Gleichwertige Lebensverhältnisse - Vision oder Illusion. Группа авторов

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Gleichwertige Lebensverhältnisse - Vision oder Illusion - Группа авторов Politikum

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Auf diese Weise werde der „Geldschein“ zum „Wahlzettel“ für gute und preisgünstige Angebote. Das sei nicht nur „demokratischer“ als die alte Staatswirtschaft, sondern auch effizienter.

      Weil das so gut klang, wurde der Wettbewerb schrittweise auch auf Bereiche übertragen, die zwar nicht oder nur partiell am Marktgeschehen teilnahmen, aber miteinander konkurrieren sollten: Universitäten, Schulen oder das Sozial- und Gesundheitswesen. Diese mussten nun in den Wettbewerb zum Beispiel um Projektmittel treten. Benchmarks und Leistungsmessungen sollten den „Kunden“ – Studierende, Eltern oder Kranke – den Vergleich von Schulen, Universitäten oder Krankenhäusern ermöglichen und sie damit in die Lage versetzen, die „guten“ von den „schlechten“ Anbietern zu unterscheiden. Einrichtungen, die ihre „Kunden“ und damit ihre Finanzierungsgrundlage nicht verlieren wollten, mussten sich im Wettbewerb bewähren. So sollte alles besser und billiger werden.

      Es lag in der Absicht dieser Politik, für nahezu jedes auftretende politische, gesellschaftliche oder ökonomische Problem den Marktmechanismus die Lösung finden zu lassen und so eine wohlhabendere, effizientere und gerechtere Welt zu schaffen. Das ist nicht gelungen.

      Die Gleichung „Jeder Dollar ein Wahlzettel“ war ein Scheinangebot. Tatsächlich ging es den Theoretikern der Genfer Schule nicht darum, die Partizipation des Volkes zu stärken. Im Gegenteil sollte die Wirtschaft von den Einflüssen des „demos“ möglichst weitgehend abgeschirmt werden (Slobodian 2019; Biebricher 2018): „Entdemokratisierung des Kapitalismus vermittels Entökonomisierung der Demokratie“ (Streeck 2013, 28).

      Die Gleichung „Jeder Dollar ein Wahlzettel“ ging insofern auf eine ganz andere Weise auf, als man unter dem Schlachtruf „consumerism“ hatte vermuten können. Nicht die politische Partizipation breiter Bevölkerungsschichten wuchs, sondern die politische Macht stieg mit der Menge an Dollars an, über die jemand verfügen konnte (Stiglitz 2012). Der Glaube an dieses Demokratiemodell führte direkt in die „Krise des demokratischen Kapitalismus“ (Streeck 2013).

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      © picture alliance / empics | PA

       Bergarbeiterstreik 1984 in der Nähe von Sheffield

      Denn „das grundlegende politische Trilemma der Weltwirtschaft“ war nicht zu überwinden. „Wir können die drei Dinge Demokratie, nationale Selbstbestimmung und wirtschaftliche Globalisierung nicht zugleich vorantreiben“ (Rodrik 2011, 20). Bis zur Finanzkrise war das nicht so deutlich geworden. Doch die Verwerfungen, die diese auslöste, beschränkten sich nicht auf die Ökonomie, sondern erstreckten sich auf die Gesellschaft und den Staat (vgl. Tooze 2018).

      Die „Globalisten“ begründeten ihre Vorstellung von Demokratie, Rechten und Freiheit auf ökonomischen Theorien. Der „consumerism“ griff umfassend auf das 1972 von William Hutt in die Wirtschaftstheorie eingeführte Konzept der „Konsumentensouveränität“ zurück (vgl. Slobodian 2019, 247). Der „Bürger“ werde erst als „Konsument“, der „souverän“ zwischen verschiedenen Angeboten wählen könne, frei, anstatt an einen staatlichen Monopolanbieter gekettet zu sein und möglicherweise, durch Anschlusszwang oder das staatliche Abgabensystem, zum Konsum dieser Leistungen auch noch gezwungen zu werden.

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      Die Behauptung, der Markt als „Entdeckungsverfahren“ (Friedrich von Hayek) halte für jedes Problem die beste Lösung bereit, ist sehr häufig, aber nicht immer richtig. Der Finanzsektor dürfte von seinen Bedingungen her am ehestem dem Ideal des vollkommenen Marktes entsprechen. Dennoch hat er 2008 auf dramatische Weise versagt, und der von der Finanzwelt so verachtete Staat musste ihn als Nothelfer retten.

      Über Jahre hat sich der Staat vergeblich darum bemüht, die Mobilfunkausrüster dazu zu bringen, die Republik mit einem dichten Netz an Funkmasten zu überziehen. Während sich in den Ballungsräumen Funkmast an Funkmast reiht, weil hier ein Geschäft zu machen ist, lohnt die Investition auf dem Land nicht. Die Folge ist eine Unterversorgung des ländlichen Raums, die nicht akzeptabel ist (siehe hierzu das Interview mit Kevin Kühnert in diesem Heft).

      Ein kompletter Fehlschlag ist die Privatisierung der Bahn in Großbritannien, wie Peter Meek in seiner bitter-ironischen Bilanz „Private Island“ zeigt. Der britische Staat nimmt immer mehr Strecken in sein Eigentum zurück, nachdem sich Private so lange die Erträge gesichert und an ihre privaten Investoren ausgeschüttet hat, bis die nicht mehr länger hinauszuschiebenden Investitionen einen rentablen Betrieb nicht mehr ermöglichten. Nun darf der Staat die heruntergewirtschafteten Unternehmen übernehmen. Und das, obwohl die Preise der britischen Bahn enorm hoch sind. Das Jahresticket zwischen der Londoner City und dem Londoner Vorort Petersborough kostet so viel wie die 2. Klasse-BahnCard 100 der Deutschen Bahn AG. Das sind Preise, die breite Bevölkerungsschichten von der Mobilität ausschließen.

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      © picture alliance / empics | Lianne Cooper

       In London wird im November 2009 die Rücknahme der East Coast Mainline in die öffentliche Hand gefeiert.

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       Ohne ein Netz an öff entlichen Leistungen stünde jede privatwirtschaftliche Tätigkeit auf tönernen Füßen

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