Die Löwenskölds. Selma Lagerlöf
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In seinem Abgangszeugnis vom Gymnasium in Karlstadt hatte Karl Artur die allerbeste Note, gerade wie Erik Gustav Geijer seinerzeit. Und das Studentenexamen in Uppsala war für Karl Artur das gleiche Kinderspiel wie für Geijer. Die Frau Oberst hatte ja den kleinen rundlichen Professor Geijer oft gesehen und ihn wohl auch als Tischherrn gehabt. Gewiss war Professor Geijer begabt und berühmt; aber sie musste doch immer denken, Karl Artur habe einen geradeso hellen Kopf, er könne wohl auch noch einmal ein berühmter Professor werden und es so weit bringen, dass der Kronprinz Oskar und der Landeshauptmann Järta sowie die Frau Oberst Silfverstolpe nebst all den übrigen Berühmtheiten in Uppsala seinen Vorlesungen lauschen würden.
Im Herbst 1826 kam Karl Artur auf die Universität nach Uppsala. Und in diesem ganzen Semester, sowie auch in all den folgenden Jahren, schrieb er jede Woche einmal nach Hause. Und keiner seiner Briefe wurde vernichtet, Frau Beate hob sie alle auf. Sie las sie für sich immer wieder durch, und an den gewohnten Sonntagnachmittagen, wenn die Familie zusammenkam, pflegte sie den Letztangekommenen vorzulesen. Und das konnte sie auch. Es waren Briefe, auf die sie mit Recht stolz war.
Frau Beate hatte die Verwandtschaft halb und halb im Verdacht, diese habe erwartet, Karl Artur werde sich weniger vorzüglich zeigen, wenn er einmal von zu Hause weg sei. So war es Frau Beate ein Triumph, den Verwandten vorzulesen, wie Karl Artur billige möblierte Zimmer mietete und wie er, um zu Hause essen zu können, Butter und Käse selbst auf dem Markt einkaufte, wie er Schlag fünf Uhr morgens aufstand und zwölf Stunden täglich arbeitete. Und alle die ehrerbietigen Wendungen, die er in den Briefen gebrauchte, und alle die Ausdrücke von Bewunderung, die er an seine Mutter richtete! Für kein Geld hätte es sich Frau Beate nehmen lassen, dem Dompropst Sjöborg, der mit einer Ekenstedt verheiratet war, und dem Ratsherrn Ekenstedt, dem Onkel ihres Mannes, sowie den Basen Stake, die auf dem Markt in dem großen Eckhaus wohnten, vorzulesen, dass Karl Artur, der nun draußen in der Welt lebte, noch immer der Überzeugung war, seine Mutter wäre eine Dichterin ersten Ranges geworden, wenn sie es nicht für ihre Pflicht gehalten hätte, für Mann und Kinder zu leben. Nein, nicht um alles in der Welt hätte sie dieses Vorlesen unterlassen mögen, sie tat es ja viel zu gern. So sehr sie auch an alle möglichen Arten von Huldigung gewöhnt war – diese Worte konnte sie nicht lesen, ohne dass sich ihre Augen mit Tränen füllten.
Aber den größten Triumph feierte die Frau Oberst doch gegen Weihnachten, als Karl Artur schrieb, er habe das Geld, das ihm sein Vater nach Uppsala mitgegeben, nicht aufgebraucht, sondern er bringe noch etwa die Hälfte davon wieder mit. Da waren der Dompropst und die Ratsherren geradezu verblüfft, und die längste der Basen Stake schwur, so etwas sei noch nie da gewesen und werde auch niemals wieder vorkommen. Ja, Karl Artur war ein Wunder, darin stimmte die ganze Familie überein.
Gewiss fühlte sich die Frau Oberst vereinsamt, als Karl Artur den größten Teil des Jahres auf der Universität zubrachte; aber ihre Freude an den Briefen war doch zu groß, als dass sie wünschen konnte, es möchte anders sein. Wenn er eine Vorlesung des großen neuromantischen Dichters Atterbom gehört hatte, konnte er sich unglaublich interessant über Philosophie verbreiten; und wenn ein solcher Brief kam, dann konnte Frau Beate noch stundenlang von all der Größe träumen, die Karl Artur erreichen würde. Sie zweifelte gar nicht daran, dass er so berühmt werden würde wie Professor Geijer. Ja, vielleicht wurde er sogar ein ebenso großer Mann wie Karl von Linné. Warum sollte er nicht ebenso weltberühmt werden können? Oder warum sollte er nicht ein großer Dichter werden – ein zweiter Tegnér? Ach, ach, niemand kann so ausgiebig bei Tische schwelgen wie der, so sich in Gedanken ein Festmahl gibt!
