch mein Fens­ter, wie über den Dä­chern der Nach­bar­häu­ser den blau­en Him­mel im Glan­ze des Son­nen­lich­tes lach­te. Die Ka­na­ri­en­vö­gel auf dem Fens­ter­brett tril­ler­ten ihr Lied­chen, in al­len Stu­ben und Kam­mern san­gen die Dienst­mäd­chen, ein fröh­li­ches Ge­wim­mel drang von der Stras­se her zu mir her­auf, und ich ging hin­aus, ohne ein be­stimm­tes Ziel, fest­li­che Stim­mung im Her­zen.

      Über­all, wo­hin das Auge blick­te, traf man ver­gnüg­te Ge­sich­ter; ein Hauch in­ne­rer Glück­se­lig­keit weh­te in dem war­men Schim­mer des wie­der­keh­ren­den Früh­lings. Man hät­te glau­ben sol­len, eine Wol­ke von ent­fes­sel­ter Lie­be sei über der Stadt ge­la­gert; und die jun­gen Mäd­chen, wel­che zier­li­chen Schrit­tes in ih­ren Mor­gen­ko­stü­men an mir vor­über­schrit­ten und in de­ren Au­gen ver­bor­ge­ne Lie­bes­glut schim­mer­te, setz­ten mein Herz ganz in Flam­men.

      Ohne recht zu wis­sen, wie und warum, war ich schliess­lich an’s Ufer der Sei­ne ge­langt. Dampf­boo­te glit­ten auf der Fahrt nach Su­res­nes vor­über und ihr An­blick er­weck­te plötz­lich in mir das un­wi­der­steh­li­che Ver­lan­gen, mich ein­mal nach Her­zens­lust im Wal­de zu er­ge­hen.

      Das Ver­deck der »Mou­che« wim­mel­te von Pas­sa­gie­ren; denn der ers­te Son­nen­strahl lockt einen un­wei­ger­lich aus dem Hau­se und al­les, was Le­ben hat, flu­tet heu­te auf den Dampf­schif­fen ab und zu un­ter be­hag­li­chem Ge­plau­der mit dem Nach­barn oder der Nach­ba­rin.

      Ich hat­te eine Nach­ba­rin, eine klei­ne Ar­bei­te­rin ohne Zwei­fel, ganz mit dem ech­ten Pa­ri­ser Chik; ihr nied­li­ches Köpf­chen wies eine Fül­le von blon­dem an den Schlä­fen ge­lock­ten Haar auf. Die­se Haa­re, die wie fri­sier­tes Licht aus­sa­hen, fie­len über die Ohren auf den Na­cken her­ab, und tanz­ten im Win­de; wei­ter un­ten wur­den sie so fein wie ein Flaum, so leicht, so blond, dass man sie kaum noch sah. Aber zu­gleich spür­te man ein un­be­zwing­li­ches Ver­lan­gen eine Flut von Küs­sen dar­auf zu pres­sen.

      Un­ter mei­nem bren­nen­den Bli­cke wand­te sie mir un­be­wusst ihr Ge­sicht zu, senk­te aber so­fort ihre Au­gen, wäh­rend um ihre Mund­win­kel sich eine leich­te Fal­te, wie ein hal­b­ent­ste­hen­des Lä­cheln, leg­te. Da­bei ent­deck­te ich auch auf ih­rer Ober­lip­pe die­sen duf­ti­gen wei­chen Flaum, den das Son­nen­licht ein we­nig ver­gol­de­te.

      Ru­hig und schwer wälz­te sich der Strom da­hin. Ein war­mer Frie­den lag in der Luft und stil­le Le­bens­lust zit­ter­te durch die At­mo­sphä­re. Mei­ne Nach­ba­rin schlug die Au­gen wie­der auf und die­ses­mal, als ich sie wie­der be­harr­lich an­starr­te, lä­chel­te sie ganz ent­schie­den. Sie sah rei­zend aus bei die­sem Au­gen­auf­schlag, und in ih­rem flüch­ti­gen Bli­cke ent­deck­te ich tau­send bis da­hin mir frem­de Din­ge. Ich sah dort un­be­kann­te Tie­fen, den gan­zen Reiz der Lie­be, die gan­ze Poe­sie un­se­rer Träu­me, das gan­ze Glück, nach dem wir un­auf­hör­lich su­chen. Ich fühl­te ein un­sin­ni­ges Ver­lan­gen die Arme zu öff­nen, sie ir­gend­wo­hin zu ent­füh­ren, um ihr die süs­sen Töne der Lie­be ins Ohr zu flüs­tern.

      Im Be­griff den Mund zu öff­nen und sie an­zu­re­den, fühl­te ich plötz­lich einen leich­ten Schlag auf mei­ne Schul­ter. Über­rascht und un­wil­lig sah ich auf und be­merk­te vor mir einen Mann von ge­wöhn­li­chem Aus­se­hen, we­der jung noch alt, der mich mit me­lan­cho­li­schem Blick be­trach­te­te.

      »Ich möch­te ih­nen et­was sa­gen,« be­merk­te er.

      »Es ist sehr wich­tig,« füg­te er hin­zu, da er mir die Un­ge­duld am Ge­sich­te ab­le­sen moch­te.

      Ich stand auf und folg­te ihm an’s an­de­re Ende des Schif­fes.

      »Mein Herr!« be­gann er wie­der, »wenn der Win­ter mit sei­nen Frös­ten, mit Re­gen und Schnee, sich naht, so sagt Ih­nen täg­lich der Arzt: »Hal­ten Sie sich die Füs­se recht warm; hü­ten Sie sich vor Er­käl­tun­gen, vor Schnup­fen, Hus­ten und Lun­gen­ent­zün­dung.« Nun gut; Sie tref­fen al­ler­hand Vor­sichts­mass­re­geln, Sie tra­gen Fla­nell, di­cke Über­zie­her, war­me Schu­he und an­de­res mehr; aber trotz­dem brin­gen Sie min­des­tens zwei Mo­na­te der Zeit im Bet­te zu. Aber wenn der Früh­ling mit neu­en Blü­ten und Blät­tern, mit sei­nen war­men und wei­chen Win­den, mit je­nem Duft der wie­der­er­wa­chen­den Na­tur sich naht, der Ihr Herz in Flam­men setzt und sie ohne eine be­stimm­te Ur­sa­che zu zärt­li­chen Re­gun­gen treibt, dann sagt Ih­nen nie­mand: »Freund, hüte Dich vor der Lie­be! Sie lau­ert über­all ver­bor­gen, sie hockt in al­len Win­keln. Alle ihre Pfei­le sind ge­spitzt, ihre Waf­fen ge­schärft, ihre List be­reit. Hüte Dich vor der Lie­be! … Ja hüte Dich vor ihr! Sie ist ge­fähr­li­cher als Schnup­fen, Hus­ten oder Rheu­ma­tis­mus! Sie kennt kein Er­bar­men und treibt Dich zu den gröss­ten und un­wi­der­ruf­lichs­ten Toll­hei­ten.« Ja, mein Herr, ich sage, die Re­gie­rung soll­te je­des Jahr in großen Let­tern die Wor­te an­schla­gen las­sen: »Ach­tung vor dem Früh­ling! Bür­ger Frank­reichs! Hü­tet Euch vor der Lie­be!« eben­so gut wie man an die Hau­stü­ren schreibt: »Ach­tung! Frisch an­ge­stri­chen!« Da nun die Re­gie­rung so et­was nicht macht, so tre­te ich an ihre Stel­le und sage Ih­nen: »Hü­ten Sie sich vor der Lie­be! sie ist

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