Spuren des Tragischen im Theater der Gegenwart. Группа авторов
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A: Ja, da ist was, jetzt merke ich es auch. Aber nicht das, was du spielst. Denn das höre ich nicht. Ich muß unbegleitet spielen. Dafür hörst auch du mich nicht. Ich wittere mit der Nase in der Luft. Nichts zu riechen, nichts zu hören, nichts. Aber da ist etwas. Da muß etwas sein. (KL)
Die sprechende Instanz, die in dieser Passage hörbar wird, wechselt zwischen mythologischer Figur, technischer Apparatur und Saiteninstrument. Bei der Geige selbst haben wir es bereits mit etwas Hybridem zu tun, das heterogenes organisches Material vereint. Der Korpus der Violine besteht aus Holz, ihre Saiten wurden lange Zeit aus Darm von Huftieren gewonnen, heute wird dafür meist Stahl verwendet. Zum Klingen gebracht wird das Instrument von einem Bogen aus Rosshaar, der wiederum auf (menschliche) Spieler*innenhände angewiesen ist. Auch in Die Satyrn als Spürhunde kommt einem Saiteninstrument eine wesentliche Bedeutung zu; hier werden die Satyrn vom Klang der ihnen unbekannten Lyra erschreckt. Kyllene, die Amme des Lyra-spielenden Hermes, bezeichnet das Instrument als totes Tier, das zum Sprechen gebracht wird. Darauf folgt eine leider lediglich fragmentarisch erhaltene, hier auszugsweise angeführte Rateszene:
Chorführer: Was ist das Tönende daran? Das Innen oder Außen? Sprich! | ||
Kyllene: (Ein Teil des Tieres) ist hügelförmig, Muschelschalen nah verwandt. | ||
Chorführer: Mit welchem Namen nennst du es? Erzähle, wenn du noch was weißt! | ||
Kyllene: Schildkröte nennt der Bub das Tier, doch Lyra jenen Teil, der tönt. | ||
Chorführer: Wem (scheint) der Schatz (denn holder) als……? | ||
Kyllene: | der Rinder Wirbelknochen und die Haut. | |
so klingt die Krötenschale nun. | ||
Geschnittene Hölzer, starke Nägel wurden da hineingebohrt. | ||
gedrehte Därme | ||
der Höhlung | ||
die Wirbel | ||
der Knoten | ||
[…] darin der Krötenschale rauher Buckel sich erhebt, und dieses ist im Kummer Heil- und Beruhigungsmittel | ||
ihm, | ||
sein einz’ges, außer sich vor Freude, singt ein Lied er, das | ||
damit | ||
zusammenklingt; es reißt ihn hin der Lyra wandelbarer | ||
Klang. | ||
So zauberte der Knabe dem verstorbnen Tiere Wohllaut an.9 |
Tatsächlich handelt es sich bei der Lyra um ein Saiteninstrument, das aus einem (toten) Tier besteht und erst durch (lebendige) Finger zum Klingen gebracht werden kann.10 Die zitierte Beschreibung Kyllenes unterstreicht diesen Assemblagecharakter. Die Lyra erscheint darin weniger als „Ding“ denn vielmehr als lebendige Materie, als „vibrant matter“, um mit der politischen Theoretikerin Jane Bennett zu sprechen.11 Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass sich Jelinek in ihrem Post-Fukushima-Text Kein Licht. intensiv an der zitierten Passage des Satyrspiels abarbeitet:
Was an uns könnte noch klingen, da es die Geigen nicht tun? Die Wirbelknochen von Rindern, die niemand mehr essen darf? Die Krötenschalen, die man wird meiden müssen? Die gedrehten Därme unserer Saiten, neben denen unsere Eingeweide bald nichts als Schlamm sein werden? Eine Höhlung voll Müll? Die Wirbel, mit denen wir stimmen, obwohl nichts mehr stimmt? Der Knoten, den uns jemand geknüpft hat? Was? (KL, Herv. SF)
Der intertextuelle Rückgriff auf Kyllenes Beschreibung der Lyra lässt die Grenzen zwischen Mensch und Tier, zwischen Belebtem und Unbelebtem verschwimmen und verweist auf ein komplexes Zusammenspiel, in dem der Mensch lediglich ein Rädchen von vielen ist. Jelinek treibt dadurch ein Denken voran, das einerseits die Vitalität (nichthumaner) Körper ernstnimmt und das andererseits vom Menschen den verantwortungsvollen Umgang mit dem von ihm bewohnten Planeten einfordert. Dieses Denken dominiert nicht nur Kein Licht., sondern zieht sich durch viele Theatertexte der Autorin.
II
Hybride Figurationen haben bei Jelinek eine lange Tradition. Bereits in ihrem Stück Krankheit oder moderne Frauen (1984) tritt ein sogenanntes „Doppelgeschöpf“ auf. 28 Jahre später findet dieses Wesen Eingang in den Theatertext Die Straße. Die Stadt. Der Überfall (2012), den Jelinek anlässlich des 100. Geburtstags der Münchner Kammerspiele verfasste.1 Das Stück berührt im Dekonstruieren des Phänomens Mode elementare Fragen des ökonomischen Diskurses und lässt dabei historische wie geschlechtliche (Ein-)Ordnungen brüchig erscheinen. Intertextuell rekurriert Jelinek dabei u.a. auf Walter Benjamins Thesen Über den Begriff der Geschichte, auf Roland Barthes’ Sprache der Mode und auf Die Bakchen des Euripides. Die anfängliche Regieanweisung lautet wie folgt:
Das Doppelgeschöpf, das ich einst erfunden habe, tritt einmal wieder auf, nachdem ich es mir aus der Versenkung geholt habe. Es ist ein Mann, an den eine Frau angenäht ist (früher war es eine Frau, die mit einer zweiten zusammengenäht war, aber ich habe das jetzt abgewandelt, was sich natürlich auch im Gewand niederschlagen wird). Man kann aber auch was ganz andres machen, wie immer. (STR)
Mit der hybriden Figuration, deren Auftritt hier angekündigt wird, geht eine genderspezifische Veruneindeutigung einher, die für das Theater der griechischen Antike typisch, um nicht zu sagen konstitutiv ist. Die Rollen von Frauen wurden in den Tragödienaufführungen bekanntlich von Männern mitgespielt; wir haben es also mit einer spezifischen Form von Theater zu tun, die – wie die Philologin Nancy Rabinowitz zurecht betont – als subversive Infragestellung von Geschlechterzuschreibungen verstanden werden kann.2 In den Bakchen aber wird dieser Rollentausch potenziert. Hier erscheint