In allen Weihnachts- und Sommerferien kam Karl Artur heim nach Karlstadt, und sooft Frau Beate ihren Sohn wiedersah, erschien er ihr männlicher und schöner. Aber sonst war er in keiner Weise verändert. Er zeigte sich immer gleich liebevoll gegen seine Mutter, gleich ehrerbietig gegen seinen Vater und gleich munter und scherzhaft gegen seine Schwestern.
Zuweilen konnte die Frau Oberst auch ungeduldig werden, als Karl Artur Jahr für Jahr in Uppsala weiterstudierte, ohne dass irgendein Fortschritt bemerkbar gewesen wäre. Von allen Seiten wurde ihr jedoch versichert, dass Karl Artur, wenn er das große Staatsexamen machen wolle, dazu recht ausgiebig Zeit brauche, bis er fertig sein könne. Sie solle nur überlegen, was das heißen wolle, ein Examen abzulegen und Zeugnisse zu erhalten, und zwar in allen Fächern, die an der Universität gelehrt würden, in Astronomie, Hebräisch und Geometrie. Das wolle alles seine Zeit haben. Die Frau Oberst sagte, das sei doch ein fürchterliches Examen, und darin gab man ihr recht, meinte nur, man könnte es doch nicht ändern, nur um Karl Arturs willen.
Im Spätherbst 1829, als Karl Artur im siebenten Semester in Uppsala war, schrieb er zur größten Freude der Frau Oberst, er habe sich nun zu einer lateinischen Prüfung angemeldet. Es sei ja kein so besonders schweres Examen, schrieb er, aber doch ein wichtiges, denn man müsse im Lateinischen durchaus bewandert sein, wenn man zum großen Examen zugelassen werden wolle.
Karl Artur machte nicht viel Aufhebens von dieser schriftlichen Arbeit. Er sagte nur, es wäre gut, sie hinter sich zu haben. Er habe sich ja freilich nicht eingehender mit dem Lateinischen befasst wie viele andere auch, aber er dürfe doch wohl hoffen, gut durchzukommen. – In diesem Brief äußerte er auch, dies werde in diesem Semester das letzte Mal sein, dass er seinen lieben Eltern schreibe. Sobald ihm der Ausfall des Examens bekannt sei, wolle er sich auf den Heimweg machen. Und am letzten Tage des Novembers hoffe er bestimmt, seine Eltern und Schwestern wieder in seine Arme zu schließen.
Nein, Karl Artur hatte gewiss nicht viel Wesens aus der lateinischen Prüfung gemacht, und darüber war er recht froh, denn, kurz gesagt – er fiel durch. Die Professoren erlaubten sich tatsächlich, ihn durchfallen zu lassen, obwohl er in seinem Abgangszeugnis von Karlstadt in allen Fächern die beste Examensnote gehabt hatte.
Karl Artur war eigentlich viel mehr entsetzt und überrascht als gedemütigt. Er konnte auch seine Ansicht darüber, dass seine Art, die lateinische Sprache zu behandeln, viel für sich habe, nicht ändern. Gewiss war es sehr ärgerlich, als Unterlegener heimzukommen; aber er glaubte doch, seine Eltern, oder wenigstens seine Mutter, würden einsehen, dass seine Niederlage in gewissen Spitzfindigkeiten ihren Grund habe. Die Professoren in Uppsala wollten wohl zeigen, dass sie größere Anforderungen stellten als das Gymnasium in Karlstadt, oder sie hatten es vielleicht als Beweis von allzu großem Selbstbewusstsein aufgefasst, dass Karl Artur keine lateinischen Vorlesungen besucht hatte.
Die Reise von Uppsala nach Karlstadt nahm mehrere Tage in Anspruch, und Karl Artur hatte sicherlich sein Missgeschick schon vergessen, als er am dreißigsten November in der Abenddämmerung durch das Osttor in seine Heimatstadt einfuhr. Er war sogar ganz zufrieden mit sich selbst, weil er genau an dem Tage heimkam, den er angegeben hatte. Er malte sich aus, wie seine Mutter nun am Salonfenster stehen und nach ihm ausspähen werde, während die Schwestern den Kaffeetisch richteten.
In derselben guten Stimmung fuhr Karl Artur durch die ganze Stadt, bis er aus den engen, winkeligen Gassen hinauskam und den Fluss sowie an dessen rechtem Ufer das Ekenstedtsche Haus erblickte. Aber um alles in der Welt, was war denn darin los? Das ganze Haus war hell erleuchtet und lag so strahlend da wie eine Kirche am Weihnachtsmorgen. Und Schlitten, dicht besetzt mit in Pelze gehüllten Menschen, glitten an ihm vorbei, und zwar alle seinem Vaterhause zu.
»Sie müssen daheim ein großes Fest feiern«, dachte er, und dieser Gedanke war ihm gar nicht