Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart. Группа авторов

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Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart - Группа авторов Forum Modernes Theater

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mit Zeus verbunden. Andererseits verweist seine Verbindung mit Totenkulten und der Hoffnung auf ein Fortleben im Jenseits, vermittelt über orphische Kulttraditionen, auf Einflüsse aus Ägypten: „Daß der griechische Dionysos ägyptisch ‘infiziert’ ist und daß die aufs Jenseits ausgerichteten Dionysos-Mysterien zumindest in Einzelheiten vom Osiris-Kult beeinflußt sind, ist also gar nicht zu bestreiten.“6

      Die berühmte Schale des Malers Exekias (entstanden um 540 v. Chr.) zeigt den Gott geschmückt mit einer Krone aus Efeublättern, und sein riesenhafter Körper füllt das ganze Schiff aus. Vielleicht bezieht sich diese Darstellung auf eine Episode aus dem 7. Homerischen Hymnus, wo der Gott sich aus der Gewalt von Piraten befreit hat, die er in Delphine verwandelte. Diese Geschichte aus der Jugend des Dionysos passt aber kaum zu der Darstellung des gekrönten Gottes, der auf dem Schiff mit einem großen, früchtetragenden Weinstock zu sehen ist, der eher auf kultische Traditionen verweist. Delphine sind auch als Verzierung des Schiffes zu erkennen, also bereits etablierte Attribute dieses Gottes. So gibt es näher liegende Deutungen des Bildes, wonach es Dionysos auf dem – jährlich „wiederholten“ – Weg nach Athen zum Fest der Anthesterien zeigt, bei denen er als Gott verehrt und gefeiert wurde. Das entspräche auch seiner traditionellen Assoziation mit dem Brauch der heiligen Hochzeit und der jährlichen Wiederkehr der Toten, vor allem der rituellen Funktion, die Schiffen und Schiffswagen in Prozessionen bei Festen für Dionysos zukam.7

      Zu diesen Festen gehörten bekanntlich die Großen Dionysien, bei denen Tragödien, Satyrspiele und Komödien aufgeführt und in Wettkämpfen beurteilt wurden. Zwar beziehen sich nur wenige der erhaltenen Stücke mit ihrer Handlung auf Dionysos, in fast allen kommt aber der Erfahrung von Fremdheit und der Begegnung mit Fremden eine elementare Bedeutung zu. Schon die älteste überlieferte Tragödie, die Perser des Aischylos (472 v. Chr.), ist hierfür ein Beispiel, geht es darin doch nicht nur um den acht Jahre zuvor errungenen historischen Sieg einer kleinen griechischen Flotte gegen die überlegene persische Armee, sondern zugleich um die Selbstbestätigung der gerade erst etablierten attischen Demokratie gegenüber der Königsherrschaft (Tyrannis) der Perser. Mit deren zunehmendem Einfluss im Mittelmeerraum wuchs unter den griechischen Stadtstaaten das Bedürfnis, sich als panhellenische Gemeinschaft zu verstehen und gemeinsam zu verteidigen.8 In der Zeit der Perserkriege zu Beginn des 5. Jhs. v. Chr. wurde der Begriff barbaros – bis dahin noch eher im Sinne von fremdsprachig gebraucht – zu einem Gegenbild der griechischen Demokratien. So kann die Tragödie Die Perser auch als frühes Beispiel von „Orientalismus“ gelten, da hier die persische Sprache ebenso wie die Kleidung und das Verhalten am Königshof in fast klischeehafter Form als fremd charakterisiert werden und das Reich der Perser zugleich als Inbegriff der Alleinherrschaft von Tyrannen erscheint.9 Die These jedoch, dass Aischylos bereits eine überhebliche Geringschätzung der Perser als Barbaren inszeniert hätte, lässt sich kaum halten: Das an zentraler Stelle eingesetzte Traumbild der Königinmutter Atossa verweist vielmehr auf eine Gleichheit von Griechen und Persern, die erst der Übermut von Xerxes zerstört hat. Dass sich in dieser Tragödie die (griechisch sprechenden) Perser selber als Barbaren bezeichnen, entbehrt nicht der Ironie.10

      Schließlich erweist Aischylos’ Stück dieser fremden Kultur schon dadurch Respekt, indem es den Sieg der Griechen bei Salamis aus Sicht der Perser schildert, die durch Botenberichte vom Untergang ihres Heeres erfahren, bevor ihnen der Geist des früheren Königs Dareios erscheint, der den Feldzug seines Sohnes über das Meer als Hybris scharf verurteilt. Dann erst tritt Xerxes selbst auf, mit nur wenigen Überlebenden, in zerrissenem Gewand und laut klagend. Insofern die Götter ihn so schwer gestraft haben, erscheint die mit dem Feldzug aus den Fugen geratene Ordnung der Welt vorläufig wiederhergestellt. Nach wie vor ist aber umstritten, ob die Tragödie mit dem Wechsel der Perspektive den Sieg der Griechen nur umso wirkungsvoller zelebrieren oder schon die Möglichkeit eines ähnlichen Schicksals für ihre eigenen Feldzüge demonstrieren sollte. Immerhin wurde die Hybris der Perser dem Theaterpublikum in einer Situation vorgeführt, als Athen durch seine militärische Macht im Mittelmeerraum zunehmend in Rivalitätskonflikte mit anderen Stadtstaaten geriet.11 Jedenfalls behauptet Aischylos’ Tragödie, wie auch Albrecht Dihle betont, noch längst nicht jene grundsätzliche Überlegenheit der Griechen gegenüber Fremden, die später, im 4. Jh. v. Chr., häufiger formuliert wurde.12

