Gleichwertige Lebensverhältnisse - Vision oder Illusion. Группа авторов

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Gleichwertige Lebensverhältnisse - Vision oder Illusion - Группа авторов Politikum

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href="#u9a08068a-991e-5d35-a236-6b8c2154b797">Kevin Kühnert Die Politik hat sich selbst kastriert

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      „ JEDER DOLLAR EIN WAHLZETTEL“

      Wie eine demokratische Verheißung scheiterte

      von STEFAN SCHIEREN

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      In Großbritannien, dem Mutterland der Industrialisierung, zogen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr Menschen vom Land in die Stadt und siedelten sich in den wie Pilze aus dem Boden sprießenden Elendsvierteln an. Zur eigenen Versorgung brachten sie ihr Viehzeug mit, das mit den auf engstem Raum lebenden Menschen eine Unmenge an Unrat produzierte. Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal und wuchsen sich angesichts fehlender Infrastruktur zu einem gewaltigen Gesundheitsrisiko aus. 1854 brach in London eine Cholera-Epidemie aus, die Tausende Tote forderte. Der Arzt John Snow begab sich auf die Suche nach der Ursache. Er fand heraus, dass verunreinigtes Wasser für die Verbreitung der tödlichen Krankheit verantwortlich war. Es lag also auf der Hand, durch Kläranlagen sowie Ver-und Entsorgungseinrichtungen die Gefahrenquelle zu beseitigen.

      Doch solche technischen bzw. leitungsgebunden Einrichtungen erforderten bereits damals hohe Investitionen, die von den Armen der am meisten betroffenen Elendsviertel nicht aufgebracht werden konnten. Die wohlhabenden Fabrikbesitzer hingegen konnten selbst für ihre Versorgung mit sauberem Wasser sorgen und lehnten es ab, die immensen Kosten für andere zu übernehmen. Damit es zum Ausbau einer leistungsfähigen Infrastruktur kommen konnte, reichte die objektive Notwendigkeit offenkundig nicht aus. Es musste eine weitere Bedingung hinzutreten: Das Wahlrecht für breite Schichten der Bevölkerung. Erst die Verschiebung der politischen Machtverhältnisse, wie sie die Wahlrechtsreform seit 1867 erbrachte, führte dazu, dass zunächst London Ver- und Entsorgungseinrichtungen in öffentlicher Verantwortung baute (Deaton 2017, 130 ff.).

      Die Stärkung demokratischer Mitwirkungsrechte in England hat den flächendeckenden Ausbau einer Versorgungsinfrastruktur seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mindestens beschleunigt, wenn nicht erst ermöglicht (zu „öffentlichen Gütern“ siehe den Beitrag von Bieling/Möhring-Hesse in diesem Heft). Es handelt sich dabei um solche Leistungen, die Egon Forsthoff 1931 mit dem heute altbacken klingenden Begriff „Daseinsvorsorge“ belegt hat – Strom, Post, Telekommunikation, Wasser, Abwasser, Müllentsorgung, Verkehr. Sie sind zur Bewältigung des Alltags unverzichtbar und sollen daher jedem zur Verfügung stehen, unabhängig von der finanziellen Leistungsfähigkeit des einzelnen Nutzers. Das bedeutet, dass für diese Güter die Rationierungsfunktion des Preises außer Kraft gesetzt werden sollte.

      Damit es unter diesen Bedingungen überhaupt zu einem Angebot kommt, muss der Staat als Leistungserbringer einspringen. Gleichzeitig fungiert er als Agentur, die über demokratische Wahlen die Interessen zwischen Nutznießern dieser Güter und den Geldgebern dafür ausgleicht. Damit entscheidet der Wahlakt nicht nur über die Verteilung und Zuteilung politischer Macht, sondern in der „mixed economy“ auch über die Verteilung der ökonomischen Macht und zähmt so die unbändigen Kräfte des Kapitalismus in einem sozial ausgleichenden Sinne.

      In Großbritannien erreichte diese Entwicklung unter der Labour-Regierung 1945–1951 ihren Höhe- und Wendepunkt. Diese verstaatlichte zahlreiche Schlüsselindustrien (Kohle, Eisen und Stahl) und Versorgungsbereiche (Bahn, Strom, Gas, Radio, Fernsehen) und baute zudem den Sozialstaat mit dem National Health Service als Herzstück entschlossen aus. Dabei war es das erklärte Ziel, die Macht des Kapitals durch „an increase in the economic power of the state“ einzuhegen (Crosland 1957, 30). Die Verstaatlichung nach dem Zweiten Weltkrieg unter Labour diente also gleichzeitig einem ökonomischen, sozialen und demokratischen Zweck.

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       Die Gleichung „Jeder Dollar ein Wahlzettel“ war ein Scheinangebot

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      state“). Dabei setzte er zugleich auf die Machtmittel eines starken Staats, um diesen Kurs durchzusetzen und die Wirtschaft vor den als ungerechtfertigt eingestuften Forderungen der Gesellschaft zu schützen. Im mit großer Härte ausgetragenen Streik der Bergarbeiter 1984/85 wurde das deutlich. Thatcher war der Überzeugung, dass der Markt für nahezu jedes Problem die beste Lösung hervorbringen würde, sofern man seinen Kräften freien Lauf ließe. So war es der Dreiklang aus Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung, der die Wirtschaftspolitik der 1980er Jahre bestimmte.

      Ein argumentatives Problem aber gab es zu lösen. Wie sollte man das Wahlvolk dazu bringen, für dieses Programm zu stimmen, wenn es den Verlust demokratischer Mitbestimmungsrechte zur Folge haben würde, wenn vormals in öffentlichem Eigentum befindliche Güter in die Hände Privater übergingen? Dazu bediente sich der Thatcherismus einer Argumentation, wie sie in den 1930er Jahren von Ökonomen um Friedrich von Hayek, Ludwig von Mises und Wilhelm Röpke aus der so genannten Genfer Schule entwickelt worden war. Diese „Globalisten“ erklärten, der Gedanke von Demokratie und Freiheit sei am besten verwirklicht, wenn aus „jedem Dollar ein Wahlzettel“ (zit. n. Slobodian 2019, 253) werde, denn, so Buchanan, „a dollar vote is never overruled“ (zit. n. Biebricher 2018, 99). Die Idee, die dahinter steckt und unter dem Begriff „consumerism“ Karriere machte, ist die folgende: In einer staatlich gelenkten Wirtschaft mit staatlichen Monopolbetrieben kann das Wahlvolk einmal in einem Zeitraum von vier bis fünf Jahren über die Teilnahme an der Wahl zum Unterhaus oder zum Local Council sein Urteil darüber fällen, wie er die Summe aller öffentlichen Leistungen insgesamt beurteilt. Es liegt auf der Hand, dass sich bei diesem Entscheidungsmodus nur wenig ändern lässt, wenn man unzufrieden ist. Wie anders sind die Möglichkeiten in einem wettbewerblich organisierten Markt mit vielen miteinander konkurrierenden Privatunternehmen. Die Wahlberechtigten können nun zwischen einer Vielzahl verschiedener Angebote auswählen

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