Zucker im Tank. Andreas Zwengel
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Auf der gegenüberliegenden Straßenseite waren einige Leute stehen geblieben und sahen interessiert zu. Der Löschwagen rollte mit Blaulicht aus der Garage. Ziegler wartete, bis er sich auf seiner Höhe befand, dann sprang er auf das Trittbrett und schwang sich lässig auf den Beifahrersitz. Trotz seiner zweiundfünfzig Jahre befand er sich in bester körperlicher Verfassung und achtete peinlichst genau darauf, immer noch mit seinen Schützlingen mithalten zu können. So lange, bis der Beste unter ihnen bereit war, seinen Posten zu übernehmen.
Der Wagen bog auf die Hauptstraße und ließ seine Sirene heulen. Ältere Menschen nickten ihnen vertrauensvoll zu, die Kinder sahen mit großen Augen und offenen Mündern zu. Vertrauen und Ehrfurcht waren für Ziegler der größte Lohn für seine Arbeit. Die Einwohner von Ginsberg verließen sich darauf, dass er seine Arbeit schnell, zuverlässig und gründlich erledigte, und Ziegler war nicht gewillt, sie zu enttäuschen.
In knappen Worten gab er seinen Jungs erste Instruktionen und informierte sie über den Einsatz: Ein alter Schuppen außerhalb des Dorfes war in Flammen aufgegangen. Der klapprige Holzbau war seit Jahrzehnten ungenutzt, die Besitzer längst verstorben. Es wäre kein Verlust, ihn einfach abbrennen zu lassen. Schon seit Langem hatte sich Ziegler bemüht, ihn zu Übungszwecken benutzen zu dürfen. Bisher war sein Wunsch immer abgelehnt worden, weil die Eigentumsverhältnisse noch ungeklärt seien. Was für ein Quatsch! Trotzdem hatte sich Bürgermeister Garth hartnäckig geweigert, ihm die Erlaubnis zu geben. Ziegler besaß vollstes Verständnis für das Einhalten von Vorschriften, denn alles andere musste unweigerlich ins Chaos führen, aber er war auch der Ansicht, dass man nicht jede Angelegenheit über den gleichen Kamm scheren konnte. Wie auch immer, jetzt bekam Ziegler seinen Übungsplatz, wenn auch auf andere Weise.
Sobald der Löschwagen den Ortsausgang passiert hatte, sahen sie die Feuerstelle. Der Schuppen stand einsam auf der weiten, ebenen Fläche zwischen der Lahn auf der einen Seite und der einzigen Straße nach Ginsberg auf der anderen. Bisher hatten die Flammen nur die Wände erfasst und noch nicht auf das Dach übergegriffen, aber das alte Holz brannte wie Papier. Der Fahrer lenkte den Löschzug auf den Feldweg, der bis an den Schuppen heranführte. Kaum war ihr Fahrzeug zum Stehen gekommen, sprangen Zieglers Jungs heraus und taten das, was sie über viele Jahre hinweg gelernt und trainiert hatten. Das hieß, den Brandherd lokalisieren, die Lage einschätzen und das Ausmaß des bisherigen Schadens feststellen. Selbst wenn es sich nur um eine Lappalie wie diese Bruchbude handelte, wollte er nicht, dass einer seiner Jungs ein Risiko einging. Ziegler hasste Draufgänger, die sich und andere in Gefahr brachten, und jeder in seiner Mannschaft wusste das.
Die Schläuche waren im Handumdrehen verlegt, der Tank des Löschwagens würde für diesen Brand vollkommen ausreichen. Ziegler sah zu, wie seine Jungs die Schläuche schwenkten, um das Wasser gleichmäßig über die ganze Fläche der jeweiligen Wand zu verteilen. Er gab Anweisung, den Druck zu verringern, damit sie den Schuppen nicht umbliesen. Die ganze Aktion lief ab wie ein perfekt choreografiertes Ballett.
Schnell befand sich das Feuer unter Kontrolle. Da das Dach noch eine Weile halten würde, wies Ziegler zwei seiner Jungs an, dichter heranzugehen und sich umzusehen. Das Feuer war an allen vier Wänden gleichzeitig ausgebrochen, was auf Brandstiftung schließen ließ. Es wäre nicht das erste Mal, dass man einen Benzinkanister direkt neben dem Brandherd fand. Ziegler hatte für diese Erkundung Jan Kernstein und Finn Schneider ausgewählt. Beides ausgezeichnete Fußballer und Sprinter, die im Ernstfall schnell die Beine in die Hand nehmen konnten. Sie näherten sich von der Seite, stießen die Tür mit einer Axt auf und verschwanden im Innern des Schuppens. Ziegler war keine Sekunde beunruhigt. Erstens gehörten die beiden zu den Erfahrensten seiner Truppe und zweitens war das Betreten des Schuppens ein kalkulierbares Risiko. Jedenfalls dachte er das so lange, bis plötzlich ein lautes Krachen aus dem Schuppen drang und eine dichte Rauchwolke durch die Tür schoss.