      Hikesia und Asylon im Theater der Tragödie

      Für das Verhältnis von Flucht, Asyl und Theater sind – vor dem mit den Persern bereits absehbaren zeitgeschichtlichen und politischen Hintergrund – vor allem die Schutzflehenden (Hiketiden) des Aischylos grundlegend, erstmals aufgeführt um 463 v. Chr. Zu Beginn der Tragödie wird das Theater besetzt durch einen Chor von Frauen, die mit dem Schiff aus Ägypten geflohen und gerade in der griechischen Stadt Argos angekommen sind, die von dem König Pelasgos regiert wird. Dem Mythos nach handelt es sich bei den Frauen um die 50 Töchter des ägyptischen Königs Danaos, der sie begleitet auf der Flucht vor ihren Vettern, die sie mit Gewalt zur Heirat zwingen wollen und verfolgen. Ob dafür im Theater anstelle der sonst anzunehmenden 12 oder 15 tatsächlich 50 (jedenfalls aber männliche, als Frauen maskierte) Choreuten auftraten wie bei den früheren Dithyramben, ist umstritten. Sicher ist jedoch eine unheimliche Gewalt, die von diesem Chor ausgeht, von Anfang an. Danaos sucht die Schutzflehenden zu beruhigen indem er ihnen empfiehlt, sich nach griechischem Brauch zu verhalten: Sie sollen sich den Altären des heiligen Bezirkes mit Olivenzweigen nähern, die in weiße Wolle gewickelt sind. Als Pelasgos, der Herrscher von Argos erscheint, erkennt er sie gleich als Fremde, wegen ihrer reichen und „barbarischen“ Kleider und ihrer dunklen Hautfarbe, die auf eine Herkunft aus Libyen verweise. Ihr Verhalten, ihre Position am Altar und ihre rituell geschmückten Zweige zeigen aber ihre Vertrautheit mit dem griechischen Brauch der Hikesie. Und zu seinem Erstaunen erzählen ihm die Frauen, dass sie in Argos gar nicht fremd sind, sondern eigentlich nach Hause kommen. Sind sie doch Nachfahren von Io, der Mutter aller Ionischen Griechen. Dem Mythos zufolge war die aus Argos stammende Io eine der vielen Geliebten des Gottes Zeus. Von der eifersüchtigen Göttermutter Hera wurde sie zur Strafe in eine Kuh verwandelt und durch eine wütende Bremse unablässig gejagt, erst in Ägypten konnte sie sich niederlassen. Der Ahnherr der schutzflehenden Frauen soll Epaphos gewesen sein, Sohn von Zeus und Io. Auf diesen Ursprung in Argos berufen sie sich nun für ihre Bitte um Schutz, um nicht ihren ägyptischen Verwandten ausgeliefert zu werden:

      Sieh nicht mit an, wie dein Schützling von

      Dem Götterbild mit Zwang gezerrt wird widers Recht,

      Dem Roß gleich an der Stirn

      Buntfarbgem Band und meinem Kleid angepackt!

      Wisse wohl: deiner Kinder harrt, des Stamms,

      Wie du den Grund legst, Buße durch den Gott des Grimms:

      Vergeltung, gleich um gleich!

      So herrscht – bedenk! – gerecht des Zeus ewge Macht!1

      Nachdem die Frauen mit der Erzählung der Vorgeschichte ihre Herkunft belegt haben, bezeichnen sie sich selbst als „Schützling“ (Hiketin) und fordern Hikesie. Dieser Status, wörtlich mit „Schutzflehen“ zu übersetzen, wurde im archaischen und klassischen Griechenland allen gewährt, die sich zu heiligen Altären flüchteten. Schon die Möglichkeit, um Schutz flehen zu können, hatte eine absolute, von Zeus beschützte Geltung. Wer als Schutzflehende/r gehört wird, ist als solche/r bereits Schützling, Schutzbefohlene/r. Diese Tendenz, angelegt in der Unantastbarkeit des Prinzips der Hikesie selbst, beruhte normalerweise auf einer Bedingung: Eigentlich durften sie nur die in Anspruch nehmen, die von Blutschuld frei waren. Jedoch wird beispielsweise selbst Orest – nach dem Mord an seiner Mutter Klytaimnestra, in Aischylos’ Eumeniden, dem dritten Teil der Orestie – als ein Schützling (Hiketin) bezeichnet durch den Gott Apoll, der ihn gegen die Erinnyen verteidigt.2 Erst indem die Rachegöttinnen selber in Athen eine Art Asyl erhalten, aufgenommen werden als wohlwollende Eumeniden, kann dieser Konflikt durch die Stadt-Göttin Athene

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