Zucker im Tank. Andreas Zwengel

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Zucker im Tank - Andreas Zwengel

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Polizei hatte die Reste des Schuppens abgesperrt. Die Umstehenden reckten die Hälse, um nicht die kleinste Kleinigkeit zu verpassen. Die Gesichter wirkten verstört, was Tibor bestätigte, dass hier mehr geschehen war als ein simpler Brand. Seine Versuche, ebenfalls einen Blick auf den Schuppen zu werfen, scheiterten an seiner recht bescheidenen Körpergröße. Auf der Suche nach einer Lücke wanderte er hinter den Zuschauerreihen entlang, doch jeder freie Platz war besetzt. Tibor schob sich eine neue Zigarette zwischen die Lippen und wollte gerade sein Feuerzeug an deren Ende halten, als er bemerkte, wie ein Feuerwehrmann wortlos den Trichter eines Feuerlöschers auf ihn richtete. Mit einer entschuldigenden Geste steckte er die Zigarette wieder ein.

      “Hallo Tibor“, sagte eine vertraute Stimme hinter ihm. Er wandte sich überrascht um. Felix Gernhardt lehnte lässig an einem Geländewagen, hatte die Arme vor der Brust verschränkt und grinste von Ohr zu Ohr.

      “Felix, du meine Güte.“ Tibor war überrascht und erfreut zugleich. Er nahm die Sonnenbrille ab, als würde dies seinen Blick schärfen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, nach so vielen Jahren den besten Freund aus seiner Jugend wiederzusehen. In der ersten Zeit nach seiner Abreise hatten sie sich zwar ein paar Mal geschrieben und gelegentlich telefoniert, aber nach einer Weile war der Kontakt eingeschlafen.

      Felix sah wüst aus: Sein strähniges Haar ließ das Gesicht nur erahnen, aber was an Haut sichtbar war, ließ darauf schließen, dass er viel Zeit unter freiem Himmel verbrachte. Er trug ein Batikhemd, abgeschnittene Cordhosen und klobige Arbeitsschuhe. Die Sachen schienen billig gekauft und lange getragen. An manchen Menschen gingen Trends spurlos vorüber, bis sie manchmal das Glück hatten, dass die eigene Kleidung wieder in Mode kam. Aber der Felix, den er gekannt hatte, war an der Welt vor seiner Tür ohnehin nie sonderlich interessiert gewesen, solange die Welt ihm das gleiche Desinteresse entgegenbrachte.

      “Scheiße, Tibor, wie siehst du denn aus“, kam ihm Felix zuvor und wischte sich eine schwarze Haarsträhne aus der Stirn, “bist du unter die Banker gegangen?“

      “So ähnlich.“

      “Und warum hast du deine Haare nicht mitgebracht?“

      Grinsend fuhr sich Tibor mit der Hand über den extrem breiten Scheitel und ließ sie im Nacken auf dem Rasierschatten seines verbliebenen Haarkranzes ruhen.

      “Die Zeit vergeht.“

      “Das kannst du laut sagen“, sagte Felix und breitete die Arme aus. Tibor, der ein ganzes Stück kleiner als sein Freund war, verschwand in dessen Umarmung. Es dauerte lange, bis er sich daraus befreien konnte.

      “Warum hast du dich nie gemeldet, Mann? Oder auf meine Briefe geantwortet?“, fragte Felix streng.

      “Also ich o äh“, begann Tibor, zögerte und zuckte schließlich grinsend mit den Schultern.

      “Schon gut, vergiss es. Hauptsache, du bist wieder da.“

      Sie grinsten beide. So sollte es zwischen Freunden sein, dachte Tibor. Wenn man sich nach langer Zeit wieder begegnete, mussten beide das Gefühl haben, den anderen am Vortag zuletzt gesehen zu haben. Keine Erklärungen, keine Vorwürfe und keine Rechtfertigungen. Ein dicker Kloß der Ergriffenheit stieg in seinem Hals auf und zur Ablenkung wies er mit dem Daumen hinter sich: “Hast du eine Ahnung, was hier passiert ist?“

      “Ich bin selbst erst gekommen, aber ich sehe gerade jemanden, der es mit Sicherheit weiß“, sagte Felix und hob einen Arm, um zu winken. Der Kopf einer großen und sehr kräftigen Frau Ende vierzig ruckte herum. Sie begann zu lächeln und drängte sich durch die Menge, die ihr widerwillig Platz machte. Sie schob ihre Sonnenbrille in die Stirn und steckte den Notizblock in eine der Taschen ihres Jeansrocks, bevor sie Felix scherzhaft gegen seine Brust boxte. Er legte einen Arm um ihre Schultern und drehte sie in Tibors Richtung.