“Was ist da los?“, brüllte Ziegler zu Jens Amsel, der dem Geschehen am nächsten stand.
“Der Boden ist eingekracht!“
“Was für ein Boden? Seit wann hat so ein Schuppen einen Keller?“
“Der hier hat einen.“
Ziegler gab dem Löschkommando ein Zeichen. Sie ließen ihre Schläuche fallen, um ihren Freunden zur Hilfe zu eilen. Andere rückten nach und besetzten die Schläuche neu, obwohl das Feuer so gut wie gelöscht war. Die Rauchentwicklung wurde währenddessen immer stärker und Ziegler verlor seine Jungs zeitweise völlig aus den Augen. Was zum Teufel brannte da bloß noch? Das Ding sollte eigentlich leer sein, sonst hätte er sie niemals ohne Atemschutzgeräte hineingeschickt. Er machte sich keine Vorwürfe, denn hier geschah etwas völlig Unvorhersehbares, für das ihn niemand der Nachlässigkeit beschuldigen konnte. Der einzige Gedanke, der ihn wirklich beschäftigte, war die Sorge um seine Jungs.
Er gab dem Rest der Mannschaft Anweisung, die Schutzmasken anzulegen, und verließ seinen Platz am Wagen, von wo aus er gewöhnlich die ganze Löschaktion dirigierte. Er stieß gegen Noah Bergmann, der wie angewurzelt dastand. Ziegler mochte ihn nicht besonders, da der Junge gerne den Anführer spielte, aber keine der dafür nützlichen Eigenschaften vorweisen konnte. Als Ziegler sich mit schnellen Schritten der Hütte näherte, sah er eine Gestalt durch die Tür taumeln. Es war Finn, der Kapitän der Fußballmannschaft. Er ging ein paar Schritte, dann sank er auf die Knie und kotzte sich die Seele aus dem Leib.
Ziegler war irritiert. Der Rauch war zwar dicht, aber nicht so dicht, um Finns heftige Reaktion zu erklären. Für einen Moment durchzuckte ihn die Befürchtung, dass sich irgendwelche Giftstoffe in der Hütte befanden. Vielleicht hatte jemand den leer stehenden Schuppen genutzt, um billig seinen Sondermüll zu lagern und so die Entsorgungsgebühren zu sparen. Ziegler kniete vor seinem Schützling nieder, als dieser aus dem Stand auf den Hintern fiel. So blieb er sitzen. Sein Oberkörper schwankte leicht hin und her und er präsentierte ein breites Grinsen.
“Was ist passiert?“
“Alles okay“, sagte Finn träge und fixierte einen Punkt etliche Kilometer hinter Ziegler. Der war längst jenseits seiner üblichen Gelassenheit. Er wollte seinen Schützling an den Schultern packen und schütteln, bis er eine vernünftige Antwort bekam, da trat Jan Kernstein aus der Hütte. Er war aus einem völlig anderen Holz geschnitzt als sein Vater, der Geschäftsführer des Autohauses. Nicht gerade übermäßig intelligent, aber zuverlässig und verantwortungsbewusst. Ziegler hielt große Stücke auf ihn und erwartete eine professionelle Einschätzung der Lage. Doch Jan reagierte anders als erwartet. Er ging geradewegs an Ziegler vorüber auf den Einsatzwagen zu, am Einsatzwagen vorbei und zur Straße nach Ginsberg.
“Sind denn hier auf einmal alle verrückt geworden?“, brüllte Ziegler und sprang auf. Das dreiköpfige Rettungsteam kam ihm kichernd aus dem Schuppen entgegen. Der Erste ließ sich direkt vor Ziegler auf den Boden fallen, rekelte sich einen Moment lang und fing an zu schnarchen. Der zweite setzte sich auf ihn und begann, alle Blumen in seiner Umgebung auszureißen. Bevor sich Ziegler von diesem Anblick erholen konnte, baute sich das letzte Mitglied des Rettungsteams direkt vor ihm auf, schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und erzählte Blödsinn in seiner reinsten Form.
Zieglers restliche Mannschaft näherte sich mit Atemschutzmasken. Sie hatten den Irrläufer von der Straße geholt, bevor er überfahren werden konnte, und führten ihn an der Hand zurück. Ihr Instinkt riet ihnen, dem Schuppen nicht zu nahe zu kommen. Ziegler war mit seiner Weisheit am Ende. Fassungslos zuckte sein Blick zwischen den fünf Verrückten umher. Da bemerkte er die Wolke, die über die Schulter des Jungen vor ihm kroch, der immer noch munter drauflos quasselte. Was immer in dem Schuppen brannte, es mussten Unmengen davon vorhanden sein. Ziegler