      “Tibor, darf ich dir Thea Richler vorstellen, das letzte lebende Mitglied der freien Presse und seit Wochen die Starreporterin der hiesigen Tageszeitung. Thea, das ist Tibor Hendricks, ein Freund aus besseren Tagen und ehemaliger Ginsberger.“

      Sie schüttelten sich die Hände. Sie sah aus wie Kathy Bates. Nicht in der Rolle der psychopathischen Krankenschwester in Misery, sondern als die robuste und engagierte Schnüfflerin in dem Travolta-Film.

      “Tibor hat mich gerade gefragt, was hier vor sich geht. Vielleicht kannst du uns eine Antwort darauf geben.“

      “Es scheint so, als wäre die Feuerwehr bei ihrem Einsatz auf ein Drogenversteck gestoßen. Die Hälfte der Jungs schwebt noch über den Wolken, während sich alle anderen in die Hose machen.“

      Die Antwort verblüffte sogar Felix. “Was sagt Garth dazu?“

      “Die Kollegen belagern ihn vor dem Rathaus. Sie haben sich hier ihre Bilder und ein paar Statements von Einheimischen abgeholt und warten nun auf eine offizielle Stellungnahme.“

      Felix grinste. “Wo er doch schlechte Presse über den Ort so gut leiden kann.“

      “Ich bin selbst gespannt, wie Villeroy es schaffen will, diesen Schlamassel schön zu reden“, sagte die Journalistin.

      “Thea ist die ungekrönte Meisterin, wenn es darum geht, Garth unüberlegte Äußerungen zu entlocken“, erklärte Felix seinem Freund. Die Reporterin lächelte geschmeichelt. Sie wollte bescheiden abwinken, als in der Nähe der Absperrung ein kleiner Tumult losbrach.

      “Jetzt scheint etwas Bewegung in die Sache zu kommen, ich muss los, wir sehen uns!“, sagte sie und hatte bereits ihren Notizblock gezückt. Sie winkte den beiden zu und warf sich wie ein Schneepflug in die Menge.

      “Drogen in Ginsberg?“, fragte Tibor aufrichtig überrascht.

      “Dope is in the air“, sang Felix und lachte. “Tja, mein Freund, das Landleben hat seine Unschuld verloren, willkommen zu Hause!“ Er warf sich mit einer Kopfbewegung das schwarze Haar aus der Stirn, ohne seine Hände aus den Taschen nehmen zu müssen. “Du hast dir den perfekten Tag für deine Heimkehr ausgesucht.“

      “Timing war schon immer meine Stärke“, sagte Tibor. “Das wird einen ganz schönen Wirbel erzeugen.“

      “Darauf kannst du Gift nehmen. Wenn man im Rathaus nachfragt, bekommt man bestimmt die Auskunft, es gäbe keinen Grund zur Besorgnis. Also genau die Antwort, die man erwartet, wenn es einen Grund zur Besorgnis gibt.“

      “Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Ginsberg Drogen angebaut werden.“

      “Na frag mich mal“, sagte Felix. “Und ich lebe sogar hier. Noch heute Morgen hätte ich über diese Vorstellung gelacht.“

      “Dann hast du keine Idee, wer dahinterstecken könnte?“

      “Überhaupt keine. Ich kann mir das nur so vorstellen, dass jemand den verlassenen Schuppen genutzt hat, um seine Drogen darin zu verstecken.“

      “Jemand von außerhalb?“

      “Also mir fällt kein Ginsberger ein, der infrage käme. Nicht dafür.“ Er grinste. “Die könnten es auch gar nicht voreinander geheim halten.“

      “Willst du gar nicht wissen, wer hinter den Drogen steckt? Immerhin lebst du ja hier, wie du selbst gesagt hast.“

      “Vielleicht hat Garth ein kleines Nebengeschäft am Laufen? Wundern würde mich das nicht.“

      Tibor

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